Familientrio:Wann sind Kinder alt genug für Nachrichtensendungen?

Eine Frau befürchtet, dass ihre Nichte von den Eltern zu sehr vor der Realität beschützt wird, zu der Krieg und Katastrophen nun mal dazugehören. Zu Recht? Unsere Erziehungsexperten antworten.

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Berichterstattung über Anschlag im Fernsehen

Quelle: dpa/dpaweb

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Marie H. aus Nürnberg fragt:

Wenn ihre fünfjährige Tochter im Raum ist und Nachrichten kommen, dreht meine Schwester immer das Radio aus. Ist das nicht ein irregeleiteter Schutzreflex? Ab wann sollten Kinder mitbekommen, dass es so etwas wie Krieg und Katastrophen gibt?

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de.​​​

Kirsten Fuchs

Quelle: Stefanie Fiebrig

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Kirsten Fuchs

Kinder sind verschieden und Eltern auch. Die einen beschützen mehr und länger, die anderen finden volle Pulle Input, Abenteuer, Selbstentdecken gut, und ein paar Narben sind nicht so wild. Am Ende kommen dabei unterschiedliche Menschen heraus. Ich finde es unnötig, dass alle alles gleichmachen. Ihre Schwester entscheidet für ihr Kind, denn sie ist sorgeberechtigt und hat sicherlich ein Gespür dafür, was ihrer Tochter guttut. Irgendwann wird das Kind sie fragen, und nur dann fände ich ein "da bist du zu klein für" unangebracht. Alle Antworten wachsen mit. Und darum könnte Ihre Schwester vielleicht mit der Tochter Kindernachrichten hören oder sehen und sie quasi sanft an die böse Welt heranführen. Irgendwann wird sie es dem Kind sagen müssen, und zwischen zu früh und zu spät ist mindestens ein Jahr Pufferzeit.

Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit Tochter, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kurzgeschichten und Romane, aber auch Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Ihr Buch "Mädchenmeute" erhielt 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

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Quelle: Anne Kring

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Jesper Juul

Das kann ich nur schwer beantworten, weil ich die Gründe Ihrer Schwester nicht kenne. Mein Rat, der für alle beteiligten hilfreich sein wird, ist, reden Sie mit Ihrer Schwester: "Ich habe bemerkt, dass du versuchst, deine Tochter vor schlechten und verstörenden Nachrichten zu schützen, und ich wüsste gerne, warum du das tust." Sollte Ihre Schwester defensiv reagieren ("Was ist daran verkehrt?"), dann wäre Ihre nächste Bemerkung: "Ich weiß nicht, weil ich nicht sicher bin, ob du sie nur beschützt oder sie übermäßig beschützt." Wenn Sie Ihre Schwester nach ihren Gründen fragen, können Sie auch qualifizierter reagieren. Sonst können Sie nur Ihre generelle Meinung verkünden, die wahrscheinlich weder für Ihre Schwester noch für das Kind sehr wertvoll ist.

Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

Collien Ulmen-Fernandez

Quelle: Anatol Kotte

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Collien Ulmen-Fernandez

Mir geht es genau wie Ihrer Schwester. Habe ich gestern erst gemacht. Mich selbst versetzen Nachrichten manchmal in einen Zustand von Nervosität. Nachrichten geben ja die Gegenwart immer hinsichtlich der Krisen und Notfälle wieder. Wenn ich aus Gauland, Brexit, festgenommenen Kinderschändern und aktuellen Staatskrisen ein Gemälde anfertigen würde, "so sieht die Welt heute also aus", käme immer ein Guernica dabei heraus, ein Beschuss durch alle möglichen schlimmen Krisen, aus allen Richtungen, und morgen, wenn ein Problem gelöst ist, wird die Entstehung eines neuen thematisiert. Das ist das Wesen einer Nachrichtensendung und völlig okay so, aber ich will nicht, dass meine Tochter jeden Tag mit Guernica im Kopf durch den Park läuft und Kastanien sammelt. Wenn also Ihre Schwester die Nachrichten runterdreht, ist es nicht ihre Verzagtheit, sondern die Wesenseigenschaft von Nachrichten. Nachrichten bestehen aus krassen Miniaturen und Peaks, sozusagen nur den Kampf- und Todessequenzen eines Films. Trotzdem bemühe ich mich, von den Problemen auf der Welt zu erzählen, in einer für meine Tochter begreifbaren Form. Und als sie letztens leise "Puigdemont" vor sich hin gesagt hat, war ich auch ein bisschen stolz.

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

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Quelle: SZ

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Weitere Leserfragen und Expertenantworten finden Sie auf unserer "Familientrio"-Übersichtsseite.

© SZ vom 20.01.2018/lot
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