Essen mit der Familie:Ein Leben in der Imbissbude

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Dass Kinder manchmal fanatische Gemüseverächter sind, ist nichts Neues. Dass sich diese Abneigung mitunter bis in die Jugend hineinzieht, davon kann unsere Autorin berichten. (Foto: imago stock&people/imago/Westend61)

Dass ihre Kinder so gar kein Gemüse essen, hat unsere Autorin lange Zeit persönlich genommen. Doch damit ist jetzt Schluss.

Von Nataly Bleuel

Spinnst du? Der Satz hallt in mir nach. Es war vor ein paar Wochen, da habe ich die Geduld verloren. Ich hatte gedacht, machst du mal was Verrücktes, alle Jubeljahre kann man es ja mal probieren. Ich habe meinem Sohn, zwölf ist er, einen Löffel Zucchini auf seinen Teller geklatscht, neben das Schnitzel und den Reis. Und diesen Teller habe ich dann einfach so, ohne Vorwarnung und ohne Entschuldigung, vor ihn auf den Tisch gestellt. Er guckt auf den Teller, guckt zu mir und sagt: Spinnst du?

Ich habe laut aufgelacht und in dem Lachen war alles drin, was sich in den vergangenen vierzehn Jahren angesammelt hat. Seit ich Kinder habe. Und seit unsere Esskultur auf den Hund gekommen ist. Wut, Verzweiflung, Enttäuschung, Resignation. All das kam hoch und auf den Tisch, tief aus meinem Inneren, wo die Überzeugung sitzt und die Erfahrung: Der Mensch kann das essen! Der Mensch kann Zucchini essen, Kartoffeln, gekocht, gebraten und gratiniert und nicht nur als Pommes. Nicht nur Nudeln mit Kinder-Tomatensauce aus dem Supermarkt und ja keine selbstgemachte, auch nicht, wenn sie so lange mit dem Passierstab atomisiert wurde, dass nicht mal ein Ionenmikroskop ein Stückchen darin entdecken könnte. Von dem, was es in Natur mal war. Tomaten? Bäh! Eklig!

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Aber meine Kinder können das offenbar nicht. Vielleicht, das vermute ich seit ich ihren Vater kenne, haben sie ein spezielles Geschmacks-Gen. Sehr straight, sehr genügsam, sehr treu. Und es hat einfach keinen Sinn, dagegen anzukochen. Als ich die Zucchiniklatsche unberührt zurück bekam, habe ich beschlossen: Ich lasse es jetzt sein, ein für alle Mal! Was soll ich mir die Mühe machen? Warum sollte ich Vanillekipferl nach Witzigmann machen, Jamie-Oliver-Fenchel-Pasta und Ottolenghi-Supergemüse? All das habe ich Spinnerin nämlich mal ausprobiert, weil ich dachte, ins Essen für meine Kinder stecke ich all meine Liebe!

Anfangs buk ich jeden Sonntag Kuchen, als gehörte das zum Muttersein dazu. Aber sie mochten nicht mal den. Dann habe ich es mit gemeinsam Einkaufen probiert, mit Selberkochen nach Petterson & Findus und ich habe lustige Tellergesichter gelegt. Ich war gar nicht so crazy wie andere. Ich habe nicht mit pädagogisch wertvollem Quinoa, Kamut oder Amaranth hantiert, Bio-Marmeladen auf seltenen Erden gefertigt und Spaghetti aus Dinkelspinat selbst gedreht. Wie die Mütter um mich herum. Deren Kinder selbstverständlich Oliven lieben, Auberginenmus mit Rosinen und Kümmel und Rohkost und Salat mit Kapern. Auch wenn ich sie dafür beneidet habe. Ja, ehrlich. So gute Eltern. Immer frisch, immer bio, immer gesund. Aus deren Kindern hundertprozentig mal was wird. Weil sie offen sind, anpassungsfähig und neugierig.

Auf Außenstehende wirken auch meine Jungs nett, freundlich, sanft und gut erzogen. Und das sind sie ja auch. Drei Regeln konnte ich zudem durchsetzen: Wenn wir mal gemeinsam essen, dann beginnt keiner, bevor nicht alle am Tisch sitzen, auch die spinnerte Köchin. Jeder weiß, Messer und Gabel halbwegs elegant zu nutzen. Und sonntags gibt es Braten.

Dennoch lebe ich im Grunde in einer Imbissbude. Ich haue den Jungs fertige Chickenwings in die Pfanne, fertige Fischstäbchen und fertige Klopse, neuerdings sogar vorgekochten Tütenreis, keinen Bock mehr. Auf die Blicke, das Gewürge. Ihre Qual, mein Leid. Ihrem Vater macht das gar nichts, er holt sich was vom Thai und folgt seit Jahren einer Eiweißdiät zwecks Muckibildung, gern in Pulverform. Ich kann keine Milchprodukte mehr sehen und schiebe mir dann Körnerbrot rein, mit Tomaten, bäh! Oft isst jeder für sich, die Herren am liebsten vor dem Fernseher. Unsere tägliche gemeinsame Kernzeit zu Tisch beträgt vielleicht sieben Minuten. Auch okay, habe ich nach der Arbeit noch ein wenig Freizeit.

Natürlich war ich bei Ärzten und habe Ratgeber gelesen und sogar mit Therapeuten gesprochen. Ich weiß, dass Kinder ein unbekanntes Fressobjekt etwa sieben Mal probieren müssen, bevor sie es schätzen können, dass Geschmack sich ausbildet und dass er verkümmert, wenn man nur Fertigprodukte futtert. Ich weiß, dass ich es immer wieder versuchen muss. Aber ich mag nicht mehr. Weil es irre frustrierend ist, Stunden lang die abgefahrensten Dinge zuzubereiten und dann picken die Typen lustlos, angewidert und vor allem vorwurfsvoll darin herum.

Ich soll keinen Druck machen, auch das weiß ich. Weil zu Tisch nicht nur Gemeinschaft gebildet wird, sondern auch Macht ausgespielt. So dass man als Kind seinen Eltern trotzen kann; ich selbst habe in der Pubertät Essen verweigert, anorektisch und anti. Und ich habe Kinder, die man wohlmeinend als willensstark bezeichnen kann. Als ich es auf die autoritäre Tour versuchte ("Du isst jetzt, was auf den Tisch kommt!"), haben sie drei Tage lang gar nichts gegessen. Und sie gucken sich Abneigungen beim anderen ab: Wenn einer zufällig Tintenfischringe gut findet, tut er nach dem angewiderten Blick des Bruders, als wäre es ein schreckliches Versehen gewesen.

Doch tief drin hält sich bei mir ein Rest Hoffnung. Denn eigentlich bin ich mir sicher: dass sie sich schon, wie in allen Belangen, bei ihren Eltern abgucken werden, was möglich ist. Ich glaube nicht, dass sie mich ihr Leben lang für die Verrückte halten werden, die auf der Speisekarte das bestellt, was sie nicht kennt. Ich bin sogar überzeugt, dass ich eines Tages sagen werde: Stellt euch vor, jetzt seid ihr so feine Gourmets, aber bis ihr 17 ward, habt ihr nur Würstchen, Reis und Nutella gegessen! Und ich höre schon den Hall: Ach was, du spinnst ja! Doch doch, werde ich dann sagen. Und dass ich als Kind auch nicht auf Witzigmann-Oliver-Ottolenghi-Veganitäten gestanden hätte. Sondern auf die Fünf-Minuten-Terrine, die mir mein Vater mittags hinstellte, weil er zu tun hatte. Ich fand das nicht spinnert. Sondern lecker. Trotzdem ist was aus mir geworden.

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