La Boum:Glibbrige Medusa

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(Foto: Steffen Mackert)

Unsere Kolumnistin denkt am Strand über ledrige Warane nach, sammelt Steine und stößt dann auf ein sehr seltsames Meeresgeschöpf.

Von Nadia Pantel

Ich habe mal ein deutsches Rentnerpaar kennengelernt, das wegen der Sonne nach Spanien gezogen war. Sie lebten wie zwei Warane in bunten Hemden auf einem Hügel und waren vom mediterranen Licht schon ganz ledrig geworden. Ihr größtes Hobby war Steine sammeln. Steine, die wie ein Vogelkopf aussahen, wenn man sie nur oft genug wendete. Steine, die flach waren und sich gut zu Türmen am Pool stapeln ließen. Steine, in die sie Löcher meißelten und die auf eine Schnur gefädelt zur schwersten Girlande der Welt wurden. Eine Vielfalt des Steins jedenfalls, die man so in Hamburg-Bramfeld nicht findet.

Da ich damals beim Waranbesuch jung und dumm war, dachte ich: Pff, Steine. Inzwischen bin ich im Alter des Steins angekommen. Meine Erholung nach all dem Präsidentschaftswahltrubel in Frankreich sieht so aus, dass ich einen Atlantikstrand entlanglaufe und alle paar Meter einen aus der Gischt hole. Meine Jackentaschen wurden gestern von einem Kugel-Stein, einem Herz-Stein, einem Schau-der-gelbe-Streifen-Stein und noch allerlei anderen Kieseln ausgebeult. Gerade als ich dachte, mein Tagwerk sei erledigt, sagte mein Mitsammler: "Wow! Mama! Was ist DAS denn?"

Wie angemessen diese Frage war, verstand ich erst nach und nach. Erst dachte ich, es sei halt einfach eine Flasche angespült worden, an der oben ein Ball aus Muscheln klebte. Dann sah ich, dass jede einzelne Muschel auf einem daumendicken, schwarzen Wurm steckte. Die Würmer pulsierten, sie thronten auf dem Flaschenhals, als habe jemand den Kopf der Medusa in Glibber nachgebaut. Und aus den Muscheln begannen sich kleine Ärmchen zu strecken. Es war, nichts gegen die Natur, aber: widerlich.

Wir schauten es an, als seien wir zwei Meeresbiologen in Ausbildung

Weil mein Kind in Paris aufwächst, wo Wildtier synonym mit Ratte oder Taube verwendet wird, habe ich mir aus Überkompensation angewöhnt, ihm vorzuleben, dass jede Form von Natur schön und interessant sei. Wir schauten also die Glibbermedusa an, als seien wir zwei Meeresbiologen in Ausbildung. "Ah schau, es scheinen sich also sehr viel Würmer in sehr viele Muscheln hineingefressen zu haben, aha, soso." Im Stillen hoffte ich, dass ich keine Albträume von dem Viech kriegen würde.

Am Abend verstand ich dann, dass ich immer noch keine Französin geworden war. Glibbrig, muschelig, sonderbar: Natürlich kann man das essen! Statt das Ding zurück ins Meer zu schleudern, hätte ich es nach Hause tragen und mit einem Lorbeerblatt kochen sollen. Denn eine Durchwühlung des Internets ergab: Wir hatten eine Entenmuschel gefunden. Beziehungsweise Pouce-Pied, auf Französisch. Anders als diese Bezeichnungen vermuten lassen, handelt es sich dabei weder um eine Ente noch eine Muschel noch einen Daumen (pouce) noch einen Fuß (pied), sondern um einen entfernten Verwandten des Krebses. Ab 20 Euro das Kilo. Statt bizarre Krebse zuzubereiten, schaute ich mir meine Steinsammlung an. Die Verrentnerung schreitet voran.

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