Familientrio:Wer muss aufräumen?

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Viele Kinder räumen nicht gerne auf, sie finden einfach keinen guten Grund. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die Tochter delegiert ungeliebte Tätigkeiten gerne ans Nachbarskind. Soll die Mutter sich einmischen? Unsere Familienexperten antworten.

Meine Tochter räumt nicht gerne auf. Weil sie das aber soll, spannt sie neuerdings ihre Freunde dafür ein. Ich habe schon beobachtet, wie ein Nachbarkind unseren Garten aufräumte, während sie auf der Bank saß und Ansagen machte. Wenn ich dazu was sage, antworten alle Kinder, dass das schon okay wäre. Braucht es mehr Einmischung von mir?

Annemarie K. aus München

Margit Auer:

Margit Auer ist die Autorin der Kinderbuch-Bestseller-Reihe "Die Schule der magischen Tiere", die inzwischen mehr als acht Millionen Mal gedruckt und in 25 Sprachen übersetzt wurde. Sie hat drei erwachsene Söhne und lebt mitten in Bayern. (Foto: Auer)

Mein erster Gedanke: Oh, cool, hier wächst ein neuer Tom Sawyer heran! Sicherlich kennen Sie die Szene, wo der Junge vom Mississippi seinen Freunden verklickert, dass es nichts Schöneres geben kann, als den Gartenzaun von Tante Polly zu streichen. Irgendwann hat er sie so weit, dass sie ihn sogar dafür bezahlen, dass sie seine Arbeit machen dürfen. "Am frühen Nachmittag wälzte sich Tom, der am Morgen noch ein mit Armut geschlagener Knabe gewesen war, buchstäblich im Reichtum", schreibt Mark Twain. Der Reichtum besteht, das nur nebenbei, unter anderem aus einem Apfel und einer toten Ratte. Trotzdem finde ich das Verhalten Ihrer Tochter nicht in Ordnung. Ich würde den Spieß umdrehen. Nach dem Abendessen bleiben Sie einfach sitzen und kommandieren Ihre Tochter herum: "Die Gurken kommen in den Kühlschrank, das Brot in die Tüte. Kannst du die Gläser in die Spülmaschine stellen und bitte den Tisch abwischen?" Sie können gern auch die Zeitung aufschlagen und nebenbei lesen.

Herbert Renz-Polster:

Herbert Renz-Polster ist Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor von Erziehungsratgebern und des Blogs "Kinder verstehen". Er hat vier erwachsene Kinder und lebt mit Frau und jüngstem Kind in Ravensburg. (Foto: Verlag)

Viele Kinder räumen nicht gerne auf, sie finden einfach keinen guten Grund, ihre wertvolle Zeit dafür zu opfern. Wo man doch auch ganz wunderbar einfach weiter spielen könnte! Oder es doch auch so schon ordentlich genug aussieht! Für die schreckliche Aufgabe braucht es also bei manchen Kindern ganz besonders viel Motivation. Oder eben eine kluge Strategie. Als mein Bruder und ich klein waren, haben wir an "Motoren" gearbeitet, die irgendwo im Rücken sitzen; der eine von uns hat so einen Motor dann beim anderen eingebaut und so lange gekurbelt, bis der mit dem Aufräumen angefangen hat. Dann umgekehrt. Hier also das Ansage-Spiel. Niemand erfährt durch diese Handlung ihrer Tochter Schmerz, Kränkung oder sonstiges Leid, deshalb würde ich das grundsätzlich tief hängen. Die Freunde Ihrer Tochter tun das ja auch, offensichtlich hat Ihre Tochter in anderen Bereichen eine ausreichend entwickelte soziale Ader, dass die zu ihr stehen.

Collien Ulmen-Fernandes:

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter wohnt in Potsdam und hat den Kinderbuch-Bestseller "Lotti und Otto" und den Elternratgeber "Ich bin dann mal Mama" verfasst. (Foto: Anatol Kotte)

Während in keinem Dax-Unternehmen mehr als 25 Prozent Frauen im Vorstand sitzen, scheinen es in Ihrem Garten 100 Prozent zu sein. Vielleicht wird Ihre Tochter ja mal Chefin von Fresenius oder Infineon. Die Führungsqualitäten hat sie offenbar, denn sie übernimmt eine Leitfunktion und die Arbeiterinnen um sie herum finden es "schon okay", was ja eine normale Angestelltensicht ist. Ihre Tochter hat frühzeitig erkannt, dass es im Kapitalismus darum geht, sich so zu positionieren, dass die schweren Arbeiten von anderen gemacht werden, die Erträge aber selbst abgeschöpft werden. Um ehrlich zu sein, finde ich das eigentlich ganz lustig. Im Gespräch mit Ihrer Tochter könnten sie ihr zum einen zu dieser Fähigkeit gratulieren. Zum anderen dürfen Sie ihr aber auch vorsichtig aufzeigen, dass sich eine freundschaftliche Beziehung von unserer herrschenden Wirtschaftsordnung dergestalt unterscheidet, dass im Idealfall keiner der Chef ist und keiner der Ausgebeutete.

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie uns an familientrio@sz.de.

© SZ vom 04.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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