Expertentipps zur Erziehung:"Aggression ist eine Form der Kontaktsuche"

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Kleinkinder in der Trotzphase werden von ihren Emotionen regelrecht überwältigt. Ein mahnendes "Führ dich nicht so auf" von den Eltern hilft ihnen nicht aus dem Gefühlschaos. Die Psychologin Doris Heueck-Mauß gibt Tipps, wie Eltern und Kinder leichter durch die Zeit des Zorns kommen.

Katja Schnitzler

Die Trotzphase ist für Eltern und für Kinder eine schwierige Zeit: Noch haben die Kleinkinder nicht gelernt, mit Frust und Enttäuschung anders umzugehen, als ihre Wut herauszuschreien. Wie die Familie diese Zeit entspannter übersteht, erklärt die Psychologin Doris Heueck-Mauß, Autorin des Buches "Das Trotzkopfalter".

Süddeutsche.de: Das Kleinkind bekommt seinen Willen nicht und tobt vor Wut. Wie schaffen es Eltern, nicht ebenfalls wütend zu werden?

Doris Heueck-Mauß: Das ist eine Herausforderung. Schließlich können Kinder zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren schon so viel, da überrascht es, wenn sie wegen eines Neins plötzlich durchdrehen. Die Eltern sind enttäuscht und verärgert. Am besten zählen sie innerlich bis zehn und denken sich, "Ach, es hat wieder seinen Rappel." Sie müssen es schaffen, die Situation von außen zu betrachten und dürfen sie nicht persönlich nehmen.

Süddeutsche.de: Leider ist das gar nicht so einfach.

Heueck-Mauß: Aber wir Eltern sind nun mal die Erwachsenen, die führen und anleiten. Dafür müssen wir das Kind in uns an die Hand nehmen und ein bisschen vernünftiger sein als unser Kleinkind. Es ist eine Wechselwirkung, und wenn Eltern den ersten Schritt auf das Kind zugehen, kommt entsprechende Resonanz.

Süddeutsche.de: Wie sieht denn dieser erste Schritt aus?

Heueck-Mauß: Verbale Appelle während eines Wutanfalls sind für die Katz, die kommen erst bei Vierjährigen an. Und die machen auch dicht, wenn eine bei Eltern so beliebte Wenn-dann-Drohung folgt. Kleinkinder sollte man lieber in den Arm nehmen und trösten, schließlich werden sie von ihren Gefühlen regelrecht überfallen. Oft suchen sie dann Schutz bei Mama oder Papa. Werden sie zurückgewiesen, weil sie so schreien, sind sie zusätzlich enttäuscht. Ein Teufelskreis, den nur die Eltern durchbrechen können. Dieser kleine Mensch kann in der Trotzphase seine Emotionen noch nicht regulieren. Wenn das Kind überfordert ist, überfällt es der Frust. Beispielsweise im Supermarkt, wenn von ihm erwartet wird, superlieb zu sein.

Süddeutsche.de: Und dann dreht es vor aller Augen durch. Wie soll man das nicht persönlich nehmen?

Heueck-Mauß: Das fällt unter den Blicken, vielleicht auch Kommentaren von anderen besonders schwer. Da empfehle ich die Ohropax-Methode: Ohren zu und durch. Wer aufdringlichen Mitmenschen doch etwas entgegnen möchte, sollte diese Gelegenheit nicht dazu nutzen, selbst Dampf abzulassen. Sondern sie höflich darauf hinweisen: "Lassen Sie das bitte meine Sache sein. Ich habe mit meinem Kind ausgemacht, dass es an der Kasse nichts Süßes bekommt."

Süddeutsche.de: Können Eltern den Trotzanfall von vornherein verhindern?

Heueck-Mauß: Sie müssen sich klarmachen, dass dieser meistens durch einen Zielkonflikt ausgelöst wird: Die Mutter will möglichst schnell einkaufen, das Kind bummeln und mithelfen. Wenn die Mutter davon genervt ist und zur Eile drängt, ist die Enttäuschung groß. Und das Kind lässt den Frust lautstark heraus.

Süddeutsche.de: Aber Eltern können nicht ihren gesamten Alltag auf die Wünsche ihrer Kleinkinder ausrichten.

Heueck-Mauß: Das sollen sie auch nicht, aber gerade in der Öffentlichkeit können sie vorausschauend handeln. Meine Tochter war sechs Wochen lang in der Trotzphase, also habe ich den Großeinkauf gemacht, wenn sie von jemand anderem betreut wurde. Wenn der Nachwuchs dabei ist und es schnell gehen muss, sind kleine Kinder meist schon zufrieden, wenn sie zum Beispiel drei Sachen selbst nehmen dürfen, vielleicht auch im eigenen Korb tragen. Sie wollen so gerne mithelfen, können es aber nur in ihrem eigenen Tempo.

Süddeutsche.de: Und wenn es dann doch wieder zu brenzligen Situationen kommt, sich das Kind langweilt oder frustriert ist, weil es etwas noch nicht kann?

Heueck-Mauß: Dann hilft das Prinzip Ablenkung - am besten vorausschauend angewendet. Der Trick ist, zu wissen, dass sich das Kind spätestens in wenigen Sekunden langweilen wird. Wer dann rechtzeitig für Ablenkung sorgt und es etwa bittet, die Waren aufs Laufband zu legen, bleibt vom Wutanfall verschont.

Süddeutsche.de: Ist es pädagogisch sinnvoll, einen Trotzanfall später nochmal zu thematisieren? Oder sollte man es gut sein lassen?

Heueck-Mauß: Ist der Anfall vorbei, können die Eltern den Trotz personalisieren: "War wieder dieses wütende Böckchen da? Bin ich froh, dass es wieder weg ist." Da fühlt sich das Kind nicht in seiner Persönlichkeit angegriffen, die es ja gerade erst entdeckt. Es merkt, es wird mit seinen Gefühlen angenommen, nur die Art und Weise, wie es diese äußert, ist nicht in Ordnung. Schimpfen die Eltern hingegen, "Musst du immer so schreien?", wird die Person des Kindes kritisiert. Eltern sollten ruhig auch selber sagen, wenn sie schlecht gelaunt sind. Dies zeigt den Kindern, das Gefühl an sich wird akzeptiert, man kann es aber anders ausleben.

Süddeutsche.de: Wie unterscheiden sich die Trotzanfälle von Kleinkindern von den Wutausbrüchen der älteren Kindern?

Heueck-Mauß: Ältere Kinder sind eher aggressiv und provozieren. Sie sind sehr zielgerichtet und geben nicht nach. Typisch ist ein wilder Blick, mit dem sie ihren Kontrahenten fixieren: Sie behalten ihre Eltern ganz genau im Auge, schließlich wollen sie sehen, wie wir auf die Provokation reagieren. Kleinkinder in der Trotzphase hingegen verlieren die Kontrolle. Diesem festen Blick begegnen Sie da nicht, eher werfen sich die Kleinen auf den Boden. Daher kommt man bei Kleinkindern nonverbal durch, indem man sie in den Arm nimmt. Bei Älteren sollte man auf seinem Standpunkt bestehen und auch sagen: "Wir hatten das so ausgemacht, jetzt ist Schluss." Und nicht weiter provozieren lassen.

Süddeutsche.de: Nun werden manche Kinder aggressiv, zerstören Sachen oder fügen sogar anderen Schmerzen zu. Wie hält man die Wüteriche davon ab?

Heueck-Mauß: In solchen Fällen müssen Erwachsene natürlich einschreiten, das Kind festhalten, auf Augenhöhe gehen und mit festem Blickkontakt ganz deutlich sagen: "Ich will nicht, dass du trittst, das tut weh. Aber ich sehe, dass du wütend bist, weil dir die Sandschaufel weggenommen wurde." So ziehen Eltern eine deutliche Grenze, verbalisieren aber auch die Gefühle des Kindes und helfen ihm damit.

Süddeutsche.de: Manchmal sieht man Eltern, die sich von ihren Kleinkindern treten lassen und einfach ihr Gespräch fortsetzen ...

Heueck-Mauß: Sie folgen der irrigen Annahme, dass man solch ein Fehlverhalten am besten ignoriert. Nur ignorieren sie damit das ganze Kind. Damit wird sein Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen und deshalb auf diese unerwünschte Art Kontakt aufzunehmen, noch größer. Denn bis ins Alter von drei Jahren ist Aggression nicht nur Abwehr, sondern auch eine Form der Kontaktsuche. Also sollten die Eltern ihr Kind besser wahrnehmen und eine Ablenkung anbieten: "Hör auf damit, das tut mir weh. Ich unterhalte mich noch fertig, aber du darfst dort auf der Wiese Blumen pflücken."

Süddeutsche.de: Sind also die Eltern schuld an den Wutanfällen ihrer Kinder?

Heueck-Mauß: Schuld würde ich nicht sagen. Aber sie haben noch nicht gelernt, dass das Verhalten ihres Kindes in einer Wechselwirkung mit ihrem eigenen Verhalten steht. Nur dann können sie vorausschauend zu handeln und rechtzeitig für Ablenkung zu sorgen. Außerdem werden Kinder oft von den Wünschen der Eltern überfallen. Schließlich haben sie noch überhaupt kein Zeitgefühl, sind tief versunken in ihr Spiel. Wenn sie plötzlich herausgerissen werden, sind sie natürlich wütend. Also die Wünsche besser mit Vorankündigung äußern: "Ich sehe, du baust einen Turm. Jetzt leg noch ein Stein drauf und dann gehen wir Hände waschen." Das kostet nicht viel Zeit, aber Sie werden sehen: Es schont die Nerven.

Doris Heueck-Mauß hat eine psychotherapeutische Praxis in München, gibt Kurse beim Münchner Familienkolleg und ist Autorin von "Wie rede ich mit meinem Kind?" und "Das Trotzkopfalter", beide im Humboldt-Verlag erschienen. Außerdem bereitet Doris Heueck-Mauß seit drei Jahrzehnten werdende Väter und Mütter in Kursen auf ihre Elternschaft vor.

Sie sind wütend, so wütend: Wenn Kleinkinder toben, möchten Eltern gerne behaupten: "Das gehört nicht zu mir." Leider glaubt ihnen das niemand. Die Erziehungskolumne.

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