Ethik in der Ernährung:Nicht Fisch! Nicht Fleisch!

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Welthunger, Massentierhaltung, Kohlendioxid-Problem, überfischte Meere - warum wir unsere Ernährung endlich umstellen müssen. Ein Abschied vom Fleisch.

Petra Steinberger

Essen ist Privatsache. Ist unsere persönliche Angelegenheit. Nie waren wir so frei in der Wahl unserer Nahrung. Und damit in der Wahllosigkeit. Wir können essen, was, wie und wie viel wir wollen. Wer an keiner Religion hängt, muss sich nicht einmal mehr an Speisegebote halten.

Ethik in der Ernährung, Schweine; Foto: dpa

Ein Deutscher verzehrt heute pro Jahr und Kopf 88,7 Kilo Fleisch und Fisch - das muss sich ändern. Nicht nur der Schweine zuliebe.

(Foto: Foto: dpa)

Mit der Entdeckung des Garens von Nahrung, mit Ackerbau und Viehzucht haben wir uns aus unserer Machtlosigkeit gegenüber der Natur befreit. Die Erkenntnisse und Technologie der Neuzeit haben uns schließlich von der ständigen Bedrohung durch Hungersnöte erlöst. Zumindest den Teil der Menschheit, der in den reichen Staaten der Erde lebt.

Menschen sind Omnivoren. Allesfresser. Aber weil wir in den ersten hunderttausend Jahren der menschlichen Evolution und der Nahrungsknappheit gelernt haben, uns so viel und so schnell wie möglich Energie zu holen, sobald sie zu haben ist, lieben wir: Fleisch. Fleisch ist eine grandiose Energiequelle, flüstern uralte Instinkte, und Energie ist gut. Macht uns schnell. Stark.

Klüger als die Tiere. Macht uns zum Homo sapiens. Inzwischen brauchen wir kein Fleisch mehr, um zu überleben. Aber tief in unserem Innersten wollen wir es bis heute, um die Löwen zu überlisten. Wir grillen und rösten und braten es. Wir räuchern und pökeln es. Wir nehmen es bleu oder medium oder well done. Der Rest ist Beilage. Den Ärmeren ließen wir Reis und Hirse und Sorghum. Wir wollten Fleisch. Das bekamen wir. Weit sind wir gekommen und fett geworden. Nur ist es inzwischen keine Privatsache mehr, was und wie viel wir essen.

Es wird Zeit, sich vom Konsum von Tieren zu verabschieden. Oder, allerwenigstens, von den unglaublichen Mengen und Massen, in denen wir sie verschlingen.

Globale Massenausrottung

Wir riskieren das Leben auf diesem Planeten, das ökologische Gleichgewicht, und ganz oben bei den Schuldigen steht unser Fleischverzehr. Der Konsum getöter Land- und Wassertiere. Wir werden ihn einschränken müssen, drastisch. Ihn vielleicht ganz aufgeben. Das gilt nicht nur für Rind, Schwein oder Geflügel. Es gilt genauso für Fische; und langfristig wohl auch für die Menge und Art, in der wir tierische Produkte insgesamt gebrauchen.

Ob Bodenerosion, Luftverschmutzung, Wassermangel und Trinkwasserverseuchung, Verlust der Biodiversität und Erderwärmung: "Viehhaltung", heißt es in einem Report der Vereinten Nationen, "stellt sich als einer der zwei oder drei wichtigsten Verursacher unserer größten Umweltprobleme heraus." Und was internationale Fischfangflotten innerhalb weniger Jahrzehnte in den Ozeanen angerichtet haben, muss als globale Massenausrottung bezeichnet werden. Manche Kritiker halten die Fischerei mit modernen Technologien für die zerstörerischste Aktivität, die zur Zeit auf unserer Erde stattfindet.

Seitdem es richtig begann mit der totalen Industrialisierung tierischer Nahrung, mit Massenproduktion, Massenfang und Massenschlachtung von Vieh und Geflügel und Fisch, wächst der weltweite Fleischverbrauch. Allein in den letzten dreißig Jahren hat er sich verdreifacht. Ein Deutscher verzehrt heute pro Jahr und Kopf 88,7 Kilo Fleisch und Fisch, ein Amerikaner 123 Kilo. Ein Inder hingegen nimmt jährlich 5,2 Kilo zu sich. Noch. Das ändert sich rasch.

Je schneller wir handeln, desto besser. Falls das nach einem Aufruf zum Vegetarismus klingt, ist das beabsichtigt. Doch auf die Gefahr hin, dass echte Vegetarier jetzt aufschreien: Wir wären auch mit Pescetariern zufrieden. Oder Flexitariern, Wochenendvegetariern also, die hauptsächlich fleischlos leben oder immer wieder und dann manchmal eben doch nicht anders können als rückfällig zu werden. Alles ist besser, als so weiterzumachen. Wie ein Tsunami ertränken die Folgen der Fleischeslust uns selbst, die Menschen, die Tiere, die gesamte Erde.

Die Skrupel haben wir längst verdrängt

Wiewohl in den letzten Jahren immer mehr Menschen ihren Fleischverbrauch vor allem aus Gründen der eigenen Gesundheit reduziert haben, kann die Befindlichkeit unseres Körpers nur als privates Argument für den Fleischverzicht gelten - abgesehen vielleicht von manch nicht unerheblichen Kosten für das Gesundheitssystem. Unser Körper ist zwar für den Fleischgenuss ausgelegt - aber nicht in diesen Mengen.

Nicht mehr ganz so privat ist, mit welchen Mitteln und mit welchen Folgekosten wir die ungeheuren Mengen an Fleisch und Fisch erzeugen, um unsere Gier danach zu befriedigen - Hunger kann man das nicht mehr nennen. Für diese Gier werden weltweit jährlich 53 Milliarden Landtiere geschlachtet, oft nach Lebensumständen, die wir unseren Haustieren niemals zumuten würden.

Der Skrupel, den die ersten Zivilisationen bei der Tötung von Tieren empfanden und den sie durch Rituale aufzufangen suchten, haben wir längst verdrängt. Vielleicht weil wir einen neuen Namen für diese biologische Lebensform gefunden haben: Vieh. Das klingt weniger nach Tier. Weniger nach Lebewesen.

Auf der nächsten Seite: Warum wir Tiere lieber "Vieh" nennen, und was die steigende Fleischproduktion mit menschlichem Elend auf der Welt zu tun hat.

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