Das Duell: Essen vorm Fernseher:Ohne Glotze ess ich nicht

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Selbstgekochtes Essen schmeckt köstlich, wenn dazu ein gutes Gespräch auf den Tisch kommt. Noch besser schmeckt es aber vor dem Fernseher - oder doch nicht? Ein Stil-Duell.

Violetta Simon und Ulrike Bretz

Ulrike Bretz meint: Glotze an! Wer zum Essen den Fernseher anschaltet, erhöht das Glücksgefühl - das ist wissenschaftlich erwiesen.

Wer sich nichts mehr zu sagen hat, kann beim Essen auch genauso gut fernsehen? Falsch. Essen und gleichzeitig fernsehen kann doppelten Spaß bringen. (Foto: Foto: iStockphoto)

Ein Abend nach einem langen Arbeitstag. Man hat gemeinsam gekocht, das Essen duftet. Mann und Frau lächeln sich an, nehmen die Teller, gehen zum Tisch, gehen daran vorbei - und setzten sich aufs Sofa. Dann der Griff zur Fernbedienung: Glotze an.

Für viele Menschen ist Essen vorm Fernseher Enspannung pur. Nicht nur, wenn man alleine ist. Sondern auch als Paar. Nur traut sich keiner, das laut zu sagen. Aus lauter Einsamkeit auf den Schalter zu drücken und den Hunger mit einer Tiefkühlpizza zu stillen - dagegen hat ja keiner was. Doch kein in einer Beziehung lebender Mensch würde zugeben, beim Essen nicht verliebt auf den lukullischen Reigen aus Tomaten, Karotten und Nudeln auf dem Teller oder tief in die Augen des Gegenübers, sondern auf den flimmernden Bildschirm zu starren.

Zeit, mit dem Heucheln aufzuhören!

Dabei gibt es keinen Grund zur Scham: Das Marktforschungsinstitut Human Link hat herausgefunden, dass das Konsumieren ganzer Mahlzeiten vor dem Fernseher für 77 Prozent der Deutschen ganz normal ist - aber nur 15 Prozent findet das Essen vor der Glotze akzeptabel. Zeit, mit dem Heucheln aufzuhören.

Denn jeder hat das doch schon erlebt: Manchmal will man einfach nur seine Ruhe. Keine Fragen stellen. Und keine Antworten hören. Es hat schon einen Grund, dass so viele Familienstreitereien am Esstisch ausgetragen werden.

Das mag mancher als bemitleidenswert empfinden - aber in welcher langjährigen Beziehung erklärt man sich noch jeden Tag, wie man die Welt sieht? Und wer sagt, dass man sich bei einer Diskussion besser auf das Gekochte konzentrieren und es genießen kann, als bei der Stimme von Frank Plasberg?

Fernsehen beim Essen heißt ja nicht, aneinander vorbei zu leben. Die Italiener machen es doch vor - dort läuft der Fernseher in der Küche zu jeder Tageszeit, nebenbei wird lautstark diskutiert. Wir eifern doch sonst so gern der südlichen Lebensart nach. Warum also nicht auch bei diesem Thema?

Wer behauptet, dass Essen in Verbindung mit Fernsehen so richtig entspannt, hat die Wissenschaft auf seiner Seite: Beim Fernsehen werden erwiesenermaßen Glückshormone ausgeschüttet. Beim Essen auch. Essen vor der Glotze ist, rein wissenschaftlich gesehen, also doppeltes Glück - egal, ob alleine oder zu zweit.

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Violetta Simon meint: Warum müssen manche Menschen beim Essen immer etwas anderes tun? Was wollen sie damit betäuben? Vielleicht sich selbst?

Vor dem Fernseher verkommt Essen zum Mampfen. (Foto: Foto: iStockphoto)

Essen vor dem Fernseher macht dick. Weil der Mensch nicht merkt, wie viel er verschlingt. Aber das kommt bestenfalls erschwerend hinzu. Das eigentlich Schlimme daran ist die Unfähigkeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Wir sind eine abgelenkte Gesellschaft. Wir überbrücken Momente der Stille, als hätten wir Angst, dass sie uns hinunterziehen in ein schwarzes Wurmloch.

Pomp, Quark und Herumgehüpfe

Auch Essen ist längst zur Nebensache verkommen. Am Frühstückstisch verschwinden ganze Familien hinter der Tageszeitung. In einem Zelt am Stadtrand zahlt man irrwitzige Summen für Drei-Gänge-Menüs, um sich dann mit allerlei Firlefanz davon ablenken zu lassen: Zur Suppe gibt es Salto mortale, während der Entenbrust wird Feuer gespuckt, beim Dessert schreien sich zwei Clowns an.

Zu Hause übernimmt das der Fernseher. Weit über die Hälfte aller 20- bis 40-Jährigen lässt sich beim Essen lieber von der Mattscheibe berieseln, als sich die Speise bewusst auf der Zunge zergehen zu lassen - oder sich gar mit dem Partner zu unterhalten. Allein die entwürdigende Haltung, die der TV-Mahlzeiter vor dem Couchtisch einnimmt, schlägt auf den Magen. Die Szenerie - ein Schlachtfeld: Zwischen den Kissen und auf dem Boden mischen sich Essensreste mit Popcorn vom Vorabend.

Kritikern begegnen die TV-Mahlzeiter gerne auf der multikulturellen Argumentationsebene, indem sie auf der Deutschen liebstes Vorbild verweisen - den Italiener an sich. "Bei denen läuft pausenlos der Fernseher - und trotzdem reden die so viel miteinander!"

Stimmt. Die reden miteinander. Und darin liegt der Unterschied. Wer eine italienische Familie beim Essen beobachtet, weiß, dass der Begriff "vor dem Fernseher essen" hier nicht zutrifft. Bestenfalls ringt die Kiste in dem Tohuwabohu um Aufmerksamkeit. Und weil das so ist, darf der Fernseher auch dort stehen, wo das Leben tobt: in der Küche. Und erhält damit genau den Stellenwert, der ihm zusteht.

Deutsche TV-Geräte werden im Wohnzimmer platziert - jenem toten Winkel unserer Wohnung, der einst der Repräsentation diente. Seine Position ist der eines Altars, dem man huldigt. Den Blick in die Röhre gerichtet, wird die partnerschaftliche Kommunikation eingestellt. Die Rezeptoren schalten auf "one-way", während die Glotzer auf etwas herumkauen, an das sie sich später nicht mehr erinnern.

Und dennoch: Wenn, dann ist das einzige Medium, das eine Nebentätigkeit verträgt, das Fernsehen. Weil es nicht mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Deshalb ist es auch völlig okay, dabei zu bügeln, sich die Nägel zu lackieren, ein Regal zusammenzubauen oder einen Schal zu stricken. Nur vor dem Fernsehgerät zu essen, macht keinen Sinn. Wer sich vor der Glotze Essbares in den Mund schiebt, isst nicht - er mampft. Er degradiert Essen zur Nahrungsaufnahme, und Speisen zu Füllmaterial. Mit Verlaub - für solche Gelegenheiten wurden Chips erfunden.

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