Wenn die Mode so etwas ist wie das Negativ des Zeitgeistes, könnte man die graue Jogginghose leicht als Metapher all jener Gewalt begreifen, die da neuerdings am helllichten Tag geschieht: Sieh bloß, Gesellschaft, was aus deinen Kindern geworden ist! Dass die Hose gerade jetzt an Popularität gewinnt, ist aber bestenfalls eine günstige Fügung des Schicksals, schließlich interessieren sich gerade US-Modemacher nicht weiter für Deutschland als bis nach Berlin.
Wenn es nach Designer Yigal Azrouël geht, trägt die Frau im kommenden Frühjahr zur grauen Jogginghose edle Blusen.
(Foto: Foto: AP)Außerdem: Inspiration ist ein weites Feld. Nicht alle, die in Jogginghosen herumschlurfen, sind gleich Verbrecher. Manche sind nur zu beleibt für anständige Hosen - in Irland heißen Jogginghosen deshalb auch "fatman trousers". Andere holen sich nur kurz ein Stück Karottenkuchen bei Starbucks. Wieder andere sind nur typische Bild-Zeitungsleser. Oder, nicht zu vergessen, sportfanatische amerikanische Kids: Die verhalten sich gerne wie Kriminelle - sie tragen die Jogginghose immer und überall, sogar oben auf dem Eiffelturm.
Die Jogginghose - im Amerikanischen sweatpants, Schwitzhose - hat sich seit den siebziger Jahren immer mehr vom Joggingoberteil emanzipiert. In ihrem Heimatland USA ist sie fast ein Kulturgut - mit eigenem Wikipediaeintrag - und sie wurde selbst von Schriftsteller John Updike gewürdigt. Ihre Hauptabnehmer sind neben Gefängnissen auch Bildungseinrichtungen: Die renommierte University of California Los Angeles verkauft die graue Jogginghose sogar als Souvenir. Offensichtlich hat Alexander Wang - der neue Marc Jacobs, wie die Modewelt orakelt - seine Kollektionsidee auch genau hier gefunden: auf dem Campus, und nicht im Kittchen.
Kriminelle Energien
Er schickte seine Models gerade als Cheerleader auf den Laufsteg, mit Kniestrümpfen, Rapunzelzöpfen, Footballtäschchen - und Jogginghosen. "Wir wollten zeitlose und klassische Kleidung entwerfen", sagte der 25-jährige Wang einige Tage vor der Show. Und trotzdem: Das ein oder andere Wang-Mädchen schaute drein wie ein bockiger Teenager, dem gerade 182 Sozialstunden aufgebrummt wurden. So gucken auch Halbstarke, die in der Bahn ihre Jogginghosenbeine auf die Sitze knallen und Gangsterrap übers Handy hören.
Chanel kommt die Jogginghose nicht ins Haus. "Jogginghosen sind gefährlich", monierte Karl Lagerfeld vor kurzem in einem Interview, "weil sie einen Gummizug haben. Der gibt nach und dann merken Sie nicht, wenn Sie zugenommen haben. Außerdem hasse ich es, wenn man sich gehen lässt!" Dabei kann man dem Jogginghosenträger von heute das als Allerletztes vorwerfen: faul und träge zu sein. Er strotzt doch nur so vor Energie. Wenn man Pech hat, halt vor krimineller Energie.
Es war auch wieder Youngster Alexander Wang, der uns vor anderthalb Jahren vorexerzierte, wo man das graue Teil bald tragen wird: im Club. Zur damaligen Zeit ein so unmöglicher Anblick wie eine Bomberjacke auf einem Hippiefestival. Vielleicht hat das Foto der Branche auch ein bisschen Angst eingejagt: Seither lassen ihm die Kritiker alles durchgehen. Überhaupt wurde ein bequemes Unding wie die Jogginghose selten derart vehement befeuert - die Mode ist ja kein Cluburlaub.
"Sie sind geil"
Bei dieser Hose sind sich aber plötzlich alle einig: Sie ist nicht schlampig, sondern superchic. Oder "geil", wie der deutsche Designer Michael Michalsky sagt. Selbst im vielleicht härtesten Ausbildungscamp der Mode, der Redaktion der französischen Vogue - Absätze unter elf Zentimeter sind hier strengstens untersagt - ist das graue Teil ab sofort erlaubt. Carine Roitfeld überraschte im Guardian mit folgender Aussage: "Ich trage total gerne Jogginghosen zu hohen Schuhen. Ich mag es, wenn Sachen nicht richtig zusammenpassen."
In einer Folge der hochgelobten US-Sitcom "Seinfeld" sagt Jerry Seinfeld zu seinem Schulfreund George: "Weißt du, was du der Welt mit deiner Jogginghose signalisierst? Du sagst: ,Ich gebe auf. Ich kann nicht mit der Gesellschaft mithalten. Ich bin erbärmlich." Das war 1993. Heute, 2009, signalisiert die Jogginghose: "Ich haue und ich klaue. Leg' dich ja nicht mit mir an, sonst siehst du Sterne."
Genau hier liegt das Potential der Jogginghose. Was für die Zukunft viel wichtiger ist als ihre Hipness: Das graue Teil kann uns vielleicht den Kopf retten. Wer die Hose in Gefahrenzonen trägt wie Bus- und Bahnstationen, sieht gleich nicht mehr aus wie das typische Opfer. Im Gegenteil - und erst mit Asics-Tretern!
Die Jogginghose ist sozusagen ein Selbstschutz zum Überziehen. Eine kleine Notlösung, bis man auf Zivilcourage bauen kann.