Bottega-Veneta-Chefdesigner Maier:Gestatten, Herr des Nichts

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Er kommt aus Pforzheim, trägt weder Fächer noch Diamantohrringe und mag keine Logos: Tomas Maier hat die welke Jetset-Marke Bottega Veneta in ein blühendes Millionen-Imperium verwandelt.

Verena Stehle

Tomas Maier: Bitte verzeihen Sie, wenn ich englisch spreche, aber ich bin vor über 35 Jahren aus Deutschland weggegangen.

Der Mann fällt auf, weil er nicht auffällt. Tomas Maier sieht aus wie ein stilvoller italienischer Tourist: Kaschmirpulli, Hemd, helle Hose. Alles an ihm wirkt nüchtern, selbst sein Lächeln. Ein leises "Hi". Kein Smalltalk. Das ist wohl genau der Minimal-Chic, mit dem der Designer die welke Jetset-Marke Bottega Veneta in ein blühendes Millionen-Imperium verwandelt hat. (Foto: Bottega Veneta)

SZ: Schade. Ich hatte gehofft, wir könnten ein bisschen schwäbisch sprechen. Wir kommen nämlich beide aus Baden-Württemberg.

Ah ja? Nun, es ist nicht so, dass ich gar kein Deutsch mehr kann; aber ich muss nach Wörtern suchen. Und das ist lästig.

Ist es wahr, dass Sie etwas pathologisch auf Details reagieren? Ihre Assistentin soll einem Reporter vom "New Yorker", der zu einem Interview mit Ihnen kam,

einen Fussel vom Jackett gezupft haben. Mit der Begründung, der würde Sie sonst total ablenken.

Sie hat da vielleicht etwas überreagiert. Total überreagiert.

Sagen Sie mir freundlicherweise trotzdem, ob Sie etwas an mir stört?

Ach was. Das ist doch nur eine Story, Futter für eine Story. Nicht die Realität.

Dann können wir ja loslegen.

Gern.

Von Ihnen stammt der Satz: "Je besser die Kleidung ist, desto weniger sieht man si e." Ist das nicht ganz schön kokett für einen so erfolgreichen Modedesigner?

Ich meine es so: Sie kaufen etwas in einem unserer Läden, gehen raus - und dann ist es Ihr Ding, nicht mehr Bottega Veneta. Eine Tasche, die viel getragen wird, übernimmt ja auch die Persönlichkeit des Trägers. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man einen Look vom Laufsteg übernimmt; das ist so was von lächerlich. Ich mag Exzentrik, Individualität und Selbstvertrauen; ich mag es, wenn Leute ein Teil auf ihre Weise tragen. Das macht

etwas erst zu etwas Eigenem.

Sie sagten auch mal: "Ich will ein gewisses Nichts erreichen." Nun muss man wissen: Sie haben alles in der Mode erreicht. In einer eher hysterischen Modephase

haben Sie sich mit Qualität und Sachlichkeit durchgesetzt. Hollywood-Stylisten springen auf Ihre Entwürfe genauso an wie Luxuskundinnen, ja sogar Ihre Designer-Kollegen tragen Ihre Mode. Was ist das also, Ihr Nichts?

Wenn man etwas macht, ist das Schwierigste, etwas einfach zu machen. Nehmen wir einen Blazer mit vielen Details, originellen Taschen, Epauletten, dann fügt man immer noch mehr hinzu - und am

Ende wird er vor allem dekorativ. Kunstvoll aber kann er erst werden, wenn man

abrüstet, nur den Körper des Blazers betrachtet. Dann achtet man plötzlich auf ganz andere Details: Sind die Schultern so perfekt? Sitzt der Ärmel? Stimmt die Balance zwischen Blazer und Tasche? Je mehr man sich beschränkt, desto komplizierter wird es.

1977, gleich nach dem Abitur, gingen Sie nach Paris, um an der "Chambre Syndicale de la Haute Couture" zu studieren, wie vor Ihnen Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld . Gab es da Vorurteile gegen den Buben aus der Mode-Provinz?

Klar doch gab es die. Ich denke aber, es bedeutet nichts, wo man aufgewachsen ist. Wenn man in der Mode arbeitet, kann man aus jedem Land kommen, aus einer Kleinstadt, vom Dorf. Entweder man ist getrieben, etwas unbedingt zu erreichen, oder eben nicht.

Hat es vielleicht sogar Vorteile, in einer modefreien Zone aufzuwachsen?

Mir fällt oft auf, dass Leute aus kleineren Städten sehr neugierig sind, sehr hungrig. Wer in einer Großstadt aufwächst, kann Theater, Kinos, Galerien besuchen; er hat alles schon vor der Nase. Als ich mit 19 nach Paris kam, habe ich mir jeden Winkel der Stadt angesehen. Ich habe mir Magazine gekauft, die ich noch nicht mal lesen konnte. Ich wollte lernen.

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Sie haben eine Waldorfschule besucht. Was haben Sie von dort mitgenommen?

Waldorf war großartig für mich, weil dort alles darauf angelegt ist, die Individualität eines jeden zum Vorschein zu bringen. Der eine Schüler ist super im Holzschnitt, der andere extrem gut auf einem sozialen Level - und beides ist gleich gut. Keiner muss so sein oder aussehen wie der andere.

Heute ist Waldorfschulen-Bashing angesagt. Da heißt es: Oh wirklich, du kannst deinen Namen tanzen? Du bist ein Idiot.

Jaja, das war schon immer so. Wir können damit leben. Kein Problem.

Wie war Ihre Kindheit sonst so?

Wir haben die Jahreszeiten intensiv

gelebt. Meine Schwestern und ich, wir sind mit unseren Eltern auf Berge geklettert, wir sind Ski gefahren, haben im Wald Pilze gesammelt. Meine ganze Kindheit lang war ich draußen. Als ich dann nach Paris zog, war ich nur noch drinnen. Ich habe mich irgendwann damit abgefunden, aber ich vermisste die Natur sehr.

Angeblich verwandeln Sie sich bisweilen selber in eine Pflanze.

Ja, beim Fliegen, was ich oft tun muss.

Sie pendeln zwischen Florida, wo Sie wohnen, New York, wo das amerikanische Büro sitzt, und Mailand, der Schaltzentrale von Bottega Veneta.

Fliegen ist ein notwendiges Übel. Wenn man erst mal in der Maschine sitzt, gibt es kein Entkommen. Nebenan sitzt einer, der zehn Stunden lang auf einen einquasselt, nur weil man drei Worte zu ihm

gesagt hat. Es gibt Essen, das nicht schmeckt. Es riecht nicht gut. Und - oh, hat der Nachbar jetzt seine Hand auf meinem Arm? Also setze ich einen Kopfhörer auf, klinke mich aus, bin nicht mehr

ansprechbar; wie ein Gewächs.

Als Sie bei Bottega Veneta anfingen, haben Sie erst einmal alle sichtbaren Logos von den Sachen verbannt. Das war mutig.

Und viele Leute sagten damals: Du wirst das nicht durchhalten, Du wirst bald weg sein vom Fenster, so kann man doch keine Firma leiten. Es waren die späten Neunziger, die große Zeit der Logos und des

Geglitzers. Diese Überdosis war überwältigend, und sie widerte mich an. Ich wollte ein Produkt, das sich nur dadurch auszeichnet und das man nur daran erkennt, wie es gemacht ist. Ich dachte: Wenn es mir so geht, wird es auch anderen so gehen. Also haben wir die Logos verbannt, alle Stoffe mit Logomuster verbrannt.

Stimmt es, dass Sie die Etiketten aus

Ihrer eigenen Kleidung heraustrennen?

Sure.

Darf ich mal sehen?

Ja, aber in diesem Pullover ist das Label noch drin; "Tomas Maier", meine eigene Linie. Ich schneide auch da die Schildchen raus, aber nur, wenn sie direkt auf der Haut liegen. Ich mag das Gefühl von Etiketten auf der Haut nicht. Wenn ein Stuhl ein Etikett an der Seite hat, schneide ich es auch weg. Wenn man ein Schild entfernen kann, ohne das Produkt kaputtzumachen, weg damit.

Weil es neureich wirkt?

Weil es unnötig ist. Wozu braucht man

Logos? Ein gutes Teil ist wiedererkennbar durch sein Design.

Sie finden alles unnötig, was keine Funktion hat. Aber Sie besitzen zwei Chihuahuas. Die gelten spätestens seit Paris

Hilton als reine Deko-Objekt e, oder?

Sie können das doch nicht dermaßen verallgemeinern! Nur weil irgendwer sein Tier bloßstellt, haftet doch kein

Makel an der Rasse. Es ist wie in Deutschland mit dem Pudel. Der Pudel ist der pfiffigste Hund der Welt. Aber sein Ruf ist ruiniert, weil die Leute ihn veralbern. Ich hasse es, wenn Tiere manipuliert und verbogen werden, wenn man sie frisiert. Mit den Chihuahuas ist es das Gleiche. Chihuahuas sind extrem schlau, eine der ältesten Hunderassen der Welt. Leute wie Paris Hilton lassen sie aussehen wie Volltrottel. Wenn man sie aber sein lässt, wie sie sind, sehen sie verdammt gut aus. Und haben großartige Persönlichkeiten.

Eine Ledertasche von Bottega Veneta, in die kaum mehr hineinpasst als Kreditkarte, Schlüssel und Handy, kostet ab 1000 Euro. Warum müssen die Sachen so teuer sein?

Der Preis von Mode hängt davon ab, wie etwas angefertigt ist, welche Materialien man verwendet, wie es verarbeitet ist, wo es hergestellt wird. Bottega Veneta ist ja eine italienische Firma, ich versuche also, die meisten Sachen in Italien produzieren zu lassen. Andererseits: Produkte, die anderswo besser gemacht werden als in Italien, machen wir dort. In Deutschland zum Beispiel. Unser Schmuck kommt aus Pforzheim. . .

. . . der ehemaligen Goldstadt, in der Sie auch aufgewachsen sind . . .

. . . ja, und unser Porzellan aus Berlin.

Ist es wahr, dass Sie Ihre Waschmaschine aus Deutschland importiert haben?

Nein, man kann sie auch in den USA kaufen. Wer nur ein bisschen schlau ist, der weiß, dass deutsche Waschmaschinen die besten sind.

Sie sind deutschen Produkten überhaupt sehr treu; Sie fahren Porsche 911. W ie passt das zu Ihrem Logo-Ekel?

Dieses Auto ist nun einmal großartig

designt. Und es hat kein Logo.

Wie das? Haben Sie was drübergeklebt?

Porsche hat es für mich rausgenommen.

Wahnsinn. Das charakteristische Flechtmuster von Bottega Veneta ist übrigens mittlerweile fast eine Art Logo. Ähnlich wie die Noppen an den Tod's-Schuhen.

Nein, das Intrecciato ist kein Logo. Es ist eine Technik. So hat Bottega Veneta in den Sechzigern angefangen: Eine Tasche hat zwei ineinander verwebte Lagen Leder, so weich wie Handschuhleder.

Bottega Veneta bedeutet übersetzt "venezianische Werkstatt". Sie plädieren für ein Comeback des Handwerks, nicht?

Ja, wir haben ein Programm entwickelt für arbeitslose Frauen mittleren Alters: Mit 50 findet man schließlich nicht mehr so leicht einen Job wie noch mit 20. Und auf unserer Scuola della Pelletteria

können junge Leute das Kunsthandwerk lernen. Die Technologie ist nicht der einzige Weg; auch mit den eigenen Händen kann man sehr, sehr erfolgreich sein.

Wo Sie die authentischen Dinge so schätzen: Wie kommt's, dass Sie in Palm Beach in Florida leben, wo alles manikürt ist?

Waren Sie schon mal in Palm Beach?

Nein. Aber man sagt, dass es da so ist.

Erstens: In Palm Beach lebe ich nur im Winter. Und zweitens: Dort, wo ich wohne, ist es überhaupt nicht manikürt. Es wuchert da sogar ganz schön .

Ihre Models sehen immer sehr adrett aus, wie kleine Tippi Hedrens. Ist das Ihr weibliches Idealbild?

Unsinn. Nur weil eine Frau blond ist und die Haare hochgesteckt hat, denkt jeder sofort an Tippi Hedren. Ich bitte Sie, das ist wirklich nicht die einzige Möglichkeit, etwas zu betrachten.

Welche fünf Teile muss die Frau von heute im Kleiderschrank haben?

Jeans. T-Shirt. Kaschmir-Cardigan.

Flache Schuhe. Und eine funktionelle

Tasche, die sie immer und überall tragen kann, am Abend, ins Büro, auf der Schulter, in der Hand.

Und worauf kann sie verzichten?

Pelz. Niemand braucht Pelz. Ich bin ziemlich angeekelt, wie viel Pelz gerade wieder auf den Laufstegen zu sehen war.

Immer wenn sich Marc Jacobs in Schale wirft, trägt er eines Ihrer Sakkos. Ein

Riesenkompliment, oder?

Das ist nett. Ich bin dankbar dafür. Marc ist ein netter Typ.

Das klingt nicht sehr begeistert. Personenkult ist wohl nicht Ihr Ding?

Ich bin der beste Beweis, dass man das nicht braucht, um erfolgreich zu sein. Ich muss nicht wissen, was andere Leute in

ihrem Privatleben machen, wen sie daten oder was sie gestern zum Dinner getragen haben. Für mich ist nur interessant, was

jemand macht.

Die mächtige Kritikerin Suzy Menkes schreibt, Ihre Intelligenz sei außergewöhnlich. Gibt es eine Mode-Intelligenz?

Wir werden ja sehen, am Ende. Die Mode ist ein Business, und in diesem Business braucht man eine Meinung. Eine Vision. Wenn du nichts zu sagen hast, ist da kein Platz für dich. Und dann ist die Mode auch noch ein sehr großes Business. Man sollte sich besser sicher sein, was man tut; wenn nicht, wird das Konsequenzen haben für

alle, die hinter dir stehen und die von dir abhängig sind. Ich schätze mal: Manche Leute verstehen das besser als andere, ja.

Gibt es denn dumme Designer?

Ich spreche nie über meine Kollegen. Überhaupt umgebe ich mich nicht wirklich mit diesen Modeleuten. Ich gehe mit den

Menschen um, mit denen ich zusammenarbeite, Fotografen oder Leute, die sich um Haare, Make-up oder die Musik kümmern. Aber ich bin in der Modewelt nicht wirklich sozialisiert, und ich verbringe meine Freizeit nicht mit anderen Designern. Ich habe also keine Ahnung.

Sie sind jetzt ziemlich genau zehn Jahre bei Bottega Veneta. Sind Sie glücklich?

Klar. Absolut. Warum sollte ich nicht?

Weil Sie es selber gesagt haben: "Leute wie ich können nie glücklich sein."

So war das nicht gemeint. Was ich meinte, war: Man kann die Dinge immer besser machen. Wissen Sie, eine Frage bleibt

immer offen. Alles ist Improvisation.

Alles spricht immer noch über den Rauswurf von John Galliano bei Dior; Karl

Lagerfeld verglich den Beruf des Chefdesigners mit dem eines Spitzensportlers. Was sagen Sie, als Creative Director dieses Lifestyle-Imperiums: Wie groß ist der Druck wirklich?

Da ist sehr viel Druck. Als Kreativdirektor bist du für alles nur irgendwie Kreative verantwortlich. Die Bilderwelten. Die Anzeigenkampagne. Die Modenschauen. Die Produkte. Das Interior in der Boutique, die Gestaltung der Schaufenster, die Musik, die man hört, wenn man die Boutique betritt. Der Parfumständer im Kaufhaus? Sogar für den bist du verantwortlich. Wer mit dieser Art der Verantwortung nicht umgehen kann, der hat nicht den richtigen Job. Man muss aber ja auch nicht Creative Director werden und alles auf seine Kappe nehmen. Man kann trotzdem ein kreativer Mensch sein, ein Designer: ein Kollektions-Designer, der für Damenmode verantwortlich ist, für Herrenmode oder Handtaschen. Du musst den Stress nicht haben, wenn du ihn nicht aushältst. Mir macht er nichts aus. Ich mag ihn sogar.

Tomas Mai er wurde 1957 als jüngstes von drei Kindern in Pforzheim geboren; der Vater war ein angesehener Architekt. Mit 19 ging er nach Paris, um an der "Chambre Syndicale de la Haute Couture" Mode zu studieren. Nach seinem Abschluss arbeitete er für Häuser wie Guy Laroche, Sonia Rykiel und Hermès. 1997 zog er mit seinem Lebensgefährten nach Florida, wo die beiden die Bade- und Freizeitmodelinie "Tomas Maier" gründeten, die heute in mehr als 30 Ländern verkauft wird. 2001 wurde der 45-jährige Maier Kreativdirektor von Bottega Veneta, jener in den 60er Jahren in Vicenza gegründeten Marke, die dank Fans wie Andy Warhol kurz Jetset-Favorit war, bald aber rote Zahlen schrieb und von der zum PPR-Konzern gehörenden Gucci-Gruppe aufgekauft wurde. Maier baute die Marke völlig neu auf. Zuerst lancierte er Handtaschen, später auch Mode, Accessoires, Schmuck, Einrichtungsstücke, Reisegepäck und Raumdüfte. 2010 war ein Rekordjahr für Bottega Veneta: Der Gesamtumsatz lag bei 510,6 Millionen Euro; seit 2001 hat er sich mehr als vervierzehnfacht.

© SZ vom 26.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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