Erste Hilfe in Notfällen:"Das einzig Falsche ist, nichts zu tun"

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Ein Rettungsfahrzeug im Notfalleinsatz. Bis professionelle Hilfe kommt, sollte man unbedingt mit der Ersten Hilfe beginnen. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Am BGH wird ein Fall verhandelt, in dem Lehrer ein Kind nicht reanimierten. Warum zögern so viele Leute, zu helfen? Ein Gespräch mit Peter Sefrin vom Roten Kreuz.

Interview von Regina Steffens

Der Bundesgerichtshof verhandelt aktuell über einen tragischen Fall aus dem Jahr 2013: Ein 18-Jähriger aus Wiesbaden sackt im Sportunterricht beim Aufwärmen bewusstlos zusammen. Die beiden Lehrer rufen den Notarzt, bringen den Jugendlichen in die stabile Seitenlage und fühlen den Puls, eine Herzdruckmassage machen sie nicht. Der Schüler erleidet schwere Hirnschäden durch Sauerstoffmangel. Er hat das Bundesland Hessen wegen unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen der Lehrer unter anderem auf 500 000 Euro Schmerzensgeld verklagt, der BGH will sein Urteil in zwei Wochen sprechen. Der Fall löst eine Gedankenspirale aus: Wie lang ist mein letzter Erste-Hilfe-Kurs her? Herzdruckmassage, wie geht das noch mal? Und was, wenn ich den Verletzten damit noch mehr verletze? Peter Sefrin, Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes, erklärt, worauf es im Notfall ankommt - und warum die Deutschen so viel Angst haben, Erste Hilfe zu leisten.

SZ: Herr Sefrin, was schreckt Menschen davor ab, Erste Hilfe zu leisten?

Peter Sefrin: Fast immer ist es die Angst, etwas falsch zu machen. Und viele Leute fürchten auch, für Fehler haften zu müssen.

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:Kollaps im Sportunterricht - tragischer Fall vor dem BGH

Ein Schüler bricht zusammen, die Lehrkräfte reanimieren nicht, sondern warten auf den Notarzt. Der junge Mann ist nun schwerbehindert - und der BGH muss die Schuld der Pädagogen beurteilen.

Der Gedanke klingt ja berechtigt.

In Wahrheit ist es so: Wenn man Erste Hilfe leistet oder es auch nur versucht, ist man so gut versichert wie sonst nie. Ersthelfer sind automatisch unfallversichert.

Was kann man denn falsch machen?

Das einzig Falsche ist, nichts zu tun. Ich erinnere mich an eine Geschichte, bei der ein Mann starb. Es war nur ein leichter Autounfall, aber weil er nicht richtig angeschnallt war, prallte er mit dem Kopf gegen die Scheibe und verlor das Bewusstsein. Man hätte nur den Gurt lösen und seinen Kopf nach hinten überstrecken müssen, dann hätte er überlebt.

Wie schwer eine Verletzung ist, sieht man als Laie nicht. Irgendwo müssen die Ängste und Hemmungen ja herkommen.

Die Menschen denken bei Erster Hilfe oft an extreme Verkehrsunfälle und Reanimation. Das überfordert sie. Tatsächlich wird Erste Hilfe am häufigsten zu Hause gebraucht - bei Blutungen, Atemnot oder Bewusstlosigkeit. Es ist wichtig, zu wissen, wie die stabile Seitenlage geht, außerdem einen Druckverband anlegen und, auch wenn es zu Hause seltener vorkommt, eine Herzdruckmassage ausführen zu können.

In Norwegen haben die Menschen weniger Angst, gerade vor einer Reanimation. 70 Prozent der Ersthelfer dort beginnen sofort mit einer Wiederbelebung, in Deutschland nur 34 Prozent.

Ja, wir zögern mehr. Das liegt daran, dass der Erste-Hilfe-Kurs im Durchschnitt 13 Jahre zurückliegt. Natürlich ist man dann unsicher und muss sich erst einmal erinnern: Was tue ich jetzt? Dabei geht wichtige Zeit verloren. Einige Menschen sind in so einer Akutsituationen nahezu gelähmt, wie Salzsäulen, und vergessen die Notrufnummer 112. In Skandinavien ist das ganz anders. Bereits Kinder können reanimieren, weil sie es in der Schule lernen.

Peter Sefrin, 77, ist Bundesarzt beim Deutschen Roten Kreuz. Seit 55 Jahren bildet er Ersthelfer aus. Der emeritierte Professor für Anästhesiologie empfiehlt, alle fünf, sechs Jahre einen Erste-Hilfe-Kurs zu machen. (Foto: Clemens Bilan/DRK)

Warum ist das bei uns nicht so?

Baden-Württemberg zum Beispiel ist sogar schon relativ weit. Lehrer können sich dort von Hilfsorganisationen fortbilden lassen. Das Problem ist, dass es oft an Personal fehlt, viele Rettungssanitäter engagieren sich ehrenamtlich und müssen tagsüber selbst arbeiten.

Was halten Sie von einer Erste-Hilfe-Kurs-Pflicht?

Nicht so viel. Wir merken es beim Führerschein: Man macht den Kurs eben, um die Fahrerlaubnis zu bekommen. Das steigert aber nicht die Motivation. Im Gegenteil: Wird die Erste-Hilfe-Ausbildung erzwungen, erzeugt das eher eine Abwehrhaltung.

Wie motivieren Sie die Menschen?

Wir versuchen, die Ausbildung vermehrt an Aktivitäten anzuknüpfen, die die Leute sowieso ansprechen. Zum Beispiel bieten wir Kurse für Mütter an, wo neben den Grundlagen auch gezeigt wird, wie man Kinder rettet, die etwas verschluckt haben. Oder Kurse, die auf Sportarten oder Berufe angepasst sind wie bei Waldarbeiten. Eben da, wo es schnell mal gefährlich werden kann. Waldarbeiter ist aber ja längst nicht jeder. Das stimmt. Im Privaten ist es jedem selbst überlassen, sich auf Notsituationen vorzubereiten. Unternehmen müssen zumindest einen Betriebs-Ersthelfer schulen, also einen Mitarbeiter, der seine Erste-Hilfe-Kenntnisse immer wieder auffrischt.

Hat sich die Erste Hilfe verändert?

Früher waren die Kurse zweitägig, heute sind es an einem Tag neun Einheiten à 45 Minuten. Und natürlich entwickelt sich die Medizin weiter. Vor ein paar Jahren musste man sich noch sieben Schritte für die stabile Seitenlage merken, heute sind es fünf. Auch deshalb lohnt es sich, alle fünf, sechs Jahre einen Kurs zu machen.

© SZ vom 22.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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