Erste Hilfe:Ein Leben retten, wie geht das?

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Man rechnet im Alltag nicht unbedingt damit. Wenn es dazu kommt, sollte man wissen, wie Erste Hilfe funktioniert. Unser Autor wusste es nicht.

Von Bernhard Heckler

Manchmal bricht das Leben mit einer Wucht herein, mit der man nicht rechnet.

Noch schnell raus aus der Wohnung, hinein in den Schwabinger Frühlingsabend, ein Eis holen. Die Bäume sind grün. Wir sind zu viert. Wir reden und lachen und spazieren. In einer besonders schönen Straße laufen wir in eine Szene, die wir zuerst nicht begreifen.

Zwei Personen stehen in einem Hauseingang, neben ihnen liegt ein Mann mit dem Gesicht nach unten auf dem Asphalt. Der Mann ist groß und kräftig, er liegt da wie gefällt. Ein Rinnsal aus Blut läuft über den Bordstein. Mehr Passanten bleiben stehen. Jemand sagt, er habe beobachtet, wie der Mann getorkelt und dann ungebremst auf sein Gesicht gefallen sei. Wahrscheinlich sei er sehr betrunken. Zwei Minuten lang passiert gar nichts. Dann erwachen wir.

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Ein Leben retten. Wie geht das?

Dem Notruf sage ich, der Mann sei bewusstlos und nicht ansprechbar, aber er atme noch. Jemand hat gesagt, dass er noch atmet. Er sei wohl sehr betrunken, sage ich.

Zusammen versuchen wir, uns zu erinnern, wie die stabile Seitenlage funktioniert. Weil der Mann so groß und schwer ist, braucht es drei Personen, um ihn zur Seite zu drehen. Ich schaffe es nicht, mich ihm zu nähern. Ich sehe ihm nicht in sein Gesicht. Bis heute weiß ich nicht, wie er aussieht. Stattdessen blicke ich auf die andere Straßenseite, da steht eine Frau, die uns von ihrem Balkon aus beobachtet. Sie sieht, dass ich sie ansehe und schaut zurück.

Die Halspartie des Mannes verfärbt sich bläulich. Ein Leben retten. Wie geht das? Sechs Personen stehen da und wissen es nicht.

Der Rettungswagen kommt schnell. Eine Frau winkt ihn herbei. Auch als der Fahrer uns schon längst gesehen hat, winkt sie noch. Es ist das, was sie gerade tun kann. Ein Notfallsanitäter steigt aus. Er rüttelt den Mann, fühlt den Puls, dann geht es ganz schnell. "Reanimieren", ruft er. Er rennt zum Wagen und holt einen Koffer, ein zweiter Sanitäter kommt hinzu. Sie drehen den Mann auf den Rücken und drücken rhythmisch und hart auf sein Herz. Ein Mann geht zu seinem Auto und öffnet die Seitentür. Das Licht aus dem Innenraum soll den Rettungskräften helfen, es ist kaum stärker als das eines Handydisplays. Er solle die Tür wieder schließen, sagt einer der Sanitäter. Der Mann fragt: "Kann ich sonst irgendetwas tun?"

"Trauen Sie sich zu drücken?" Ein kurzer Moment des Zögerns, dann sagt der Mann: "Ja." Er drückt auf das Herz, während die Sanitäter den Defibrillator laden. Er solle sich nicht davon irritieren lassen, wenn die Rippen brechen, das passiere, sagt ein Sanitäter, und dann: "Geladen, weg vom Patienten."

Der große, starke Körper des Mannes zuckt. Dann wieder Herzdruckmassage. Aus einem Einsatzfahrzeug steigt ein Notarzt. Er sagt: "Alle ein paar Meter zurück." So stehen wir dann da, plötzlich nicht mehr Teil der Situation, sondern Beobachter. Die Blaulichter erhellen den Unfallort. Betreten warten wir noch ein paar Augenblicke, dann verabschieden wir uns von den Umstehenden, wenden uns ab und gehen. Wir wollen dem sterbenden Mann nicht auch noch durch Zuschauen seine Würde nehmen.

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