Behindertensport:Bewegungslos etwas bewegen: Ronny Ziesmer will nach Rio

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Leipzig (dpa) - Ronny Ziesmer liebt die körperliche Quälerei. Das muss er auch, denn ohne das Überschreiten eigener Grenzen bleibt man als Leistungssportler nur Mittelmaß. Doch mittelmäßig wollte Ziesmer nie sein - als Turner war er einer der Besten Deutschlands.

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Leipzig (dpa) - Ronny Ziesmer liebt die körperliche Quälerei. Das muss er auch, denn ohne das Überschreiten eigener Grenzen bleibt man als Leistungssportler nur Mittelmaß. Doch mittelmäßig wollte Ziesmer nie sein - als Turner war er einer der Besten Deutschlands.

„Wenn man nach einem Training erschöpft ist und merkt, man hat etwas geschafft und es geht vorwärts - das ist nach wie vor toll und ein Gefühl, welches ich nicht missen möchte“, sagt der 35-Jährige. Und dieses Gefühl stellt sich des öfteren bei Ziesmer ein. Denn der Cottbuser trainiert zehn Jahre nach seinem verhängnisvollen Trainingssturz wieder mit ungebrochenem Willen und Ehrgeiz. Sein Ziel sind die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro: „Das ist meine Motivation.“

Die Bewegung war Ziemers Lebensinhalt, zu 100 Prozent. Als Turner konnte er Dinge, die nicht viele können. In der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Athen stürzte der Ringe-Spezialist am 12. Juli 2004 in Kienbaum schwer und brach sich zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel das Rückgrat. Nun ist er Schwerst-Tetraplegiker, ein vom Hals abwärts an allen Gliedmaßen Gelähmter. Von den einst unerschöpflich scheinenden 100 sind nur noch wenige Prozent geblieben. Aber Stillstand ist nichts für Ziesmer - obwohl fast bewegungsunfähig, ist er stets in Bewegung und sucht Herausforderungen. Seine Neue: Er wechselte vom Handbike in den Rennrollstuhl.

„Durch die für mich ungünstige Einteilung der Schadensklassen beim Handbike wäre ich da niemals zu den Paralympics gekommen. Im Rennrollstuhl ist sie differenzierter und besser“, erklärt Ziesmer, der dreimal mit dem Handbike den Berlin-Marathon absolvierte. Zudem sei der Anspruch größer: „Denn ins Handbike kann sich eigentlich jeder setzen und losfahren.“

Zweimal täglich schuftet der einstige deutsche Mehrkampf- und Ringe-Meister, der die Stiftung „Allianz der Hoffnung“ gründete, mehrere Stunden für seinen Traum von Rio. Es ist jedoch kein leichtes Unterfangen. Angefangen bei der Grifftechnik, um den Rolli in Schwung zu bringen, schnell und in der Spur zu halten. „Das zu erlernen ist ein langwieriger Prozess, der schon mal Jahre dauern kann. Man braucht Trainingsalter und das habe ich noch nicht“, erklärt Ziesmer. Was andere abschrecken würde, reizt ihn umso mehr: „Durch die technische Komponente muss ich meinen Kopf mehr anstrengen und das gefällt mir.“

Auch für die Erarbeitung eines adäquaten Ausdauerniveaus seien mit Blick auf Rio 2016 zwei Jahre „verschwindend gering. Aber ich sage immer: Fleiß wird belohnt, von daher ist alles machbar.“ Die EM der Sportler mit Handicap in der vergangenen Woche verpasste Ziesmer zwar, weil er die Nominierungsnormen nicht erfüllte. Aber die Hartnäckigkeit, Disziplin und der Ehrgeiz, Eigenschaften die Ziesmer als ehemaliger Hochleistungssportler verinnerlicht hat und heute noch abruft, zahlen sich peu à peu aus. Im März startete er in Dubai erstmals bei einem Weltcuprennen und gewann. „Wenn Ronny weiter so fleißig trainiert, kann er es auf jeden Fall schaffen“, hofft auch Bundestrainer Willi Gernemann.

Bei seiner neuen sportlichen Herausforderung konzentriert sich der ehemalige Sportsoldat, der mit bemerkenswerter Courage sein Studium der Biotechnologie absolvierte, auf die 100 und 400 Meter. Am schwierigsten war für ihn die Umstellung auf die Ausdauerleistung, speziell über 400 Meter. „Da ich vom Turnen komme, kann ich Belastungen bis zu einer Minute gut ab. Bis 200 Meter geht es ganz gut, aber alles da drüber hinaus ist schon ätzend“, erzählt Ziesmer und lacht.

Geduld sei auch nicht seine Stärke. „Im Turnen habe ich neue Elemente schnell erlernt. Jetzt muss ich mich Monate quälen, um zum Beispiel meine Grundlagenausdauer um 1 km/h anzuheben. Das ist schon nervig“, bekennt Ziesmer und macht dann wieder eines: Trainieren bis über die Schmerzgrenze.

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