Der Mann kam mir schmächtig vor, klein und zerbrechlich, und er nuschelte, weil ihm im Gefängnis einmal jemand den Kiefer gebrochen hatte. Er war schon 61 Jahre alt, als er mal wieder vor dem Amtsgericht Hamburg-Barmbek angeklagt wurde. Aber diesmal, 2011, stand vor dem Saal die Kunstszene Schlange. Galeristen, Journalisten, Fans. Denn kurz zuvor hatte sich zum ersten Mal herumgesprochen, dass einer der produktivsten und auch am meisten bewunderten Graffiti-Sprayer der Stadt - Künstlername "OZ" - jener Walter F. war.
Seine psychedelischen Muster kannten viele. Sie schmückten alte Mauern in Hamburg, schlängelten sich entlang der S-Bahn-Linie. Nun lernten manche erstmals die Person dahinter kennen - und protestierten gegen das Strafgericht. Eine Gruppe aus der linksalternativen Hamburger Szene schrieb auf einem Flugblatt: "Wer mag, stelle sich vor, Banksy hätte nicht im hippen London, sondern im schillernden Hamburg gelebt", und schloss daran die rhetorische Frage an: Hätte der englische Graffitikünstler, dessen Dokumentarfilm "Exit through the gift shop" damals gerade für den Oscar nominiert war, dann auch - wie Walter F. in Hamburg - insgesamt acht Jahre seines Lebens wegen Sachbeschädigung hinter Gittern verbracht?
Ich muss heute immer an Walter F. denken, wenn ich in Berlin an den Plakaten für eine neue, "unautorisierte" Banksy-Kunstausstellung vorbeikomme, bei der die Tickets 20 Euro aufwärts kosten sollen. Street Art - aber hinter Vitrinenglas. Natürlich gilt für Banksy juristisch nichts anderes als für Walter F. Auch "große" Künstler haben nicht das Recht, ungefragt fremde Häuser zu bemalen. Der Unterschied ist bloß: Banksy entzieht sich allen Enttarnungsversuchen mit der Eleganz eines Meisterdiebs. Walter F. hingegen ließ sich sogar noch während seines laufenden Prozesses 2011 erneut auf frischer Tat ertappen.
Eine Episode aus diesem Prozess hat mich trotzdem nachdenklich zurückgelassen, auch was unser Recht betrifft. Es ging um einen Tatort in der Hamburger Schomburgstraße. Es war Sommer, die Anwohner hatten gegrillt und dabei zusehen können, wie ein kleiner, älterer Mann auftauchte und den Weltkriegsbunker vor ihrer Haustür säuberte. Er schnitt Gestrüpp zurück, überstrich Flecken. Dann legte er los - und malte ein farbiges Muster, das sich einmal um den ganzen Bunker herum erstreckte, gelbe und rosafarbene Strahlen, die sich bogen und verknoteten, mit unzähligen kleinen schwarzen Punkten dazwischen.
Manche dieser Anwohner brachten ihm Würstchen - und wunderten sich dann ein Jahr später, als die Staatsanwaltschaft Walter F. auch für diese künstlerische Leistung ins Gefängnis schicken wollte. Der Bunker sei "öffentliches Eigentum", beharrten die Strafverfolger streng. Das Urteil - ein Jahr und zwei Monate Haft - wurde erst in der zweiten Instanz zu einer Geldstrafe abgemildert. Drei Jahre später, im Alter von nur 64 Jahren, starb Walter F.