Adventskalender:Kitsch gegen die Krise

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Überzuckerte Giebelhäuschen, ökologisch korrekte Esel, Sternen-Kampfjäger und vieles mehr: Adventskalender boomen wie niemals zuvor.

Joachim Käppner

Man fängt Texte eigentlich nicht "Mit früher war das so" an. Aber früher war alles ganz anders, und das war so: Es gab vom 1. Dezember an kleine Stofftaschen, für jeden Morgen eine, mit Leckereien drin: Dominostein, Schokokringel, Gummibär. Nostalgiker machen das immer noch, und klar: Die Kinder freuen sich.

Der Renner bei den Adventskalender in diesem Jahr: reiner, ungebrochener Kitsch. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Aber die Zeiten sind streng, und die politisch bewusste Elternschaft sorgt sich, ob 24 kleine Geschenke das ohnehin nicht schwach ausgeprägte Konsumdenken der Kleinen vielleicht auf unheilvolle Weise bestärken. Und Süßigkeiten? Um Himmels willen. Der Bub kommt ohnehin von jedem Kindergeburtstag zurück, als wäre er auf einer Verkostung bei Haribo gewesen. Und wer soll das Ding basteln? Die Eltern selbst? Unmöglich. Keine Zeit.

Diese Probleme des modernen Stadtmenschen haben aus Bettina Foltz eine Expertin gemacht, eine Fachfrau für das Schenken. Das Schenken zu Weihnachten, natürlich, aber mehr und mehr auch schon zum Advent. Sie leitet die Kinderbuchabteilung der Buchhandelsfiliale Hugendubel am Münchner Stachus. Als sie vor einigen Jahren hier angefangen hat, "hing noch eine kleine Auswahl von Kalendern in einer Ecke".

Heute sind es Dutzende, ach was, Hunderte in allen Formen und Formaten, in Form spitzwegartiger Häuserzeilen, herrlicher Paläste, Büchern mit Kläppchen, gruselig rosa Lilifee-Kartons und eines kompletten Sets aus Star Wars, samt Rebellen-Jäger und dem Tie Fighter des Dunklen Lords; es gibt Spielzeugsets von Playmobil (niedlich: Rehfütterung im Winterwald) und die doch eher unweihnachtliche, aber äußerst beliebte Adventsabenteuerbox der " Drei Fragezeichen".

Der absolute Renner aber, sagt die Buchhändlerin, sei "in diesem Jahr die Nostalgie". Der Kitsch. Reiner, ungebrochener Kitsch. Wenn die Krise noch da wäre, was sie angesichts des reißenden Absatzes auch preislich gehobener Kalender aber erkennbar nicht mehr ist, dann also böte sich an, die Flucht vor der betrüblichen Realität als Motiv zu vermuten. Da drehen sich blondgelockte Kindlein auf einem Karussell voll lieblicher Tierfiguren, überzuckert mit jenem Glitzerkram, der wie Hölle an Händen und Hosen pappt. Es sieht aus wie das Feindbild Weihnachten von Leuten, die Heiligabend lieber gleich im Gasthaus zum Humpen verbringen. Aber es gibt auch schöne, altmodische Kalender, und wenn die kitschig sind, dann sei es so.

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Woher kommt der Kalenderboom, Frau Foltz? Sie hat darüber nachgedacht. Erstens, sagt sie, weil die Leute weniger selbst basteln, zweitens aber, weil sie inzwischen vor Heiligabend so im Stress sind, dass sie vieles versäumen: kleine Präsente, Weihnachtskarten und so. Der Kalender zu Adventsbeginn hilft aus der Klemme: eine persönliche Gabe, bei Verwandten, Freunden, Kindern beliebt.

Wer will, kann aus der Kalenderflut einige hübsche gesellschaftliche Befindlichkeiten herauslesen. Für Bioleute empfiehlt sich der ökologisch korrekte Puzzle-Adventskalender, aus dem täglich eine Holzfigur purzelt, Ente, Pferd oder Stern, "aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und kontrollierten Quellen"; und was immer eine kontrollierte Quelle sein mag, so enthält der Begriff für den Ökobürger doch eine doppelte Verheißung: die nämlich, sich als vorbildlicher Mensch zu zeigen und gleichzeitig um das Vorhandensein einer gut deutschen Kontrollinstanz zu wissen.

Interessanter ist der Kalender des Typs "rebella", der verspricht "spice up your X-mas!", übersetzt etwa: "Gib deinem Weihnachtsfest Würze", letzteres durch "Orakelspaß" sowie 24 coole Sprüche. Doch selbst die Jugend von heute kauft sich die Rebellion nicht vorgefertigt. Frau Foltz beobachtet, dass "Rebella" eher bei erwachsenen Damen gefragt ist, möglicherweise zu demonstrativen Zwecken im häuslichen Bereich.

Eine Kundin tritt hinzu. Ob es einen Vampir-Kalender gebe, für die Tochter? Das verblüfft selbst Frau Foltz, und man stellt sich den Blutsauger-Adventskalender vor; jeden Tag läge ein kleiner Dunkelmann mit spitzen Zähnen hinter dem Türchen.

Aber das gibt es noch nicht. Jedenfalls nicht dieses Jahr.

© SZ vom 27.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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