Vor ziemlich genau drei Jahren machte Kurt Masur seine Parkinson-Erkrankung bekannt und trat dann noch einmal ans Dirigentenpult der New Yorker Philharmoniker: Brahms, das Doppelkonzert. Eigentlich lehnte er eher an dem Pult, dem man rücklings ein Geländer angebaut hatte; er war schon sehr gezeichnet. Aber das New Yorker Publikum feierte ihn bereits beim Reinkommen so besonders frenetisch, dass man spürte: Hier sollte nicht nur ein Kranker aufgemuntert und die Wehmut eines Abschieds übertönt werden, sondern hier applaudierten die New Yorker gewissermaßen auch sich selbst, und zwar dafür, dass sie diesen Mann 1991 in die Stadt geholt hatten, auf dass er ihr etwas heruntergekommenes Orchester wieder aufrichte - und sie gleich mit.
Das Selbstbewusstsein einer Stadtgesellschaft hängt selbst an einem Ort wie New York auffällig am Prestige seines Orchesters, und mit Masur holten sie sich eine echte historische Heldenfigur, die das gerade in den USA als Sieg empfundene Ende des Kalten Krieges mitgeprägt hatte. Und sie bekamen innerbetrieblich eine Respektsperson mit ausgeprägtem Bewusstsein für das, was auch und vor allem New Yorker mit Philharmoniker-Dauerkarte zum Ticken bringt: Macht.
Er schien den Staat in der Hand zu haben
Wenn man da nun dabeisaß und den Brahms hörte und die Wertschätzung der New Yorker nicht nur für den Musiker, sondern für die Persönlichkeit Kurt Masur zu spüren bekam, dann war der am weitesten entfernte Ort, an den einen die eigenen Erinnerungen da tragen konnten, sicherlich die Stadt Dresden in den späten Jahren der DDR. Andererseits war aber auch die Entfernung zwischen Kurt Masurs Leipzig und Dresden immer schon gewaltig, denn wozu sollte man sich mit einer genauso großen Nachbarstadt befassen, wenn aller Groll, Neid und offener Hass in beiden Orten gleichermaßen ganz der Hauptstadt galten. Aber dass für Masurs Gewandhausorchester der aufwendigste Konzertsaal des Landes errichtet wurde, ließ sich schlecht nicht mit offenem Mund bestaunen.
Es wurde, wenn die Erinnerung an die Gespräche der Älteren nicht trügt, immer dem Einfluss Masurs zugeschrieben, den teuren Bau durchgesetzt zu haben. Die ganz Alten hatten ihn noch als jugendlichen Chefdirekten der Dresdner Philharmoniker erlebt, und immer mal wieder erwähnte auch jemand "die Sache mit dem Autounfall", bei dem 1972 Masurs erste Ehefrau und zwei weitere Menschen ums Leben gekommen waren. Der Staat habe seinem jungen, international gefragten Stardirigenten damals eine zweite Chance gegeben - so war die Lesart. Umso mehr verblüffte viele, dass dann eher Masur - eben als internationaler Star und Devisenbringer - den Staat in der Hand zu haben schien.