Zum Tod von Hilla Becher:Neue deutsche Sachlichkeit

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Hilla Becher veränderte mit ihrem Mann Bernd die Fotografie. Ihr Werk war stilbildend. Jetzt ist die große Künstlerin gestorben.

Von Catrin Lorch

Das Mädchen, an das sich Hilla Becher später erinnern wird, hat Schmetterlinge und Insekten gesammelt - wobei der Begriff "Sammeln" zu still klingt: Immerhin muss man Insekten aufstöbern und einfangen. Töten. Konservieren und klassifizieren.

Das ist die Vorgeschichte. Mit 13 schenkt man Hilla Wobeser, die 1934 in Potsdam zur Welt kam, ihre erste Kamera. "Anfangs habe ich alles fotografiert", erzählte sie, "Töpfe, Teller, Tassen." Mit diesen Vorlieben passt es, dass der Fotograf, bei dem sie eine Ausbildung beginnt, direkt an die Fotografie der Neuen Sachlichkeit anknüpfte, dieser klassischen, von Deutschen wie Karl Blossfeldt, August Sander und Albert Renger-Patzsch begründeten Fotografie, die enzyklopädisch und in technischer Perfektion am Bild der Welt arbeitete.

So vorbereitet zieht Hilla in den Fünfzigerjahren nach Düsseldorf, um in einer Werbeagentur zu arbeiten und - im Jahr 1961 - zu heiraten. Was der Kunst und der Fotografie eine ihrer bedeutendsten Signaturen bescheren wird: Bernd und Hilla Becher.

Die junge Frau ist nicht nur von der "Verrücktheit" des drei Jahre Älteren begeistert, in Siegen geboren entstammt er auch einer Landschaft, die sie fasziniert: "Das Ruhrgebiet war damals noch ganz lebendig. Es war voller Hochofenwerke, Hüttenwerke und Bergwerke", sagte sie.

Unterdessen plagte sich ihr Mann, der an der Düsseldorfer Akademie Typografie studiert hatte, mit Zeichenstift und Farbe, die damals schon abgewirtschafteten Reste des Wirtschaftswunders festzuhalten.

So reduziert wie möglich

Erst als sich die beiden beruflich zusammentun, setzt dieses außerordentliche Werk ein, das unter dem Oberbegriff der "Erinnerungsarbeit" nicht nur für Kunst und Fotografie im 20. Jahrhundert als zentral gilt, sondern, wie nebenbei, auch noch den Denkmalsbegriff der Nachkriegszeit prägen sollte: Dass man in Deutschland, vor allem in Nordrhein-Westfalen, Industrieanlagen und Zechen als Denkmäler schätzt und erhält, ist auch eine Folge ihrer Bestandsaufnahmen, die sie weit über das Ruhrgebiet hinaus bis nach Frankreich, in die USA und Nordengland führten.

Sie fotografierten Fachwerkhäuser, Fördertürme, Gasometer. So reduziert, wie das außerhalb eines Studios überhaupt nur möglich ist. Die strengen Schwarz-Weiß-Formate zeigen die Architektur schattenfrei vor milchweißem Himmel, fein gezeichnet.

Darf man fragen, wer von den beiden die so zurückhaltende Bildsprache entwickelt, den Kodex der mehr als fünfzig Jahre währenden Arbeitsbeziehung festgelegt hat? "Ich habe ihn als Chef und er hat mich als Berater akzeptiert", sagte sie wiederholt.

Mit naturwissenschaftlichem Blick fotografierten die Bechers Architektur des Industriezeitalters. Bauten wie die "Wassertürme" (1993) blieben so im Gedächtnis. (Foto: Bernd und Hilla Becher / courtesy Schirmer/Mosel)

Pause war dann, wenn es regnete

Aber beide ließen offen, wer die Autorität über den Auslöser innehatte - auch weil diese Frage wohl nicht entscheidend war, wo es galt, den VW-Bus an entlegenen Industrieanlagen zu parken, über Leitern in Türmen herumzuklettern. Sie wechselten die Negative im selben Bus, in dem sie auch schliefen und kochten. Pause war dann, wenn es regnete oder die Sonne zu grell schien.

So entstanden Hunderte Bilder, die damals noch gar nicht für das Museum bestimmt waren. Zunächst waren es die Denkmalpflege und Architektur-Interessierte, die ein Werk verfolgten, das dem eigenen Metier eine solide Basis einzuziehen schien: Siegerländer Fachwerkbauten, Zechen, Hochöfen - die hoch schätzende Aufmerksamkeit richtete sie für einen Denkmalbegriff zu, der sich bis dahin auf Kirche und Schloss fixiert hatte.

Als sich in den USA dann in den Sechzigerjahren die Konzeptkunst in ersten Schauen entwickelte, waren Bernd und Hilla Becher geladen. Doch während ihre Name jenseits des Atlantiks in einem Atemzug mit On Kawara oder Ed Ruscha genannt wurden und Gilbert & George in Düsseldorf schon mal zu Kaffee und Kuchen vorbeischauten, waren sie als Künstler in Deutschland lange unbekannt, wo Fotografie als Handwerk galt und sich jenseits des Rheinlands noch niemand mit Konzeptkunst beschäftigen wollte.

Erst Harald Szeemanns Documenta änderte das im Jahr 1972. Ein Jahr später werden sie in New York von der Galeristin Ileana Sonnabend ausgestellt, bei der Documenta sind sie fortan Dauergast.

Aber es sind nicht Bernd und Hilla Becher, die in ihrer Heimat ihr Medium durchsetzen. Sondern ihre Schüler. Seit 1976 lehrt Bernd Becher in Düsseldorf, wobei das Paar auch diese Aufgabe in Gemeinschaftsarbeit angeht. Und Generationen von Fotografen prägt - von Candida Höfer über Thomas Struth, Andreas Gursky und Thomas Ruff - die sich bei ihnen Stringenz und Selbstvertrauen abschauen, aber gerne auch in Farbe und Breitwand arbeiten.

Die großformatigen Fotografien aus der "Becher-Klasse" sind bereit für das Museum und für den Kunstmarkt.

Dass ihr epochales Werk ihr anfangs fast peinlich gewesen sei, darauf hat Hilla Becher mehrfach in ihrem Leben hingewiesen: Man habe doch sehr "rückwärts" gedacht, sagte sie im Gespräch mit dieser Zeitung, als sie und ihr Mann sich für den "vergleichenden Ansatz aus dem 19. Jahrhundert" entschieden hätten. "Wunderschöne Vorbilder" für ihre Aufnahmen waren nicht die Aufnahmen von Foto-Pionieren, sondern die feinen Zeichnungen der Naturkundler wie Charles Darwin.

Dem enzyklopädischen Anspruch ihres Mannes gegenüber blieb sie skeptisch

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2007 war es an Hilla Becher, das verwitwete Werk zu vollenden - ohne es zu erfüllen. Dass sie dem enzyklopädischen Anspruch Bernd Bechers gegenüber skeptisch war, hat sie immer betont. Dem "Wir sind nicht fertig geworden" des Sterbenden hielt sie pragmatisch entgegen: "Wir wussten doch, dass wir nicht alles fotografieren konnten."

Sie hat seinen Anspruch akzeptiert, daran abgearbeitet hat sie sich nicht. Und statt sich mit dem Sortieren des Archivs aufzuhalten und sich auf Ausstellungen feiern zu lassen, schleppte sie die Kamera wieder in den Bus und fuhr weiter.

Am vergangenen Sonnabend ist Hilla Becher in Düsseldorf gestorben. Jetzt kann man ein Werk in seiner monumentalen Gesamtheit in den Blick nehmen, das nur der als "Trauerarbeit" apostrophiert, der sich bloß auf Sujets fokussiert. Doch schon als man dem Fotografenpaar im Jahr 1990 auf der Biennale in Venedig einen Goldenen Löwen überreichte, ehrte man ihr "skulpturales Werk".

Ein ebenso bescheidenes wie monumentales Werk

Wer in den Büchern von Bernd und Hilla Becher blättert, dem verbinden sich die Fachwerkbalken, Kohlerutschen, Stahlrohre zu einem stabilen Konstrukt, einer gewaltigen Maschine zum Einfangen von Zeit. Es zeigt: Ganze Epochen und Zeiten können untergehen. Und es war der naturwissenschaftliche Blick, der die Mutation wie den Entwicklungsschub mit der gleichen Aufmerksamkeit notiert, der die Deutschen von ihrer tränenschlierigen Ruinenromantik befreite.

Der Konzeptkunst haben Bernd und Hilla Becher ein ebenso bescheidenes wie monumentales Werk geschenkt - der Fotografie eine ihrer gewaltigsten Expeditionen.

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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