Yuriy Mynenko im Porträt:Musik ist seine Waffe

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Cesare (Yuriy Mynenko) und Cleopatra (Sophie Junker) in George Petrous knalliger Inszenierung. (Foto: Frank Stefan Kimmel)

Der ukrainische Countertenor Yuriy Mynenko war in Odessa, als Putin in sein Land einmarschierte. Jetzt singt er Händel in Göttingen.

Von Alexander Menden

Im ersten Akt von Georg Friedrich Händels Opera Seria "Giulio Cesare in Egitto" besingt der siegreiche Cäsar die Seele seines toten Widersachers Pompeius. In der Produktion der internationalen Händel-Festspiele Göttingen steht der ukrainische Countertenor Yuriy Mynenko bei dieser Arie allein auf der Bühne des Deutschen Theaters. Eine Flammenprojektion züngelt an ihm hoch und hüllt den breitschultrigen Mann im Wüsten-Kampfdress schließlich ein. Es ist ein seltener Augenblick visueller Reduktion in dieser Indiana-Jones-haften Inszenierung, die der Dirigent, Regisseur und neue Künstlerische Leiter in Göttingen, der Grieche George Petrou, mit viel Theaterdonner, Mumiengrusel und gewagten musikalischen Interventionen gespickt hat.

Als Petrous "Cesare" im vergangenen Januar in den Niederlanden Premiere feierte, las man die Feuerszene allenfalls als Illustration eines inneren Loderns der Figur Julius Cäsar. Mittlerweile bedarf es hingegen keines assoziativen Übereifers mehr, bei diesem Anblick daran zu denken, dass Mynenkos Heimat selbst in Flammen steht. Ob der Sänger in den Göttinger Aufführungen die Titelrolle erneut würde geben können, war lange Zeit alles andere als sicher.

Ein paar Tage vor der Opernpremiere hat sich Yuriy Mynenko in einem Göttinger Hotel zum Interview eingefunden. Die Gelegenheit, in Deutschland über den Spagat zwischen ukrainischer Kriegsrealität und niedersächsischer Händel-Idylle zu sprechen, trug substanziell dazu bei, dass es ihm möglich war herzukommen. Und obwohl er äußerlich entspannt wirkt, lässt er keinen Zweifel daran, für wie fragil er die Ruhe hält, mit der sich das Leben draußen zwischen den Fachwerkhäusern vollzieht: "Die absolute Sicherheit, die die Menschen hier empfinden, gibt es für mich nicht mehr", sagt Mynenko. "Alle sollten sich im Klaren darüber sein, dass Krieg überall ausbrechen kann."

Explosionen russischer Raketen weckten ihn am Morgen des 24. Februar

Dabei hatte er selbst noch kurz vor der russischen Invasion gedacht, die Spannungen in der Ostukraine würden friedlich ausgehen. Nach dem Abschluss der "Cesare"-Tour in Holland hatte ein Großteil der Besetzung zunächst mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen - Corona. Auch Mynenko, der am 21. Februar mit Infektsymptomen in Odessa eintraf. Drei Tage später begann der Krieg. "Explosionen russischer Raketen weckten uns am Morgen des 24. Februar", erinnert er sich. Mynenko packte alles zusammen, was ins Auto passte, und fuhr samt seiner Frau, dem 22-jährigen Sohn und der neunjährigen Tochter in die Nähe von Kiew.

In den ersten Tagen habe er Panik empfunden, erklärt Yuriy Mynenko, vor allem um seine Familie. Am 25. Februar sei eine russische Rakete über das Haus geflogen, in dem sie untergebracht waren, und unweit davon explodiert: "Alles war sehr chaotisch und dramatisch. Mir war ja klar, dass das nur der Anfang war. Wie schlimm es wirklich werden würde, sah man erst nach der Rückeroberung von Butscha und Makariw."

Mit der Waffe hätte er nicht viel helfen können - "Künstler konzentrieren sich auf Kunst, nicht aufs Militär". Zwei Wochen nach Kriegsausbruch habe er aber begonnen, auf eigene Kosten Ausrüstung für die ukrainischen Truppen zu beschaffen: Ferngläser, Solarlade- und Nachtsichtgeräte, Sicherheitskleidung.

Yuriy Mynenko. (Foto: Avatarivs)

Derweil stieg bei den Organisatoren der Göttinger Händel-Festspiele die Sorge, den Hauptdarsteller ihrer wichtigsten Produktion im Mai nicht zur Verfügung zu haben. Die ukrainische Regierung hatte bekanntlich rasch ein Ausreiseverbot für alle kampffähigen Männer zwischen 18 und 60 erlassen. "Eine Weile sah es nicht vielversprechend aus", sagt Jochen Schäfsmeier, seit 2021 Geschäftsführender Intendant der Festspiele.

Schäfsmeier nahm im März Kontakt mit der Grünen-Politikerin Viola von Cramon-Taubadel auf, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Doch die Ukrainer hätten angedeutet, dass sie keine Ausnahmen manchen wollten. Dahinter stand die Sorge, welchen Eindruck es erwecken würde, wenn man die Eliten ins Ausland und Normalbürger in den Krieg schickt. Das Kultusministerium signalisierte jedoch schließlich, eine Ausnahmegenehmigung sei möglich, solange Mynenko in Deutschland die Gelegenheit nutze, von seinen Erlebnissen im Kriegsgebiet zu berichten. Am 23. April durfte der Sänger samt Frau und Tochter befristet ausreisen.

"Von hier aus kann ich doch viel mehr tun als von daheim", sagt der 43-Jährige. Er könne mehr Ausrüstung beschaffen sowie junge ukrainische Künstler dabei unterstützen, Ausbildungsplätze in Deutschland zu bekommen. Sein Sohn ist weiterhin in der Ukraine als Informatik-Logistiker im Kriegseinsatz. "Es ist sehr schwer, keinen direkten Einfluss auf seine Sicherheit zu haben", sagt Yuriy Mynenko. "Aber ich weiß, dass er von Menschen umgeben ist, die ihn beschützen. Manche seiner Freunde sind direkt an der Front, und da wollte er auch hin. Ich habe mit ihm gesprochen und ihm klargemacht, dass er mit seinen Spezialkenntnissen als Computerfachmann besser helfen kann."

Eingedenk all dessen ist es besonders anerkennenswert, mit welcher Professionalität Mynenko auf der Bühne agiert. Zumal es am Premierenabend in Göttingen wieder zwei Corona-Fälle gibt, was zu hektischen Umbesetzungen und dem stummen Ersatzauftritt eines Regieassistenten in der Rolle des Kammerdieners Nireno führt. Der ist hier zu einer Drag-Queen mutiert, seine Arie gerät zu einer fragwürdigen Jazz-Einlage.

"Nationalitäten sind völlig bedeutungslos."

Trotz der infektionsbedingten Ausfälle und Petrous Einfällen schlägt sich die gesamte Besetzung wacker. Mynenko selbst ficht unter anderem ein musikalisches Duell mit dem slowakischen Violinisten Milos Valent aus, der einen Fez tragenden Stehgeiger spielt. Das Ganze ist in einer Rotlicht-Shisha-Höhle angesiedelt und mit einigen Händel-fremden orientalischen Klängen angereichert. Das Göttinger Publikum ist begeistert.

Über mögliche Parallelen zwischen Cäsars Rolle als Besatzer in Ägypten und die Putins in der Ukraine möchte der Sänger sich lieber nicht äußern. Wichtiger sei für ihn, wie viele Nationen in dieser Produktion zusammenarbeiteten: "Nationalitäten sind völlig bedeutungslos, Menschlichkeit steht an erster Stelle", sagt er.

Die letzte Aufführung von "Caesare in Egitto" findet am 22. Mai statt. Am 23. wird Yuriy Mynenko wieder in die Ukraine zurückkehren. Als international agierender Künstler, der unter anderem auch oft in Russland gearbeitet hat, lehne er keinesfalls prinzipiell russische Kultur oder Künstler ab. Auch für russische Kollegen, die sich aus Angst um ihre Familien, die noch in Russland leben, nicht aktiv und ausdrücklich gegen die Aggression aussprechen, habe er durchaus Verständnis. "Aber", schränkt er ein, "es ist von keinem zu viel verlangt, zu sagen: Kein Krieg. Nirgends. Und unter keinen Umständen."

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