Weltmusik:Goethe aus Ouagadougou

Ezé Wendtoins Debüt-Album beim Trikont-Verlag

Von Christian Jooß-Bernau

Das sizilianische Agrigent dürfte der südlichste Punkt auf Goethes Italienreise gewesen sein. Nach Afrika kam er nie. Selbst wenn er übergesetzt wäre, nach Tunis oder Tripolis, es wären Tausende Kilometer gewesen ins Gebiet des heutigen Burkina Faso, zwischen Niger und Mali. Mehr als 200 Jahre später wird Ezé Wendtoin dort von einer solchen Begeisterung für die Literatur des Geheimrates gepackt, dass er in der Hauptstadt Ouagadougou ein Germanistikstudium beginnt und dieses 2018 mit einem Masterabschluss an der TU in Dresden krönt.

"Habe nun ach ...", mit Goethe beginnt Wendtoin auch sein erstes beim Obergiesinger Label Trikont erschienenes Solo-Album "Inzwischen Dazwischen". Eine Platte über Menschen in Deutschland 2019, über das Einleben, Gemeinsamleben, über Freundschaft, Liebe und Sex, über Heimaten und Schwierigkeiten. "Da steh' ich nun, ich armer Schwarzer / Und bin dunkler als je zuvor", singt Ezé. Wobei - alles Ansichtssache: "Da steh' ich nun, ich reicher Schwarzer / Und bin bunter als je zuvor!"

Es war 2016 in Oberammergau, da hatte der bunte Wendtoin, der sich der Dresdner Banda Internationale angeschlossen hatte, seinen ersten großen Auftritt. So einen, der wunderleicht durch die digitalen Kanäle rutscht. Er stand auf der Bühne und haute als One-Man-Show-Machine Rudi Carrells "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" raus. Da spürte man, was sich auf diesem Album fortsetzt: Wendtoin ist ein Entertainer, von dem vibrierende Energie ausgeht, die Worte und Menschen in Schwingung versetzt.

Aufgenommen hat er das Album mit vier Freunden aus Burkina Faso in klassischer Bandbesetzung - Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keyboard - in Ouagadougou. Der Sound: ein in die afrikanische Rhythmuswelt gespiegelter Mix aus Funk, Reggae, etwas Latin. Wendtoin singt auf Französisch und Mòoré, der Sprache der Mossi, meist aber auf Deutsch, in das er sich mit solcher Begeisterung wirft, dass ihn nicht einmal das Medley aus "Dat du min Leevsten büst", der Mòoré-Übersetzung und "Die Gedanken sind frei" zum Klackern der Perkussion aus der Bahn wirft.

Er selbst textet vokalerotisch: "Haut auf Haut und laut / Du und ich sind gleich zu eins gebraut". Es ist die Art, wie Ezé Melodie, Rhythmus und Silben verbindet, die ihn zu neuen Lösungen führt, die einem Muttersprachler so nicht möglich wären. Bei Wendtoin wird zum Sound, was Einwanderung für Deutschland bedeutet: die Erweiterung des kulturellen Bewusstseins. "Kein Mensch ist illegal" tänzelt zu einer Santana-Gitarre durch Freital und Nepal. Unmissverständlich und wuchtig: Konstantin Weckers "Sage nein!"

Wer sich gern über kulturelle Konflikte mit Neubürgern erregt, der höre "Pokemón", einen fröhlichen Reggae mit wabbelnder Gitarre, der nach der Aufmerksamkeit einer Angebeteten heischt, die leider von den Manga-Monstern Pikachu und Glurak träumt. Des Sängers Alternative: "Wenn die Sommernächte uns Sterne schenken / Will ich dich mit heißem Blut küssen". Ein Goethe-Verehrer kommt verspätet ins Land des Dichters. Burkina Faso ist er noch verbunden. Mit einem Verein unterstützt er ein Schulprojekt in seiner alten Heimat. Die neue ist Dresden: "Nu nu, ich liebe dich", singt Ezé der Stadt ein Ständchen. Das Gerede um Integration bringt er auf den wirklich wichtigen Punkt: "Wie ein richtiger Deutscher / Esse ich zum Frühstück Eier / Auch als Ausländer bin ich pünktlich". Wer da immer noch nicht seiner blendenden Laune erliegt und das deutsche Volk in Gefahr sieht, dem bleibt nur eins, um locker zu werden: "Wackle mit dem Popo."

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