Verschwörungstheorien:Verschwörungstheorien bedrohen die Demokratie

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Nordkorea, ein Schurkenstaat? Wenn’s nur das wäre: Pyramide in der Freimaurer-Metropole Pjöngjang. (Foto: imago/Reporters)

Macron, Kim Jong-un und die Freimaurer: Ein plumpes Buch voller scheinlogischer Argumente steht auf der "Spiegel"-Bestsellerliste. Es ist ein Symptom für eine tief liegende gesellschaftliche Krise.

Von Alex Rühle

Was haben der französische Präsident Emmanuel Macron, der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un und Stephen Paddock, der Todesschütze von Las Vegas, gemeinsam? Sie sind alle entweder selbst Freimaurer oder werden von den Freimaurern als Marionetten missbraucht. Wussten Sie nicht? Kein Wunder, es wurde ja auch von den "Mainstream-Medien" verheimlicht. Dabei sind die Zeichen mehr als deutlich: Macron feierte seinen Präsidentschaftssieg im Innenhof des Pariser Louvre. Dieser Hof wird optisch von der Glaspyramide des Architekten Ieoh Ming Pei bestimmt. Und Pei hat selbst in einer Broschüre geschrieben, die Pyramide bestehe aus 666 Glassteinen. In Auftrag gegeben wurde die architektonische Neugestaltung des Louvre-Hofs seinerzeit von Macrons Vorgänger François Mitterrand. Der war angeblich Freimaurer. Und die Zahl 666 wird bekanntlich mit dem Teufel assoziiert.

All das wurde deutschen Lesern genauso verheimlicht wie die rot-schwarzen Masken, die einige Tänzerinnen bei einer Showeinlage während der Siegesfeier in Händen hielten. "Rot und Schwarz kann man als Farben des (Fege-)Feuers ansehen und damit als Farben des Satans." Und: "Mit anderen Worten handelte es sich bei Macrons Siegesfeier um eine Freimaurer- und Satanistenparty vom Allerfeinsten - und beim Innenhof des Louvre um ein freimaurerisches Heiligtum von allerhöchster Qualität und Bedeutung."

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Was hiermit bewiesen wurde von Gerhard Wisnewski, dem Autor von "Verheimlicht, vertuscht, vergessen - Was 2017 nicht in der Zeitung stand". Das Buch wird vom Kopp-Verlag als "kritischer Jahresrückblick" beworben. Wisnewski selbst sagt, er wolle seinen Lesern eine Röntgenbrille aufsetzen, mit deren Hilfe sie unsere Welt "voller unterschwelliger Botschaften und Lügen" endlich durchschauen.

Irgendwo im Hintergrund arbeite ein "okkultes globalisiertes System" an einer neuen Weltordnung

Nun stimmt es gewiss, dass die Wirklichkeit permanent "verfälscht und verbogen" wird, wie Wisnewski schreibt. Und den Kampf um die Wahrheit kann man in Zeiten, in denen Kellyanne Conway, die Beraterin des Präsidenten Trump, dessen offensichtliche Lügen einfach als alternative Fakten bezeichnet, nur unterstützen. Wisnewski aber arbeitet in seinem Buch so offensichtlich mit Vermutungen und Behauptungen, dass man sich wundert, wie so etwas als Enthüllungsbuch durchgehen kann. Indes, das tut es, sogar mit großem Erfolg: Es steht seit zwei Wochen im Sachbuchbereich auf Platz 3 der Spiegel-Bestsellerliste.

Direkt nach seinen Macron'schen Freimaurerhypothesen wettert Wisnewski gegen die Unsitte des Frisurentrends "Buzz Cut" (Frauen mit raspelkurzen Haaren), mit dessen Hilfe "die Medien ein globales Umerziehungsprogramm starten, das Mädchen in die Homosexualisierung führen soll". Dies komme wiederum "führenden Globalisten" zupass, die alle zu "geschlechtslosen Arbeitsdrohnen für den neuen kommunistischen Sklavenplaneten" heranzüchten wollen. Kurz darauf wird insinuiert, Kim Jong-un sei eine Marionette besagter "Globalisten".

Einer der Beweise: Das Ryugyŏng, das höchste Gebäude in Pjöngjang, hat die Form einer Pyramide - "wir haben ja bereits über die Bedeutung und Symbolik von Pyramiden geredet". Was Nordkoreas Diktator wiederum mit dem Las-Vegas-Attentäter verbindet, das Mandalay-Hotel, aus dem Paddock schoss, steht in der Nähe des Luxor-Hotels, das die Form einer Pyramide hat. "Der Massakerplatz liegt also exakt zu Füßen eines gigantischen Freimaurertempels." All dieses Raunen fügt sich zu der These, irgendwo im Hintergrund arbeite ein "okkultes globalisiertes System" an einer neuen Weltordnung.

Das Schlimme an Wisnewskis Buch aber ist weder die Plumpheit seiner Argumentation noch der handwerkliche Dilettantismus; weder die hilflose Sprache, in der all das zusammengepanscht wird, noch die scheinlogischen Argumente, durch die Seriösität und Kausalität vorgegaukelt werden sollen. Das Schlimme ist, dass dieses Buch tausendfach verkauft wird. Das nämlich bedeutet, dass offensichtlich viele Leute bereit sind, ihm mehr Glauben zu schenken als fundierteren Quellen. Was auf das eigentliche Problem weist: die epistemische Krise in der westlichen Welt.

Die Epistemologie ist jener Zweig der Philosophie, der untersucht, wie wir Dinge wissen können - und was es bedeutet, dass etwas wahr oder falsch ist. Bisher bezog man sich in der öffentlichen Diskussion auf dieselben Zahlen, Statistiken und Fakten seriöser Institutionen, aus denen verschiedene Lager dann konträre Deutungen, Handlungskonsequenzen, politische Programme ableiteten.

Was aber, wenn Fakten den Menschen gar nicht mehr als unumstößliche Fakten gelten? Der amerikanische Wissenschaftsjournalist David Roberts fragte kürzlich: "Wenn die Klimawissenschaftler ihre Modelle immer feiner nachjustieren, die Zahlen prüfen und gegenprüfen und die Republikanische Party sich am Ende einfach weigert, die Ergebnisse zu akzeptieren - was dann?" Roberts spricht von "Stammes-Epistemologie", in der jede Gruppe die ihr gerade passenden Behauptungen als Wahrheiten deklariert. Sie haben Fakten? Nun, wir haben alternative Fakten.

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Der amerikanische Historiker Daniel T. Rodgers schrieb, das Problem des "postfaktischen Zeitalters" bestehe nicht in der Abwesenheit von Wahrheiten. Im Gegenteil, unsere Zeit sei mit Wahrheiten nur so gesättigt. Freilich geht es dabei eher um "truthiness" als um "truth", eher um ein Gefühl, recht zu haben, als um eine möglichst objektive Überprüfung eigener Meinungen. Den Begriff der truthiness wiederum prägte der Komiker Stephen Colbert und erklärte ihn so: "Früher hatte jeder das Recht, seine eigene Meinung zu haben, aber nicht seine eigenen Fakten. Mittlerweile sind Fakten unwichtig geworden. Sichtweisen sind alles. Weil sie Sicherheit geben. Ich spüre eine tiefe Spaltung in der Bevölkerung. Was ist wichtig? Das, von dem du willst, dass es wahr ist, oder das, was wahr ist?" Colbert sagte das 2005.

Echten Verschwörungstheoretikern kann man durch Argumente nicht mehr beikommen

Es ist kein Zufall, dass hier drei Amerikaner zitiert werden. In den USA ist die epistemische Krise noch weiter fortgeschritten als hierzulande, längst sind dort alle Institutionen, die früher in Meinungsstreitigkeiten als Schiedsrichter galten - Universitäten, Forschungseinrichtungen, seriöse Medienhäuser - in Misskredit geraten. Und längst finden alle Debatten in Parallelwelten statt. Die Schnittmenge aus Leuten, die zugleich Fox News schauen und die New York Times lesen, dürfte gegen null gehen. Man könnte auch noch einen Essay der Wissenschaftsjournalistin Elizabeth Kolbert anführen, die sich im aktuellen New Yorker fragte, warum es so schwer sei, andere mithilfe faktenbasierter Argumente von ihrer Meinung abzubringen.

Natürlich gab es immer einen innerwissenschaftlichen Streit um "die Wahrheit". Und natürlich gibt es auf der anderen Seite eine epistemologische Lücke zwischen der Akzeptanz wissenschaftlicher Aussagen und der Fähigkeit des normalen Lesers, diese nachzuvollziehen. Kaum jemand versteht alle Klimamodelle, dennoch gaben die meisten bislang den Wissenschaftlern einen Vertrauensvorschuss, die haben dieses komplexe Zeug schließlich studiert. Wenn man diesen Vertrauensvorschuss kassiert und wissenschaftliche Erkenntnisse behandelt wie PR-Gewäsch oder frei flottierende Meinungen, dann hat die Gesellschaft irgendwann ein Problem.

Der Tübinger Amerikanist Michael Butter forscht seit Jahren über die Geschichte und Verbreitung von Verschwörungstheorien. Im März erscheint sein Buch "Nichts ist, wie es scheint" (Suhrkamp Verlag), in dem er gängige Verschwörungstheorien untersucht und ihre Herkunft beschreibt. Besonders interessant ist das Buch aber, weil Butter die neue Blüte solcher Theorien als Indikator für die Fragmentierung der Öffentlichkeit liest, die seiner Meinung nach längst demokratiegefährdende Ausmaße angenommen habe. Die Diskussion um diese Theorien ist in seinen Augen, und mit diesen Worten endet sein Buch, "Symptom für eine tiefer liegende Krise demokratischer Gesellschaften: Wenn Gesellschaften sich nicht mehr darauf verständigen können, was wahr ist, können sie auch die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts nicht meistern."

Was also bleibt zu tun? Die Lösungsansätze, die Experten wie Michael Butter skizzieren, sind so unspektakulär wie naheliegend: besserer Deutsch-, Medien- und Geschichtsunterricht an den Schulen, damit die Leute möglichst früh lernen, Texten und Argumentationsmustern kritisch und kompetent zu begegnen. Und diejenigen in ein Gespräch ziehen, die zwar schon von Verschwörungstheorien gehört haben, aber noch nicht völlig an Freimaurerthesen verloren sind. Denn echten Verschwörungstheoretikern, so Butters langjährige Erfahrung, kann man durch Argumente nicht mehr beikommen.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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