Verdienstkreuz für Leiter der Münchner Filmwerkstatt:Hilfe zur Selbsthilfe

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Haltung zeigen: Das lehrt Martin Blankemeyer in seinen Seminaren. Der Produzent weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, in der Filmbranche Fuß zu fassen. Er weiß aber auch: "Es geht irgendwie!" (Foto: Robert Haas)

Seit bald 25 Jahren engagiert sich Martin Blankemeyer in der Münchner Filmwerkstatt für die Independent-Szene. Kürzlich ist der Produzent mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden

Von Kevin Scheerschmidt

Träger des Bundesverdienstkreuzes. Das klingt schon nach was. Martin Blankemeyer, Leiter der Münchner Filmwerkstatt, sagt aber, er sei niemand, "der sich das ans Revers heftet". Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, auf Facebook ein bisschen Eigenwerbung zu betreiben. Auf Doris Dörries Kommentar "Über Orden spricht man nicht", entgegnete er: "Wofür sind sie dann gut?" Eine Antwort erhielt er bis jetzt nicht. Martin Blankemeyer ist mit der Auszeichnung, die er Mitte September erhielt, am vorläufigen Höhepunkt seiner Laufbahn angekommen. Mittlerweile sei er sehr von sich und seinen Entscheidungen überzeugt, wie er sagt. Dieses Selbstbewusstsein musste er sich aber erst erarbeiten. Rückblickend sagt er: "Ich würde auf jeden Fall einiges anders machen." Aufgewachsen ist er nicht weit von der französischen Grenze im kleinen pfälzischen Städtchen Bad Bergzabern, das bei seiner Geburt zwischen 5000 und 6000 Einwohner hatte. Er habe sich stets gelangweilt, sagt er. Zu Hause und in der Schule. Die Fehler habe er bei sich gesucht. Er ahnte nicht, dass er akut unterfordert war. Bei einem IQ-Test des Vereins "Mensa" für hochbegabte Menschen, den er erst mit 31 Jahren machte, stellte sich heraus: "Ich bin, was man hochbegabt nennt." Dabei tut er sich mit der Bezeichnung schwer, weil er weiß, dass viele bei hochbegabt (IQ über 130) direkt an hochnäsig denken.

Heute wirkt der Wahlmünchner mit sich im Reinen: "Bundesverdienstkreuz mit 48 Jahren, das ist okay", sagt er ironisch. Früher habe er noch "keine Vorstellung davon gehabt, dass man was erreichen kann im Leben". Vielleicht wäre er sonst Arzt geworden, spekuliert er. Dann hätte er aber vermutlich nicht das Bundesverdienstkreuz erhalten. Auszeichnungen sind für ihn nur deshalb bedeutsam, weil sie Türen öffnen. Mehr Möglichkeiten und größere Chancen auf Förderungen. Wie er an den heutigen Punkt gekommen ist, wirkt beinahe zufällig. Er sagt: "Ich bin nicht so der Typ für bewusste Entscheidungen". Bei ihm sei vieles "einfach passiert". Nach dem Abitur fing er ein Jurastudium in Mainz an. Hauptsache rein in die Stadt. Seitdem hat er auch ein Auto vor der Tür stehen. Nicht, weil er es immer braucht, sondern weil es ihm Sicherheit gibt. Immobilität ist eine seiner größten Ängste.

Martin Blankemeyer reist gerne, am liebsten an ausgefallene Orte. Neulich war er in Nordkorea. Nach Syrien und Libyen würde er eigentlich auch gerne. Seine Liste ist lang. Als "Klimaschädling vor dem Herrn", wie er sich selbst ironisch bezeichnet, wirkt es fast paradox, wenn er von seiner Parteimitgliedschaft bei den Grünen spricht. Aber er will sich auch "nicht die ganze Schlechtigkeit der Welt auf die eigenen Schultern nehmen". Es sei "schwierig, sich da gut zu verhalten".

In Mainz stellte er schnell fest, dass Jura nicht das Richtige für ihn war. Also jobbte er, in die Uni ging er fast gar nicht mehr. Kurierfahrer, Kassierer, CD-Verkäufer und schließlich von 1994 bis 2001 beim ZDF. Von Kabelhilfe über Requisite, Ton und Gästebetreuung arbeitete er sich durch viele Abteilungen. Irgendwann war Blankemeyer sich sicher: Was seine Vorgesetzten konnten, konnte er auch. Was ihm fehlte: ein abgeschlossenes Studium oder eine Ausbildung. Also bewarb er sich an der Fachhochschule Wiesbaden für Medienwirtschaft. Weil seine Abiturnote zu schlecht war, verschwieg er sein Jurastudium. Aus den eingeschriebenen Semestern wurden unzählige Wartesemester. Von dem erschummelten Studienplatz wusste Markus Söder natürlich nichts, als er ihn für das Bundesverdienstkreuz vorschlug.

Für Blankemeyer wurde das Studium zum Glücksfall. Endlich bekam er die Kurve, wie er erzählt. Vor allem in seinem Auslandsjahr an der Filmhochschule in Toulouse. Um dort nach dem einen Jahr bleiben zu können, weitete er sein Studium mit Regie zum Doppelstudium aus. Beim ZDF hatte er Planung gelernt, in Frankreich zu improvisieren. Heute lautet seine Devise: "Aus Sicherheit heraus improvisieren." Er sagt, er sei gut im Ideen haben, Sachen anschieben und mit Menschen reden. Was er nicht gut könne, sei "Arschkriechen". Vielleicht war das der Grund, warum Constantin Film kein Interesse hatte, seinen Abschlussfilm "Der Tag der Befreiung" zu produzieren. Auch von der hessischen Filmförderung gab es keine Mittel. Er sei so sauer gewesen, dass er dort angerufen und das unbekannte Gegenüber "wütend beschimpft" habe. So musste er den Kurzfilm in München selbst produzieren, rückblickend ein Glücksfall. Als der Dreh abgeschlossen war, ging er wieder zur hessischen Filmförderung, reichte das Material ein. Und trotz seines Schimpf-Anrufs bekam er 12 500 Euro für die Postproduktion. "Ich wusste gar nicht, was ich mit so viel Geld anstellen soll?", sagt er. "Der Tag der Befreiung" wurde ein Erfolg, lief auf vielen Festivals. Aber nur, weil Blankemeyer unzählige Festival-Bewerbungen schrieb.

Dass er seinen Abschlussfilm selbst produziert hatte, sprach sich rum. So produzierte er anschließend viele Kurzfilme, später auch einige Langspielfilme mit seinem gemeinnützigen Verein. Den hatte er 1995 mitgegründet und 2004 in "Münchner Filmwerkstatt e.V." umbenannt. Er weiß, er ist die "Anlaufstelle für die letzte Hoffnung. Zu uns kommen die Leute, wenn sie überall anders abgelehnt wurden".

2007 produzierte er den Film, auf den er besonders stolz ist: "Der Rote Punkt". Bei den Dreharbeiten in Japan dachte er, "dass es brutal schiefläuft". Aber "selbst wenn", sagt Blankemeyer heute, "ich hatte ja eine Japanreise gewonnen". Später bekam er für den mit kleinem Budget produzierten Langspielfilm den Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsproduzent.

Neben seiner Arbeit als Produzent hielt Martin Blankemeyer deutschlandweit Vorträge, wie man selbst einen Film produzieren kann. Darin geht es bis heute vor allem um eins: "Haltung. Es geht irgendwie! Das klingt so esoterisch, ist aber wahr." Irgendwann brachte er die weiterbildenden Seminare im Bereich Film nach München und stieß "mit der Nase auf eine Marktlücke". Auch etwas, das er so nicht geplant hatte, sondern das "einfach so passiert" war. Im Sommer 2019 wurde nach neun Jahren mal wieder ein von der Filmwerkstatt produziertes Werk veröffentlicht: "Un café sans musique c'est rare à Paris" von Johanna Pauline Maier. Blankemeyer sagt aber offen, wo sein Fokus liegt: "Seminare machen mir eigentlich mehr Spaß."

Heute ist er Mitglied in der Deutschen und Europäischen Filmakademie und der International Academy of Television Arts & Sciences, die den International Emmy Award vergibt. Im November wird er wieder an der Verleihung in New York teilnehmen. Alles in seinem Leben erreicht hat er trotzdem noch nicht: Neben seiner Begeisterung fürs Reisen, sei er großer Fan von sozialen Experimenten: "Ich würde gerne mal ins Dschungelcamp." Mit dem Bundesverdienstkreuz hat er dafür jetzt ein Argument mehr.

© SZ vom 08.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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