Nachruf auf Uwe Bohm:Der Rohdiamant

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Prädestiniert für die Fieslinge und zwielichtigen Charaktere: der Schauspieler Uwe Bohm, hier auf einem Foto von 2013. (Foto: imago stock&people/SZ)

Ob bei Peter Zadek im Theater oder als Fiesling im "Tatort": Uwe Bohm war ein abgründig schillernder Kraftschauspieler. Einer, der alles aus sich selbst heraus schöpfte. Sein früher Tod ist ein Schock.

Von Christine Dössel

Andere strecken dem Publikum schon mal die Zunge raus, Uwe Bohm reckte 1987 den Hintern. Das Prachtexemplar prangte, unverschämt nackt und prall, auf einem sieben Meter hohen Plakat des Künstlers Gottfried Helnwein über dem Eingang des Hamburger Schauspielhauses, und die Art, wie der 25-jährige Bohm darauf im Unterhemd über seine linke Schulter blickte, war rotzig und wild. Ein Knaller-Motiv. "Andi" stand in großen Lettern über dem zornigen jungen Mann. Es war das Ankündigungsposter für das gleichnamige Rockmusical von Peter Zadek und Burkhard Driest: die (wahre) Geschichte eines schwer erziehbaren Barmbeker Jungen, der Rocker werden will, mit seiner Gang durch die Straßen zieht und von einem Tabakhändler abgeknallt wird. Zadeks Gegenentwurf zu "Cats". Live mit dabei: die Einstürzenden Neubauten. In der Titelrolle ein echter Hamburger Jung, der das soziale Milieu des Protagonisten aus eigener Erfahrung kennt. Es wird sein Durchbruch im Theater werden. Uwe Bohm, der nie eine Schauspielschule besucht hat, gehört von da an zur legendären Zadek-Familie.

"Du bist kein Schauspieler, das ist das Tolle", sagte ihm Zadek

Bohm war ein Kraftschauspieler aus sich selbst heraus. Ein Rohdiamant. Er hatte etwas Ungeschliffenes, Unverbildetes, ungebändigt Energetisches. Mit seinen schwarzen Knopfaugen stierte er in Weiten und Abgründe, vor denen andere erschrecken. Er hatte diesen irren Blick, gerahmt von vollem schwarzem Haar, der ihn vor allem im Fernsehen zum Bösewicht prädestinierte, meist einem sehr charmanten, dem nicht nur Frauen verfallen. War er im "Tatort" und in sonstigen Krimis nicht der Mörder, dann zumindest höchst verdächtig. Der große, stets auch perfide Menschendurchschauer (und -ausnutzer) Zadek mochte gerade dieses Ungeschleckte an ihm, den ihn umgebenden Hautgout der Straße und des Proletariats: "Du bist kein Schauspieler, das ist das Tolle."

Geboren wurde er am 24. Januar 1962 als Uwe Enkelmann in Hamburg-Wilhelmsburg, der Vater war Kranführer im Hafen und Spion für die DDR, die Mutter alkoholaffine Hausfrau. Als die Familie zerbricht, kommt der Junge ins Heim. Er gilt als verhaltensauffällig, die Schule bricht er ab. Seine ersten Schritte als Schauspieler hat Uwe Bohm, ebenso wie seinen neuen Nachnamen, seinem späteren Adoptivvater, dem Autorenfilmer Hark Bohm zu verdanken. Der besetzt ihn 1973 als Elfjährigen in dem Fernsehfilm "Ich kann auch 'ne Arche bauen" und 1976 in dem Kinofilm "Nordsee ist Mordsee", heute ein Hamburg-Klassiker: Zwei 14-Jährige klauen eine Jolle, um hinauszusegeln in die weite Welt. 40 Jahre später erzählte Fatih Akin in seiner Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs "Tschick" (2016) eine ähnliche Geschichte von zwei Jungs in einem geklauten Lada. Diesmal Uwe Bohm als Vater - ein gewalttätiger Mann des Geldes, der sich nicht für seinen Sohn Maik interessiert. Dazwischen liegt die erstaunliche Schauspielkarriere eines absturzgefährdeten Autodidakten, der nach eigenem Bekunden gut und gerne auch hätte "Bandit werden" können.

Aber es wurde dann doch das Theater. Nach zwei abgebrochenen Lehren debütierte Uwe Bohm 1983 am Hamburger Kleckstheater in Gerd Heidenreichs "Strafmündig", schaffte danach ein Vorsprechen am Hamburger Schauspielhaus, spielte in der "Möwe" und in "Pünktchen und Anton" und wurde so von Peter Zadek entdeckt, dieser weiteren wichtigen Vaterfigur in seinem Leben. Er war Jack the Ripper in Zadeks berühmter "Lulu"-Inszenierung mit Susanne Lothar (1988) und der Schwulenmörder John in Neil LaButes Zivilisationsschocker "Bash" (2001), oft übernahm er nur kleine Parts. 2004 dann die Titelrolle in Ibsens "Peer Gynt" am Berliner Ensemble: Bohm als überschwänglicher Free-Climber und Springinsfeld in einem Kindskopftheater aus der Rappelkiste, ewiger Ödipussi und ein bisschen auch tumber Tor.

Bohm spielte am Wiener Burgtheater bei Claus Peymann, bei den Salzburger Festspielen, bei Elmar Goerden am Schauspielhaus Bochum und bei den Nibelungenfestspielen in Worms, wo er 2008 den Siegfried-Mörder Hagen gab. Seit Zadeks Tod im Jahr 2009 jedoch schien er wie von der Bühne verschwunden, mit Ausnahme einer Rolle: der des Neffen Mortimer Brewster in dem Dauerbrenner "Arsen und Spitzenhäubchen" am Hamburger St.-Pauli-Theater (mit Eva Mattes und Angela Winkler als liebreizende Herrenmörderinnen). Im Kino, wo er schon 1988 in Hark Bohms deutsch-türkischem Liebesdrama "Yasemin" einen seiner größten Erfolge feierte, sah man ihn bisweilen noch, etwa in Filmen von Thomas Arslan ("Gold") oder zuletzt in Udo Flohrs "Effigie - Das Gift und die Stadt" (2019) über die Bremer Giftmörderin Gesche Gottfried. Aber hauptsächlich hatte sich Uwe Bohm in den letzten zehn Jahren auf das (Serien-)Fernsehen verlegt, wo er die zwielichtigen Typen und Unsympathen verkörperte, gerissene Luden, Fieslinge, Kiezgrößen.

Die Nachricht, dass Uwe Bohm am Freitag im Alter von 60 Jahren "plötzlich und unerwartet" in Berlin gestorben ist, wie seine Familie am Wochenende mitteilte, ist ein Schock. Abbrechen, abhauen, etwas nicht zu Ende bringen, sei sein Lebensthema, sagte der Schauspieler einmal. Viel zu früh kam nun auch sein Tod. Er hinterlässt fünf Kinder von vier Frauen und eine große Traurigkeit.

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