Tuareg-Musiker verschollen:Sound aus der Sahara

Lesezeit: 3 min

Die Tuareg-Band und Grammy-Gewinner "Tinariwen", deren Musik in den Ausbildungslagern der libyschen Armee entstand, geht auf Welttournee - ohne ihren Frontmann. Ibrahim Ag Alhabib ist in seiner Heimat Mali verschollen.

Tim Neshitov

Stephen Colbert, einer der erfolgreichsten TV-Komiker der USA, lud im vergangenen November die Tuareg-Band Tinariwen zu sich in die Sendung. Tinariwen waren auf Welttour und damit fernsehtauglich, obwohl sie ihren Grammy damals noch nicht gewonnen hatten. Colbert wollte wissen, ob es in der malischen Wüste eine reiche Musikszene gebe. Das Publikum lachte, offenbar fand es bereits die Vorstellung lustig, dass man in der Sahara Musik spielen kann. "Ja", antworteten die Musiker. Mehr sagten sie nicht. Mehr wollte Colbert dazu auch nicht wissen.

Ibrahim Ag Alhabib mit "Tinariwen" bei einem Konzert in der Schweiz in 2006.  (Foto: Getty Images)

Er stellte eine andere Frage, die eine weitere Lachsalve auslöste. Neuerdings spiele ja die US-Band TV on the Radio gerne mit Tinariwen zusammen, also: Ob die Wüstenmusiker von dieser US-Band vorher gehört hätten? "Ja", kam die Antwort. Kyp Malone von TV on the Radio, der auch im Studio saß, sagte noch etwas von "der Reichweite der westlichen Kultur", aber da griff Colbert schon ein: "Ich kenne die Reichweite der westlichen Kultur. Ich bin die westliche Kultur."

Derzeit touren Tinariwen wieder durch die USA. Ihr jüngstes Album "Tassili" hat den Grammy in der Kategorie Weltmusik gewonnen. Ihre Heimat Mali versinkt in einem Bürgerkrieg, mehr als 300.000 Menschen sind auf der Flucht. Der wortkarge Frontmann Ibrahim Ag Alhabib blieb diesmal bei seiner Familie. Vielleicht hatte er auch keine Lust auf Talkshows, jedenfalls kam er nicht mit.

Nun ist er verschollen. Seit Wochen hat die Band keinen Kontakt zu ihm. "Man weiß nicht, ob er noch lebt. Es geht sogar das wilde Gerücht um, er könnte sich der Rebellion angeschlossen haben", sagt Sedryk, Gründer des kleinen französischen Labels Reaktion, das sich auf die Sahara-Musik spezialisiert hat.

Die Tuareg, ein über mehrere Saharaländer versprengtes Nomadenvolk, kämpfen seit den fünfziger Jahren für einen unabhängigen Staat. Mehrere ihrer Aufstände sind niedergeschlagen worden. Im Januar begann die jüngste Rebellion. Diesmal konnten die Kämpfer der Nationalen Befreiungsbewegung von Azawad (so nennen die Tuareg ihre Heimat) den ganzen Norden Malis unter ihre Kontrolle bringen, ein Gebiet so groß wie Frankreich.

Doch der Siegeszug ist nur gelungen, weil sie sich mit al-Qaida-nahen Islamisten verbündet haben. Die Islamisten halten aber nicht viel von der Kultur der Tuareg, ob Musik oder Literatur, und lassen nun Frauen niederknüppeln, die sich nicht verschleiern wollen. Der Norden Malis kommt nicht zur Ruhe.

Tinariwen, was auf Deutsch "Wüsten" bedeutet, treten diese Tage an der US-Westküste ohne Bandleader auf und planen, Ende Juni nach Europa zu kommen. Sie sind nur die bekannteste der Tuareg-Bands. Es gibt in der Sahara tatsächlich eine reiche Musikszene. Das deutsche Label Glitterhouse Records hat nun eine Sammel-CD herausgebracht, die einen guten Überblick bietet und einem guten Zweck dient. "Songs for desert refugees" heißt die Kompilation. Die Erlöse fließen an zwei französische Stiftungen, die sich vor Ort um Flüchtlinge kümmern.

Karitativ-CDs finden immer ihre Hörer, aber diese Musik verdient ein breiteres Publikum. Nicht nur weil sie das Beste ist, was aus der Sahara derzeit nach Europa gelangt (ein anderer Exportartikel sind etwa Drogen lateinamerikanischer Herkunft). Sondern weil diese Musik besser ist als vieles, was in Europa gespielt wird.

Man kann Tinariwens souveränen Groove - eine Mischung aus Rock, Reggae und Blues - als "Weltmusik" und damit in der Kategorie "gelungene Exotik" feiern. Man kann sie aber auch als das hören, was sie ist: gute Rockmusik. Natürlich klingt sie anders als Metallica oder die Toten Hosen.

Der Tinariwen-Sound, an dem sich heute viele junge Tuareg-Bands orientieren, entstand in den achtziger Jahren in den Ausbildungslagern der libyschen Armee. Die Gründer der Band, unter ihnen Ibrahim Ag Alhabib, standen damals im Dienste Gaddafis, weil sie seine Hilfe brauchten im Kampf gegen Malis Regierung.

Manche Tinariwen-Songs handeln von Krieg und Freiheit, andere von der Schönheit der Wüste. Aus allen klingt aber eine Mischung aus Freude und Traurigkeit, die in Tamashek, der Sprache der Tuareg, "Assouf" heißt und auch diese Sammel-CD prägt. Die meisten Bands, die zu dieser CD beigetragen haben, leben selber im Exil in anderen Saharaländern. Einige sind auf Tournee, zum Beispiel Tamikrest, ein junges Ensemble, von dem Glitterhouse bereits zwei Alben herausgebracht hat. "Sie sind froh, dass sie diesen Sommer in Europa verbringen", sagt Lutz Mastmeyer von Glitterhouse. "Sie wissen nicht, was sie zu Hause erwartet."

Auch Europa könnte froh sein, dass Tamikrest monatelang hier gastieren. Ihre Songs wie "Aratane N'Adagh" (Tuareg-Kinder) oder "Aicha" sind von jener Reinheit, aus der nur Bluesrocker schöpfen, die etwas zu sagen haben. Manche Texte sind aber von der jüngsten Rebellion überholt worden. "Wo seid ihr, meine Brüder?", sangen Tamikrest noch im Dezember. "Lasst uns unsere Träume einfordern. Wozu diese Geduld?"

Nun haben die Rebellen zwar ihre Geduld verloren, aber das Volk ist dadurch nicht glücklicher geworden. Über diese Verwirrung singt Amanar, eine andere Band: "Ich dachte, wir haben die gleichen Ziele, aber ich bin mir nicht mehr sicher. Es war für mich ein schlechter Tag voller Überraschungen."

Nabil Baly Othmani, ein algerischer Künstler, besingt eine Zeit, "als die Wüste gastfreundlich war. Die Menschen erinnern sich, dass sie in Zelten lebten. Ich gehe spazieren nach Iherir, ich sehe den Aghmud-Baum im Tal. Ich finde dort das Glück erzählter Geschichten wieder und das Glück von einem Glas Tee unter der Akazie. All das hat die Prüfung der Zeit bestanden."

© SZ vom 12.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: