Weihnachtsmärchen im Theater:Kleines ganz groß

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Den Frosch küssen, damit daraus ein Prinz wird? Das war gestern. In der Inszenierung "König der Frösche" in Zürich will Prinzessin Susie lieber den Frosch behalten. (Foto: James Bantone)

Die Wochen vor Weihnachten sind für das Theater und das Publikum eine glückliche Zeit, denn dann gibt es das Weihnachtsmärchen.

Von Egbert Tholl

Wenn man einen Frosch küsst, wird er ein Prinz. Wenn man ihn an die Wand wirft, passiert dasselbe. So schrieben es die Brüder Grimm im "Froschkönig" auf. Aber hier, am Schauspielhaus Zürich, will Prinzessin Susie keinen Prinzen. Prinzen sind langweilig, die kennt sie aus der Schule. Sie will den Frosch behalten und mit ihm glücklich werden, mit dem, der anders ist. Und da Susie von Titilayo Adebayo gespielt wird, setzt sie ihren Willen auch durch. Adebayo ist trotzig, herrlich, schwarz.

Die Wochen vor Weihnachten sind eine glückliche Zeit fürs Theater. Weil es an vielen Häusern dann das sogenannte Weihnachtsmärchen gibt. Dieses hat meist wenig mit Weihnachten zu tun, aber man nennt es dennoch so, denn der eigentlich treffendere Name "Kinderstück" ist zu schwach für diese oft opulenten Veranstaltungen - ein Kinderstück könnte etwas Kleines, Putziges sein, so unterm Jahr, aber darum geht es hier nicht. Hier geht es ums Große.

In Basel kann man derzeit den "Räuber Hotzenplotz" sehen, inszeniert von Antú Romero Nunes und Jörg Pohl, beide sind im künstlerischen Leitungsteam des Hauses. Am Schauspiel Frankfurt läuft "Wickie und die starken Männer", inszeniert von Robert Gerloff als musikalische Revue mit echtem Wikingerschiff. In Bern spielen sie "Emil und die Detektive" und verlegen Erich Kästners Sprache mit viel Musik in eine leicht dystopische, aber auch kunterbunte Zukunftswelt. Und auch die Urmutter aller weltlichen Weihnachtsgeschichten, Charles Dickens' "A Christmas Carol" über den Geizhals Ebenezer Scrooge, der von Geistern heimgesucht und dadurch geläutert wird, könnte man erleben, wenn nicht gerade Corona wäre. Seit 2002 ist am Schauspiel Dresden die Produktion ein Renner, liebevoll altmodisch und ausgestattet mit Musik von Purcell, John Dowland, Vivaldi und alten, englischen Weihnachtsliedern.

Viele Schauspieler wollen unbedingt im Weihnachtsmärchen spielen, denn da gibt es das beste Publikum

Es gibt Schauspieler, die unbedingt im Weihnachtsmärchen dabei sein wollen, obwohl es ihnen die Festtage verhagelt, oft noch am 24. gespielt wird und am 26. gleich wieder, gerne auch in Doppelvorstellungen. Aber sie wollen dabei sein, weil die Weihnachtsmärchen die best gelaunten Produktionen sind, weil sie mal so richtig spielen wollen, nicht unter einem Konzept ächzen. Und weil Kinder das beste Publikum sind. Kinder reagieren immer, Kinder sind aufmerksam, Kinder sind Anarchie. Und wenn einer auf der Bühne nicht mehr weiter weiß, kann er einfach das Publikum fragen. Das kennt sich aus. Die Kennerschaft bei Kästner oder den Märchen der Brüder Grimm ist enorm. Nicolas Stemann meint, es gebe kanonische Stoffe für Kinder, genau wie die Klassiker fürs Abo-Publikum. "Kinder haben einen unglaublichen Bedarf an Geschichten."

Das Weihnachtsmärchen auf der Höhe der Zeit: In "König der Frösche" von Nicolas Stemann spielen Handys eine wichtige Rolle, und man gibt sich woke. (Foto: James Bantone)

Stemann, Ko-Intendant in Zürich, hat, ähnlich wie die Basler, das Weihnachtsmärchen zur Chefsache erklärt. Für ihn gehört das zum Stadttheater dazu. Also macht er's selber, wie jetzt den "Froschkönig". Im vergangenen Jahr inszenierte er "Schneewittchen", davon gab es sogar eine Erwachsenenfassung. Doch der Hauptunterschied war eigentlich nur die Anfangszeit, sagt er rückblickend. Vormittags hat man fast nur Kinder drin, nachmittags ist es gemischt, abends kommen vor allem Erwachsene. Am spannendsten findet er die Nachmittagsvorstellungen. Als das Münchner Residenztheater unter der Intendanz von Martin Kušej fast jedes Jahr ein Weihnachtsmärchen in Cinemascope herausbrachte, liehen sich Erwachsene fremde Kinder aus, um eine Ausrede zu haben, sich Robert Gerloffs "Robin Hood"-Anarchie anzuschauen oder die "Irrfahrten des Odysseus", bei denen man das Gesehene mit der eigenen Erinnerung an Gustav Schwabs "Die schönsten Sagen des klassischen Altertums" abgleichen konnte.

Stemanns fabelhafte Version "König der Frösche" ist in vielerlei Hinsicht paradigmatisch. Der Urgrund ist das Grimm-Märchen, aber er schrieb es weiter, machte es durchlässig für die Lebensrealität der Kinder. Wenn er Texte von Jelinek inszeniert, ist der Vorgang im Kern ähnlich, nur das Publikum älter und das Geschehen nicht so turbulent. Jetzt spielen Handys eine wichtige Rolle, die Prinzessin hat zwei Väter, Kurt und Karl, der eine will Künstler sein, der andere ist Immobilien-Spekulant. Hänsel und Gretel treten auch auf, reichlich zerzaust und voll woke, mokieren sich über den "Lookism" der alten Märchen - etwa, dass die Prinzessin wunderschön sein muss und nur nach ihrem Äußeren beurteilt wird. Stemann baut das schalkhaft ein, wie auch andere Anspielungen, die nur Erwachsene verstehen. Aber: "Kinder sind es gewohnt, etwas nicht zu verstehen. Erwachsene kriegen da Stress, Kinder wissen, irgendwann werden sie es kapiert haben." Vor der Premiere gab es Aufführungen mit professionellem Testpublikum. "Ich war erstaunt, was möglich ist."

Wichtige Parameter: Bunt muss es sein, Musik ist unabdingbar, am besten live, die "Frosch"-Band kann Glam-Rock, Prog-Rock, R'n'B und den Bolero. Ebenso unabdingbar: die Absenz von Pädagogik. "Es muss nicht einmal wirklich um etwas gehen. Wichtig ist es, Energie zu produzieren, Spaß zu machen." Den Urgrund des Theaterspielens frei legen. Und: nie verstören, das ist verboten.

Im Stück ist der Frosch anfangs schaurig traurig, weil er einsam im Brunnen hockt. Er singt ein Lied. Stemanns dreijähriger Sohn sang es in der Kita vor sich hin. Traurig, schaurig. Die Erzieherinnen guckten entsetzt.

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