Theater:Raum für alle

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Alemi Matthew, Künstler*in aus Uganda und ein Mensch, von dem bei "Wuss 3000" am Samstag ein Video zu sehen sein wird. (Foto: Alemi Matthew)

"Queer and Now" - Lola Fonsèque und Keith Zenga King kuratieren an den Münchner Kammerspielen ein Festival mit Menschen jenseits der weißen, heterosexuellen Norm

Von Christiane Lutz

Wenn man in einer Stadt keine Orte findet, an denen man sich wohlfühlt, dann zieht man entweder weg oder man erfindet diese Orte einfach selbst. Keith Zenga King hat sich für Letzteres entschieden. King ist Performancekünstler aus Uganda und lebt seit drei Jahren in Deutschland. King ist schwarz und queer und hatte lang den Eindruck, in München sei für Menschen wie ihn nichts geboten. Erst gründete er "Beyond Color" für schwarze queere Menschen mit Fluchterfahrung in München, mit denen er Kunst und Partys organisiert, oder einfaches Zusammensein. Dann lernte er Lola Fonsèque kennen, Regieassistentin an den Kammerspielen, die sich ebenfalls für die Belange von queeren Menschen einsetzte. Die beiden taten sich zusammen und kuratieren nun das Festival "Queer and Now", das vom 11. bis 14. Juli an den Kammerspielen stattfindet. Am ersten Tag ist ein Panel zum Thema "Rassismus in queeren Communities" geplant und "Art, Politics and Visibility - 50 years after Stonewall" (Stonewall meint die gewalttätigen Konflikte zwischen Homo- sowie Transsexuellen und Polizisten in New York vor 50 Jahren), bei dem über die Sichtbarkeit, beziehungsweise Unsichtbarkeit von queeren und trans Menschen in der Gesellschaft gesprochen werden soll.

Queere Künstler kämen viel zu wenig im Theater vor, sagen Fonsèque und King, praktisch gar nicht. Nicht auf der Bühne, nicht hinter der Bühne. Auch ihre Geschichten würden wenig bis gar nicht erzählt. "Das Theater sollte doch die ganze Gesellschaft und die sich verändernden Städte abbilden", sagt King, "aber das passiert nicht." Für ihn ist die Arbeit an den Kammerspielen auch die erste Berührung mit einer klassischen Kulturinstitution. Er habe vorher nie etwas damit anfangen können, sich einfach nicht mit dem Spielplan gemeint gefühlt. Ein weiterer Grund, warum er sich entschloss, selbst Räume zu schaffen, in denen sich queere und schwarze Menschen wie er gemeint fühlen. Und sich dafür einzusetzen, dass sie an Positionen kommen, von denen aus sie ihre Perspektiven mit einem Publikum teilen können. Weil eben kein Weißer je wissen kann, was es heißt, nicht weiß zu sein. "Es gibt Fortschritte in München", sagt King, "aber es geht sehr langsam. Deshalb ist es so wichtig, dass sich große Häuser wie die Kammerspiele dem Thema widmen."

Lola Fonsèque kam voriges Jahr vom Gorki-Theater aus Berlin nach München. Auch sie dachte, man sei schon weiter an den Kammerspielen. Sie setzte sich mit dafür ein, dass das Format "Wuss", ein queerer Karaoke-Abend, politischer, die künstlerische Agenda ausgeweitet wurde und jetzt "Wuss 3000" heißt. "Sich nur mit den Farben der Queer-Community zu schmücken reicht nicht", sagt sie, "man braucht auch so etwas wie den geistigen Unterbau." Auch ein Grund, warum sie sich mit schillernden Paraden wie solche auf dem Christopher Street Day eher schwertut. Viel Behauptung, viel Aneignung, wenig Inhalt. Sie sagt, sie kämpfe in jeder Produktion darum, dass feministische Perspektiven ernst genommen würden, weist Regisseurinnen und Regisseure auf möglicherweise problematische Textstellen hin. "Das ist sehr viel Arbeit", sagt sie, "jeder sollte sich die Mühe machen, mehr vom Feminismus zu verstehen."

Keith Zenga King und Lola Fonsèque lehnen Personalpronomen ab. Diese Festlegung auf "er" und "sie" - warum sei das wichtig? Einfachheit ist für sie kein Argument, im Gegenteil, auch wenn, um eben dieser Einfachheit Willen, hier von "sie" und "er" gesprochen werden soll. Fonsèques Eintrag auf der Webseite der Kammerspiele lautet so: "Lola Fonsèque ist ein*e weiße*r nicht-binäre*r Butch, Theatermacher*in, Queer Activist und Kurator*in". Dass solche Sätze unbequem zu lesen sind, weil das Sternchen die Autovervollständigung im Kopf unterbricht, findet Fonsèque gut. Dieser Moment des Innehaltens, des kleinen Gestörtwerdens ist ihr wichtiger als ein flüssig lesbarer Text. Genauso wie es ihr und King wichtig ist, ein Gefühl der Irritation bei jenen Menschen erzeugen, die sich als "die Norm" stets in einer auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Welt bewegen. Freilich kann das Unbehagen nicht das Ziel sein, darin sind sich die beiden einig. Das Unbehagen soll Offenheit ermöglichen, Verständnis und Austausch.

Trotzdem soll das Festival auch "Schutzräume bieten für queere und trans Menschen", für Schwarze und "PoC", also People of Colour. Wie etwa der Workshop "Safe Place and Theater" am 12. Juli, in dem Schwarze und PoC gemeinsam schauspielern und die Verhältnisse auf deutschen Bühnen, auf denen kaum Schwarze spielen, einmal umdrehen. Dann gibt es Drag-Workshops, für alle offen, die sich spielerisch der Drag-Politik und ihren Ästhetiken nähern wollen. Am Samstag, 13. Juli, findet dann "Wuss 3000" in der Kammer 2 statt, eine Mischung aus Performances queerer Künstler und Party. Am Sonntag dann endet das Festival mit einem gemeinsamen Brunch, "bezahlt von den Kammerspielen", sagt Fonsèque nicht ohne Stolz, ein weiterer kleiner Schritt ihres Theaters zu mehr Selbstverständlichkeit.

Queer and Now - From Stonewall to Queertopia! , Donnerstag, 11. Juli bis Sonntag, 14. Juli, Kammerspiele

© SZ vom 11.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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