Krieg in der Ukraine:"Damit zerschlagen sie unsere Kultur"

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Das Donezker Regionale Theater im Zentrum von Mariupol vor seiner Zerbombung. (Foto: Mykola Swarnyk/Wiki Commons)

Der Bombenangriff auf das Theater im Zentrum von Mariupol löst nicht nur in der Ukraine Entsetzen und Proteste aus.

Von Christine Dössel

Mit Entsetzen und Empörung haben Menschen nicht nur in der Ukraine, sondern weltweit auf die Zerstörung des Sprechtheaters im Zentrum von Mariupol reagiert. Die Kommentare in den sozialen Medien reichen von Fassungslosigkeit, Wut und Schmerz bis hin zum Vorwurf eines "barbarischen Akts". Die russische Armee soll, wie berichtet, das Gebäude bei einem Luftangriff am Mittwochabend gezielt bombardiert haben, obwohl sich nach Angaben ukrainischer Behörden gut 1000 schutzsuchende Zivilisten darin befanden. Russland dementiert den Angriff nach wie vor. Bilder von dem zerstörten Haus, dem 1960 im neoklassizistischen Stil erbauten Donezker Regionalen Theater, zeigten einen rauchenden Trümmerhaufen. Über die Zahl der Opfer gab es lange keine genauen Angaben, allerdings häuften sich am Donnerstagabend glaubhafte Berichte, dass alle Menschen im Luftschutzkeller des Gebäudes überlebt haben und die ersten aus den Trümmern gekommen seien. "Es ist ein Wunder", schrieb die Parlamentsabgeordnete Olga Stefanyschyna auf Facebook.

"Die Zerstörung des Theaters in Mariupol steht sinnbildlich für die Zerstörung kultureller und humaner Wurzeln", heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Bühnenvereins. "Theater sind zivile Orte der friedlichen Versammlung, Übungsorte für Empathie, das Zugehen auf andere Menschen und ihre Geschichte." Im Donezker Regionalen Theater jedoch werde eine solche Begegnung vorerst nicht mehr stattfinden können. Der Beschuss eines Theaters sei nicht "schlimmer" als der von Wohnhäusern oder Kliniken, heißt es in dem Schreiben weiter. Er zeige jedoch sehr deutlich, "wie brutal die Kriegsführung von Putins Armee ist".

Der Regisseur verdammt Putins unfaire Kriegsführung und glaubt fest an Kiews Sieg

Auch dem ukrainischen Regisseur Stas Zhyrkov geht es in erster Linie um die Menschen, die in dem Haus Zuflucht gesucht hatten - seinen Informationen nach haben fast alle überlebt -, aber dass es ein Theater war, das in diesem Krieg zum Angriffsziel wurde, das findet er als Theatermacher besonders infam: "Damit zerschlagen sie unsere Kultur, unser Leben, unseren Arbeitsplatz. Das heißt nun: Es kann jedes Theater treffen." Zhyrkov ist Intendant des Left Bank Theatre in Kiew, wo mehr als 200 Menschen arbeiten. Etwa um dieselbe Größenordnung dürfte es sich seiner Schätzung nach auch bei dem Donezker Regionalen Theater in Mariupol handeln. Spricht man mit dem 35-Jährigen, der sich derzeit in Lemberg aufhält - Frau und Sohn sind in Litauen untergekommen -, springen Funken seiner Wut und Bitterkeit auch durchs Telefon über. "Was für eine feige, unfaire Kriegsführung, die Putin da von irgendeinem Bunker aus betreibt", sagt Zhyrkov. "Sie scheinen wirklich Angst vor uns zu haben." Dass die Ukraine den Krieg gewinnen wird, davon ist er fest überzeugt. Mit flammendem Worteifer versucht er, der Anruferin klarzumachen, was seiner Meinung nach in Deutschland und dem Rest von Europa nicht wirklich verstanden werde: dass dieser Krieg schon 2014 begann, als Russland die Krim annektierte. Man hört ihm an, wie tief der Stachel sitzt, wie unüberwindbar der Riss klafft.

Stas Zhyrkov, gefeierter Regisseur und Intendant des Left Bank Theatre in Kiew. (Foto: privat)

Stas Zhyrkov gehört zu einer Generation junger Intendanten, Autorinnen und Regisseurinnen, die das ukrainische Gegenwartstheater prägen: politisch denkend, gut vernetzt, im regen Austausch mit anderen europäischen Theatern. Seit der Maidan-Revolution 2014 ist diese Generation im Aufwind, und Zhyrkov ist einer ihrer Regiestars. Im Jahr 2011 gewann er mit dem Stück "Natasha's Dream" von Yaroslava Pulinovych den Kiewer Pektoral-Theaterpreis in der Kategorie "Bestes Regiedebüt". 2017 wurde ihm der Ehrentitel "Verdienter Künstler der Ukraine" verliehen. Er pflegt als Regisseur enge Kontakte zu Deutschland, inszenierte am Theater Magdeburg, war mit Produktionen bei den Münchner Kammerspielen zu Gast und am Deutschen Theater Berlin (DT), wo es seit 2018 das Festival "Radar Ost" gibt.

Birgit Lengers vom Deutschen Theater versucht, Hilfe für die ukrainischen Kollegen zu organisieren. (Foto: Arno Declair)

Kuratorin dieses Theaterfestivals mit Blick auf Osteuropa ist die DT-Dramaturgin Birgit Lengers, die ihre ersten Kontakte zu ukrainischen Theaterleuten schon 2015 aufbaute, als sie mit einer Delegation der European Theatre Convention (ETC) das Land bereiste. Damals begann eine Vernetzung in Form von Gastspielen und Residenzprogrammen. So war das DT etwa 2019 mit einer Produktion am staatlichen Molodyy-Theater in Kiew und beim Gogol-Fest in Mariupol zu Gast. Umgekehrt lud das DT im Oktober vergangenen Jahres das preisgekrönte Erfolgsstück "Bad Roads" der ukrainischen Autorin Natalia Vorozhbyt zum "Radar Ost"-Festival ein: sechs Geschichten über das Leben und den Krieg im militarisierten Donbass-Gebiet im Osten der Ukraine, mit besonderem Fokus auf die Lage der Frauen. Ein Stück, das Vorozhbyt auch verfilmt hat.

Eine "kulturelle Task Force", um auch Männer aus der Ukraine zu holen

Lengers beschreibt das ukrainische Theater als "sehr musikalisch, intensiv, emotional und körperlich" - also ganz anders als das deutsche Theater, das die Ukrainer "eher als nüchtern, kühl und intellektuell" empfänden. Auch sei das junge ukrainische Theater oft interdisziplinär, es gebe da beeindruckende Crossover-Geschichten und Gruppen wie die Dakh Daughters, die Musik und Schauspiel zu einer Art "New Opera" verbinden. Neben den 60 staatlichen Theatern existiere in der Ukraine eine vielfältige freie Szene mit rund 350 Gruppen, davon alleine 100 in Kiew. 2017 habe es noch mal einen regelrechten "Theaterboom" gegeben, auch durch die Förderung des Kulturministeriums.

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Lengers steht derzeit mit vielen Künstlerinnen und Künstlern aus der Ukraine über die sozialen Medien in Verbindung, erzählt von deren "Schock", der Wut, den Hilferufen. Gemeinsam mit Stas Zhyrkov hat die DT-Dramaturgin eine Absichtserklärung zur Unterstützung ukrainischer Künstlerinnen und Künstler lanciert, die bereits von mehr als 100 Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterzeichnet und an das ukrainische Kulturministerium übergeben wurde. Erklärt wird die Bereitschaft, ukrainische Theaterkünstler "in unseren Häusern zu empfangen, zu beherbergen und aufzuführen". Lengers spricht von einer "kulturellen Task Force, um auch männliche Theatermacher aus der Ukraine rauszuholen". Sie sagt, das sei die nächste Aufgabe: "diejenigen unterbringen und vernetzen, die jetzt rüberkommen".

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