Theater:Innere-Leere-Rap

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Code-Wechsel: Leonie Böhms "Yung Faust" an den Münchner Kammerspielen mischt Goethes Klassiker mit den Mitteln des Cloud Rap auf, erstarrt aber in der ironischen Pose.

Von Christiane Lutz

Die Sneaker quietschen, als Faust und Mephisto ihren Pakt schließen. Ziemlich coole Sneaker eines amerikanischen Sportartikelherstellers. Nacheinander sagen Annette Paulmann und Julia Riedler den Postkartenspruch gewordenen Vers: "Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön!" Benjamin Radjaipour schaut zu, während ein scheinbar nur aus Zottelhaaren bestehender Musiker (Johannes Rieder) am Keyboard klimpert.

So sieht Leonie Böhms "Yung Faust" an den Münchner Kammerspielen aus. Die Regisseurin reduziert Goethes "Faust" auf ein paar zentrale Themen: die innere Leere, die Suche nach dem Gefühl. Die Figuren im säftelnden Drama eines alten weißen Mannes, das der "Faust" halt auch ist, sind bei ihr geschlechtsneutral. Keiner ist dem anderen überlegen, keiner unterlegen. Wer Faust, wer Mephisto, wer Gretchen ist, bleibt unklar. Jeder darf mal jeden spielen.

Das ist gut gedacht. Allerdings geht sie der Idee nicht wirklich nach und gestaltet den Abend stattdessen wie ein einstündiges Cloud-Rap-Musikvideo. Cloud Rap, das ist eine junge Spielart des Rap unter Einsatz von flächigen Synthesizer-Klängen, wie sie erfolgreich von Künstlern wie Yung Hurn und Trettmann betrieben wird. Das "Yung" steht für irgendwas zwischen jung und frisch, das hat sich Böhm von den Rappern stibitzt, ebenso die pastelligen Töne und die geometrischen Formen, mit denen Sören Gerhardt die Bühne in der sogenannten Kammer 2 eingerichtet hat.

So tragen die drei Schauspieler auch die gleichen Trainingsklamotten wie die Rapper und leihen sich von ihnen Gesten wie das "Dabben", also das Arme seitlich hochreißen. Julia Riedler und Benjamin Radjaipour rollen das "R" wie der Rapper Capital Bra und rezitieren den "Faust" emotional distanziert. Dabei entstehen ein paar bemerkenswerte Momente: Wenn Riedler zu Beginn durch den Vorhang lugt und ins Publikum von den zwei Seelen in ihrer Brust spricht, tut sie das als hoffnungslos überforderte Kreatur, aufrichtig leidend und um Worte ringend. Wenn Radjaipour dann Sades "No ordinary love" singt, was er sehr schön macht, schafft das Atmosphäre für eigentlich zu verhandelnde Gefühle.

Im Cloud Rap verstellen die Musiker ihre Stimme absichtlich mit Autotune, der Gesang wabert dann durch die Songs, träge bis schläfrig. Durch diese Künstlichkeit entsteht Abstand, der den Rappern erlaubt, offener über Gefühle zu sprechen. Nähe durch Distanz, sozusagen. Böhm versucht genau das: über den Umweg der Künstlichkeit zur Tiefe und Gefühlswelt des Stoffes zu gelangen.

Nur: Die Inszenierung erstarrt in der ironischen Pose. Diese Ironie und ihr "Ich meine es ja ganz anders oder vielleicht doch nicht"-Hintertürchen mag nicht nur Merkmal des Cloud Rap, sondern auch Symptom einer Gesellschaft sein, in der sich keiner mehr gern festlegt. Sie führt im Theater jedoch dazu, dass man selbst ironisch distanziert zuschaut. Einzig Annette Paulmann, zu Beginn wie ein Fremdkörper in dem Hipster-Setting, darf sich den Text wirklich zu eigen machen. Sie erdet, was abzudrehen droht.

Möglicherweise wollte Leonie Böhm den "Faust" von seinem Bildungsbürger-Ross holen, ihn von elitären Codes befreien und mit einer jungen Kultur aufladen. Das glückt ihr deshalb nicht, weil sie die einen Codes einfach durch andere ersetzt - die auch wieder nur die Hälfte der Zuschauer versteht. Wenngleich immerhin mal die andere Hälfte.

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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