Musiktheater:Zauberei und Wahrheit

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Neue Perspektive: Von der Bühne blickt das Publikum in den Zuschauerraum. (Foto: Judith Schlosser)

Thom Luz erfindet mit Haydns Oratorium eine neue Jahreszeit und das Theater Basel öffnet sein Foyer für die Öffentlichkeit.

Von Egbert Tholl

Theaterfoyers sind eigenartige Orte. In den vergangenen eineinhalb Jahren waren sie meist verrammelt, und auch jetzt, wo die Theater wieder spielen und Besucher empfangen dürfen, sind sie tagsüber verwaist. Oder gleich ganz geschlossen, meist hat irgendwo eine Tageskasse geöffnet, für die man in der Regel gar nicht das eigentliche Foyer betritt. Erst abends, und vielleicht gehört das zu ihrer Magie, öffnen sich die Foyers in oft strahlendem Glanz und lassen Besucher hinein.

Immer wieder gab es an Theatern Überlegungen, diese Räume auch tagsüber der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Als beispielsweise Martin Kušej Intendant des Bayerischen Staatstheaters war, wollte er aus der Gastronomie im ersten Stock ein Tagescafé machen, scheiterte aber an behördlichen Auflagen. Durch den Lockdown erfuhren indes die Theater einen Bedeutungsverlust, sie waren auf einmal nicht mehr Stätten eines gesellschaftlichen Lebens, keine Orte von Diskurs und Austausch. Diese Erfahrung macht eine Öffnung der Foyers noch dringlicher. Leicht ist diese nicht, doch das Theater Basel macht's.

Intendant Benedikt von Peter erfindet hier das öffentliche Foyer. Nun hat das Theater Basel seit langem einen spektakulären Eingangsbereich, in dem auch immer wieder Aufführungen stattfinden. Er erstreckt sich über verschiede Ebenen, wie eine überbaute Terrassenlandschaft. Oben hat es einen Ausgang zur Elisabethenkirche, einen Ort der Zusammenkunft sozial engagierter Menschen. Vom unteren, dem Haupteingang, geht es hinein in die Stadt, vorbei am lustigen Brunnen, den Jean Tinguely entwarf.

Jeden Tag außer Montag ist das Foyer geöffnet, ein öffentlicher Durchgang, ein überdachter Stadtraum, der viel kann. Eine Bibliothek gibt es hier, Arbeitsplätze mit Steckdosen, verschiedene Cafés, Tanzworkshops sollen hier stattfinden und Yogakurse. Vielleicht führt das alles nicht gleich zu einem Raum des öffentlichen Diskurses, aber dieses "foyer public" ist auf jeden Fall ein Ort der Öffentlichkeit. Man trifft sich um 11 Uhr im Theater, wo geht das sonst schon. Vielleicht kommt man dann abends auch wieder.

Der Verlust einzelner Musiker tut dem Gesamtklang keinen Abbruch, das Video ist vorproduziert

Und schaut sich die "4 1/2 Jahreszeiten" an, inszeniert von Thom Luz, Hausregisseur am Münchner Residenztheater und einer der größten Zauberer eigenwilliger Bühnenwelten. Er nimmt sich Haydns "Jahreszeiten"-Oratorium an, aber es bleibt davon nicht viel übrig. Er bittet das Publikum dorthin, wo es normalerweise nicht ist, auf die große Bühne, und lässt es auf den geschlossenen Vorhang schauen, auf einem kleinen Bildschirm wird ein Video der Orchesterprobe gezeigt. Ein Inspizient, der Schauspieler Martin Hug, wuselt herum, das Publikum wartet. Wie so oft in den vergangenen eineinhalb Jahren. Man hört durch den Vorhang den Beginn einer Probe, es herrscht Uneinigkeit, manche wollen lieber die Vivaldi-"Jahreszeiten" spielen, das hätte auch den großen Vorteil, dass man nichts von Gottfried van Swietens Text hören würde, über dessen Vertonung durch Haydn sich die Leute schon 1801 wunderten - zu naiv und betulich muten die freundlichen Beschreibungen des Landlebens an. Aber den Text hört man hier auch kaum.

Immer wieder hebt das Stück an, immer wieder bricht der Dirigent Mathias Weibel rasch ab, schickt einen Musiker oder eine Musikerin hinaus. Die wurschteln sich dann durch eine Lücke im Vorhang hindurch auf die Hinterbühne, während das Kammerorchester Basel unermüdlich von Neuem beginnt. Die fehlenden Musiker tun dem Gesamtklang keinen Abbruch, denn das Video, das die Zuschauer sehen, ist vorproduziert. Haydn hat einmal eine Symphonie komponiert, bei der ein Musiker nach dem anderen das Podium verließ, es war damals eine Aktion, um den Sommerurlaub der Musiker einzufordern. Bei Luz geht es um etwas anderes. Mit der Zeit findet sich auf der Hinterbühne ein kleines Ensemble zusammen, eine Ad-hoc-Gesellschaft aus Musikern, die zum Nichtstun verdammt sind und doch nur spielen wollen.

Die Jahreszeiten, wie Haydn sie kannte, gibt es nicht mehr, der Klimawandel hat sie zerstört

Also erfinden sie Neues. Interessante Spielweisen - man kann etwa eine Cellistin auch hochheben und sie mit ihrem Bogen am Instrument entlangführen - werden ausprobiert, neue Musiken versucht, altmodische Schlager wie der vom "Maledetta primavera", vom verfluchten Frühling. Ein bisschen verliebt sich Luz in diese Zaubereien, es gibt viel Nebel und ein Schattenspiel wie von Wilhelm Busch, in dem die alte Hierarchie vom gestrengen Dirigenten und den kleinen Ausführenden wieder auftaucht. Aber das sind nur noch Reminiszenzen. Am Ende geht es mit einer Musik von Charles Ives - "All the way around and back" - in einer Prozession über die Bühne, der Vorhang geht auf, alle Musizierenden verlassen durch den Zuschauerraum das Theater.

Hinter dieser poetischen Freundlichkeit lauert vielerlei. Ein Lockdown-Kommentar, vor allem aber das Fluidum einer neuen Jahreszeit, aus musikalischen Bruchstücken zusammengesetzt. Die Jahreszeiten, wie Haydn sie kannte, gibt es nicht mehr, der Klimawandel hat sie zerstört. Aber in der Musik kann man eine neue schaffen.

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