Die Buchhandelskette Thalia lässt seit Kurzem Regale von einem chinesischen Unternehmen bestücken. Dieses nutzt die Flächen, um regierungsfreundliche Literatur in Deutschland unter die Leute zu bringen. Einer Sinologin fiel das auf, verschiedene Medien baten den Buchhändler um Erklärung, und dieser reagierte auf die denkbar ungünstigste Weise: Eine Sprecherin erklärte, es handele sich erstens nur um einen zeitlich befristete Test in drei Filialen und zweitens finde eine kritische Auseinandersetzung mit der chinesischen Diktatur auch weiterhin im Sortiment statt, nur eben in anderen Regalen.
Diese Argumentation nutzt der chinesischen Regierung in zweierlei Hinsicht. Zum Einen ist ein Tabu auch dann gebrochen, wenn man den Tabubruch nur zeitlich und örtlich befristet testet. Erst vor ein paar Tagen gab es in Europa einen ganz ähnlichen Fall: Als der britische Nordirland-Minister Brandon Lewis im Londoner Unterhaus gefragt wurde, ob das neue Haushaltsgesetz der englischen Regierung das Völkerrecht breche, antwortete er: Ja, aber nur in "sehr spezifischer und begrenzter Weise". Gebrochen ist das Völkerrecht natürlich trotzdem.
Das chinesische Jahrhundert wirft seine Schatten voraus
Und indem sich Thalia zum Anderen darauf beruft, neben chinesischer Staatspropaganda auch kritische Literatur anzubieten, geht das Unternehmen der so genannten "faux objectivity" auf den Leim, der falschen Ausgeglichenheit. Dabei handelt es sich um eine systemische Schwäche freier Gesellschaften, die von autoritären Regierungen seit jeher ausgenutzt wird: In dem Bemühen, alle Stimmen zu Wort kommen zu lassen, speisen auch Wohlgesinnte Propaganda, Geschichtsfälschung und Lügen in einen öffentlichen Diskurs ein, der zur Meinungsbildung auf verlässliche Informationen angewiesen ist. Der Fall weist weit über sich selbst hinaus, für die Anfälligkeit demokratischer Öffentlichkeiten für gezielte Desinformation ist er nahezu exemplarisch. Angesichts einer zunehmend offensiven chinesischen Informationspolitik werden kulturelle und akademische Akteure in Europa immer häufiger vor derselben Frage stehen: Wie kann man die chinesische Staatsräson sichtbar machen, ohne ihrer Propaganda auf den Leim zu gehen? Natürlich müssen sich Europäer von der Ausrichtung und der Redeweise der kommunistischen Partei Chinas auch aus Primärquellen ein Bild machen können. Die gesammelten Reden Xi Jinpings, die jetzt bei Thalia ausliegen, sollte man gelesen haben, wenn man sich für die Gegenwart interessiert.
Andererseits muss man sich aber auch bewusst machen, dass die chinesische Propaganda heute sehr viel subtiler vorgeht als die der Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Sie vertreibt kein chinesisches Pendant zu Hitlers "Mein Kampf", ihr geht es um den Anschein von Harmlosigkeit. Wie das funktioniert, kann man sich in den über 500 Konfuzius-Instituten anschauen, die China auf dem ganzen Globus verteilt hat. Die Häuser geben sich explizit unpolitisch: Es gibt Kalligrafie- und Sprachkurse, in der Bibliothek steht 3000 Jahre alte Lyrik. In genau dieser Entpolitisierung aber verbirgt sich schon der Spin. Um ihren totalitären Charakter zu verschleiern, nutzt die KP Chinas ländliche Folklore genauso wie buddhistische und konfuzianische Lehrgebäude. Mit dem ubiquitären Begriff der "Harmonie" entledigt sie sich der bloßen Idee von politischer Opposition oder minoritärer Identität, sei sie tibetanisch oder uigurisch. In diesem Sinne ist man schon in die Falle chinesischer Propaganda getappt, wenn man sie nur kantonesische Opern aufführen lässt, ohne auf den Absender hinzuweisen. Thalia hat nun offenbar, als der Deal bekannt wurde, die Regale eilig mit dem Vermerk "Kooperation mit China Book Trading" versehen. Nicht jedem dürfte klar sein, dass sich dahinter die Regierung Chinas verbirgt, weshalb der Hinweis allenfalls eine Scheintransparenz herstellt. Das chinesische Jahrhundert wirft seine Schatten voraus.