Tanztheater im Museum:Inspiriert von der Aura des Orts

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Getanzte Parabel auf die Fesselung weiblicher Existenz: Julie Anne Stanzak. (Foto: Bastian Hessler)

Osmose von Kunst und Tanz: Choreografinnen wie Julie Anne Stanzak und Anne Teresa De Keersmaeker erobern Museumsräume.

Von Dorion Weickmann

Vor zwei Jahren haben sich ihre Wege zum ersten Mal gekreuzt: Im Münchner Lenbachhaus erweckte Julie Anne Stanzak, Protagonistin des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch, das Stück "Performance Piece" von Senga Nengudis zu neuem Leben. Das Solo der afroamerikanischen Künstlerin ist ein Hybrid aus Installation und Bewegungskunst: Ein Geflecht aus Nylonbändern hält die Tänzerin gefangen, obwohl die elastischen Strips sich ihren Gebärden anpassen.

Organisches und Anorganisches verschmelzen zur belebten Skulptur, zur getanzten Parabel auf die Fesselung weiblicher Existenz. Aus dem Münchner Revival erwuchs ein weiteres Projekt, eine Koproduktion zwischen Tanztheater, Senga Nengudi und Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal. Seit vergangenem Wochenende beherbergt das Museum eine Art Double Feature: Skulpturen von Nengudi, Tanz von Stanzak und Kolleginnen.

Das zweigleisige Format steht beispielhaft für Fusionen, die weltweit Kunstkulisse und bewegte Körper zusammenbringen: als Dialog- oder Konfliktpartner, Ergänzung oder Konkurrenz. Ob Guggenheim in New York, Londons Tate Modern, Pariser Louvre oder Bode-Museum in Berlin - die Liste der Häuser, die Aufführungen aller Art in ihre Sammlungen holen, wächst. Umgekehrt begeistert sich die internationale Tanzszene nicht erst seit gestern für die Arbeit außerhalb des klassischen Theaterrahmens.

Den Anfang machten die Revolutionärinnen des modernen Tanzes, die das Ballett als Alleinherrscherin verabschiedeten und ihre nackten Füße auf den Museumsboden setzten. Isadora Duncan, Vorkämpferin des Expressionismus, bestritt 1911 ihr Europa-Debüt im Innenhof der New Gallery in London. Ästhetisch ließ sich die Tänzerin von antiken Artefakten im British Museum inspirieren. Ihr folgten postmoderne Neuerer wie Merce Cunningham oder Trisha Brown, die den Schulterschluss mit der bildenden Kunst weiter vorantrieben.

Zum einen knüpften sie Netzwerke über Spartengrenzen hinweg, zum anderen eroberten sie theaterferne Räume wie Ateliers, Museen und Galerien. Was damals im Trend lag, hat sich seitdem als kreative Praxis etabliert. Choreografen wie William Forsythe, Sasha Waltz oder Boris Charmatz platzieren ihre Kunst gerne in Environments jenseits der traditionellen Guckkastenbühne: mal unter freiem Himmel, mal zwischen Gemälden, Video-Screens, Statuen oder Sarkophagen.

Tanz kann die Museumsräume mit neuem Atem erfüllen

Der Reiz des experimentellen Ortswechsels liegt auf der Hand. Das Publikum kann sich mehr oder minder frei bewegen, eigene Blickwinkel entdecken und damit in die Rolle der Co-Regie schlüpfen. Durch den Wegfall der Rampe rückt das Geschehen hautnah heran. Zugleich scheint der Tanz den Raum zu beatmen, seine Energie zu verändern und Körper, Kubatur und Kunstobjekte in ein neuartiges Verhältnis zueinander zu setzen. Zumindest wenn eine originelle Idee dahintersteckt, während halbgare Lösungen so narkoleptisch wirken wie eine langweilige Inszenierung, die der Zuschauer im Parkettsessel absitzt. Rohrkrepierer oder Renner - was den Ausschlag gibt, ließ sich erst kürzlich in Berlin besichtigen, bei Auftritten im Bode-Museum und in der Neuen Nationalgalerie.

Kein Geringerer als der Großmeister des Konzepttanzes, Jerôme Bel, scheiterte am wuchtigen Neobarock des Bode-Museums in Mitte. Zum Auftakt einer neuen Reihe namens "Choreographing Politics" vermischte der Franzose Schnipsel aus dem eigenen Stücke-Depot mit Arbeitsausschnitten zweier Kollegen: Xavier Le Roy und Simone Forti. Aber nirgends wurde erkennbar, worauf Bel hinauswollte: Austausch zwischen Tanz und Ambiente, Kontrapunkt oder Kommunikation? Prompt verpuffte Bels eigene Hommage an "Isadora Duncan" (2018) in der sogenannten Basilika des Hauses, die mit erlesener Renaissancemalerei bestückt ist.

Xavier Le Roys nackte Löwen-Menschinnen aus "Temporary Title" (2015) trafen im Kuppelsaal auf eine "Schwanensee"-Ballerina und gingen mit ihr - zu Füßen des monumentalen Reiter-Standbilds von Kurfürst Friedrich Wilhelm - buchstäblich baden. Zuletzt verkam Simone Fortis ikonische Kletterstudie "The Huddle" von 1961 auf der Spreeterrasse zur gelackten Turnübung im Sonnenlicht. Bels Arrangement fürs Bode-Museum mochte ins Touristen-Marketing der Museumsinsel passen, brachte jedoch in Ermangelung luzider Einfälle keinerlei künstlerischen Mehrwert hervor.

Ganz anders Anne Teresa De Keersmaeker, die unter dem Titel "Dark Red" bereits das Kölner Columba, die Basler Fondation Beyeler und kürzlich auch die Neue Nationalgalerie auf dem Berliner Kulturforum mit maßgeschneiderten Highlights erleuchtet hat. Kein falsches Pathos, denn statt Bruchstücke bereits existierender Werke ins jeweilige Setting zu verfrachten, setzt sich die belgische Choreografin präzise mit dem Genius loci auseinander. Sie greift seine Schwingung auf, verlängert sie in die menschliche Kinesphäre und zeichnet dreidimensionale Muster in den Raum, die architektonische Strukturen zum Vorschein bringen.

De Keersmaeker bremst, verdoppelt oder löst die Dynamik auf, die sich beim Gang durchs Museum einstellt. Was für Mies van der Rohes transparente, scheinbar von nichts als Glaswänden getragene Nationalgalerie bedeutete: Drinnen zog die Grande Dame aus Brüssel gemeinsam mit der Tänzerin Soa Ratsifandrihana streng geometrische Bahnen über den Boden, draußen wanderte ein Teil ihres Teams an den Fensterfronten entlang. Im Tross auch ein schwarzweißer Hund, passend zum Purismus des Bauhaus-Designs. Museumsseele und Metropolenalltag gingen an diesem Nachmittag nahtlos ineinander über und auf.

Keersmaekers "Dark Red" zeigt, was Tanz im Museum zum Erfolgsmodell macht - wenn die Choreografie ein Unikat ist, geboren aus der Osmose zwischen Tanz, Kunst und baulichem Gehäuse. Genau das gelang vor zwei Jahren auch im Lenbachhaus, bei der Wiederauflage von Senga Nengudis "Performance Piece". Fortsetzung ab sofort bis Januar 2023 im Von-der-Heydt-Museum, Wuppertal.

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