Oper aus der Ukraine:Die ganz große Dystopie

Lesezeit: 4 min

In der Inszenierung des 'Fidelio' von Ludwig van Beethoven aus Kiew ist sehr leicht zu erraten, wer der Bösewicht ist. (Foto: Christina Iberl/Staatstheater Meiningen)

Während Deutschland überlegt, ob man noch Tschaikowsky hören darf, riskiert der ukrainische Regisseur Andrey Maslakow in seiner Inszenierung von Beethovens "Fidelio" in Meiningen wirklich was.

Von Egbert Tholl

Schwanensee. Im zweiten Akt von Beethovens einziger Oper "Fidelio" kommen Leonore und der von ihr gerettete Florestan zusammen und besingen ihre "namenlose Freude", danach wird in vielen Aufführungen die Handlung unterbrochen und es folgt die "Leonoren-Ouvertüre" Nummer 3. Unterbrochen wird hier auch, aber es kommt keine Musik von Beethoven. Sondern von Tschaikowsky. Aus dem Ballett "Schwanensee". In einer Zeit, in der man gerade in Deutschland überlegt, ob man jetzt noch Dostojewski lesen oder Tschaikowsky hören dürfe, baut der ukrainische Regisseur Andrey Maslakow "Schwanensee" in seine Inszenierung von Beethovens "Fidelio" ein. Und er hat gute Gründe dafür.

Dass die Produktion des "Modern Music Theatre" Kiew am Staatstheater Meiningen zu Gast sein kann, ist schon Abenteuer genug. Die Inszenierung selbst ist es noch mehr. Und doch sorgten weniger die politischen Implikationen bei der Premiere in Kiew am 12. Februar für Aufruhr als die Tatsache, dass da eine Kloschüssel auf der Bühne steht, wie Oleksandr Kharlamov, Sänger des Gefängnisschließers Rocco, erzählt.

"Schwanensee" ließen die versoffenen Putschisten im Staatsfernsehen laufen, als sie, die kommunistischen Hardliner, 1991 Michail Gorbatschow in seinem Urlaubsdomizil auf der Krim festsetzten. Nach drei Tagen war der Spuk vorbei, "Schwanensee" wurde zum Schwanengesang der Sowjetunion. Nun sieht man in Meiningen den Film einer Aufführung des Bolschoi-Balletts, unterbrochen von Störungen, man sieht Gorbatschow in der Duma, die orangene Revolution in der Ukraine, prügelnde Parlamentarier dort, Potentaten in Afrika, Massaker in Ruanda, Lenin im Original und im Spielfilm. Man sieht viele Hoffnungsschimmer und die darauf folgende Düsternis, man sieht politische Träume zerstieben.

Mit diesem Volk ist keine Demokratie möglich, also mäht sie es mit der Kalaschnikow nieder

Um die zentrale Dystopie dieses Films herum baut Maslakow eine Inszenierung, deren schauspielerische Konkretheit manchmal an Bauerntheater erinnert, die aber Witz hat und immer getrieben ist von einer Aussage. Man befindet sich vage am Ende der Stalin-Zeit, das Konterfei des Diktators taugt nur noch, um den Freiheitstraum des Gefangenenchors zu konterkarieren, die Soldaten haben keine Uniformen mehr, alles ist auf den Hund gekommen.

Zur Ouvertüre sieht man einen Film mit der Vorgeschichte, ziemlich sowjetisch, dann starrt man auf einen seltsam surrealen Rundprospekt einer wunden Landschaft, den Maslakow selbst malen ließ, am Ende tritt der rettende Don Fernando als bolschewistischer Agitator auf. Aber es gibt keine Revolution. Das Volk ist ein dummer Haufen, der auch die Hinrichtung Pizarros bejubelt. Das ist keine Masse, die auf Veränderung drängt, die jubelt einfach dem nächsten Herrscher zu. Die handfeste Marzelline verabreicht Leonore Schürze und Pfanne, macht sie zum Hausweib. Doch dafür hat Leonore, verkörpert von Yuliia Alieksieieva, optisch eine Ost-Stilikone und stimmlich herausragend, ihren Florestan nicht befreit. Mit diesem Volk ist keine Demokratie möglich, also mäht sie es mit der Kalaschnikow nieder. Übrig bleiben fünf Blinde, die in Büchern lesen.

Gut, es ist grob und ausweglos. Maslakow indes sagt im Gespräch, er sei kein Pessimist, er sei Realist. Er hat in Augsburg studiert, kennt als Heldenbariton die deutsche Opernszene, ist als Solist fest an der Nationaloper in Kiew engagiert, wie viele aus seiner freien Operntruppe. Nach der Premiere - der ersten Aufführung überhaupt von "Fidelio" in der Ukraine - brach der Krieg aus, Maslakow aktivierte seine Kontakte nach Deutschland und landete schließlich bei Jens Neundorff von Enzberg, dem furchtlosen Intendanten von Meiningen. Der hat auch schon mal Markus Lüpertz zum Inszenieren nach Thüringen geholt. Jetzt holte er die Ukrainer.

Einige Musiker werden bei der Rückkehr kein Zuhause mehr haben, es ist zerbombt

Es folgte eine Fülle diplomatischer Aktionen, damit die Männer ausreisen dürfen - bei der Rückkehr droht ihnen der Kriegsdienst. Maslakow vakuumierte die Kostüme, packte sie zusammen mit dem Bühnenbild in einen großen Sprinter, ließ diesen nach Czernowitz fahren, dort, an der Nähe zur rumänischen Grenze, gibt es derzeit einen zollfreien Umschlagplatz, doch die Übergabe ging schief, und nach vielen Versuchen und Vorkasse kam der Transport schließlich in Meiningen an, vier Tage vor der Premiere.

Die Solisten waren schon hier, übten Deutsch für die Dialoge (in Kiew sang man deutsch, sprach aber ukrainisch), Chor und Orchester konnten ohnehin nicht kommen, waren nach Kriegsausbruch in der Ukraine und in Nachbarländern verstreut. Ein Operngastspiel, das in den bestehenden Spielplan eingepasst werden muss, in letztlich vier Tagen zu realisieren, ist ein Husarenstreich. Es spielt die Staatskapelle Meiningen, den ersten Teil dirigiert Sergii Golubnychyi aus der Ukraine, den zweiten der Meininger GMD Philippe Bach - ein künstlerisch notwendiges Signal der Völkerverständigung. Der Chor kommt mehrheitlich aus Coburg, dort hatten die das Stück drauf, in Meiningen steckte der Chor im "Lohengrin" fest, aber ein paar Mitglieder singen dennoch auch im "Fidelio".

Oleksandr Kharlamov erzählt, einige der Kollegen werden bei der Rückkehr kein Zuhause mehr haben, es ist zerbombt. "Jeder kennt Menschen, die nun tot sind." Er selbst hat Kind, Frau und Mutter dabei, hofft, dass die in Deutschland bleiben können. Für ihn die einzige Option: ein Sieg der Ukraine. Andrey Maslakow sieht das anders. Im Bombenhagel holte er selbst die Kulissen aus dem Theater. Weil er seine Produktion zeigen will. Weil er einen Austausch will. Es ist bizarr: Er weiß, ohne den Krieg hätte es sein "Fidelio" nie nach Deutschland geschafft, nach Meiningen reist die Produktion noch nach Coburg, Heidelberg und Siegen, weitere Auftritte sind in Planung. Aber: Er will vor allem Frieden. In der Meininger Zeitung wurde er vorab zitiert. Dass er Versöhnung wolle, auch zwischen Russen und Ukrainern. Danach kamen Anrufe aus der Ukraine, von sehr weit oben. Maslakow ist ein "verdienter Künstler der Ukraine", da werde jede Aussage überprüft. Für was solle man kämpfen, wenn man nicht eine eigene, milde Meinung haben dürfe? Mehr will er nicht über Politik sagen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: