Phrasenmäher:Ausrollen

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(Foto: SZ-Grafik)

Das Ausrollen macht sich als Krückensynonym für das Einführen von Dingen so breit wie ein bremsgeschädigter Lkw in der Notfallspur.

Von Kurt Kister

Manche Kämpfe sind seit Langem verloren, und dennoch leidet man immer wieder mal an den Folgen solcher Niederlagen. Die Unterwanderung der deutschen Sprache durch sinnvolle und sinnlose Anglizismen zum Beispiel ist nicht mehr aufzuhalten. Dies hängt nicht nur mit dem globalen Siegeszug der überwiegend englischsprachigen Kulturindustrie zusammen, sondern auch und gerade mit dem, was man Digitalisierung nennt. Die Sprache der Computerei im allerweitesten Sinne ist das amerikanische Englisch, allerdings nicht das von Walt Whitman oder Amanda Gorman, sondern ein Fachjargon, dessen höchste poetische Form das Manual, also die Gebrauchsanleitung ist. Wenn man zum Beispiel vom Geschäftsführer, der natürlich CEO heißt, eine Mitteilung erhält, dass es "in einem Mailing ein erstes Update" über dies und das aus der Firma gebe, weiß man, wie tief und wie weit das Manual-Deutsch in die Hirne gekrochen ist.

Ein Beispiel. Neulich las man in der Zeitung, das Ausrollen der Funktion einer App werde sich hinziehen. "Ausrollen" ist ein deutsches Wort mit mehreren Bedeutungen. Zum einen steht es für das allmähliche Beenden einer Bewegung, oft bei größeren Maschinen. Wer mit dem Auto in die Berge fährt, sieht manchmal da, wo es bergab geht, kurze bergauf gerichtete Stichstraßen, die dazu dienen, dass Lastwagen mit Bremsproblemen ausrollen können. Außerdem kann man etwas Zusammengerolltes ausrollen: eine Tora-Rolle, einen Teppich oder sogar einen Klumpen Teig. Für letztere Tätigkeit gibt es das Nudelholz.

Im Englischen wiederum stammt der Begriff rollout aus der produzierenden Industrie, er wurde vor allem bei der Vorstellung eines neuen Flugzeugs benutzt. Als Journalist war ich mal beim Rollout eines modernisierten Kampfflugzeugs dabei; das Ding wurde mit einem Traktor aus dem Hangar gerollt, wie es ihm der Wortsinn rollout befahl. Dann aber annektierten die Schergen von Gates, Jobs und Bezos das Wort. In deren Jargon, der mehr und mehr die Welt prägt, steht rollout nun für die Fertigstellung, Vorstellung, Veröffentlichung aller möglichen Programme und deren Verwandter ("rollout of the new Covid-App").

Erstaunlicherweise wird das englische rollout von den hiesigen Unterschergen des amerikanischen Digitalimperialismus nun wörtlich ins Deutsche übertragen (das Ausrollen), was besonders nahe zu liegen scheint, weil ja der Wortstamm rollen beziehungsweise to roll so ähnlich klingt. Vergleichbares gibt es immer wieder, zum Beispiel wenn das englische pathetic (jämmerlich, Mitleid erregend) wegen der klanglichen Ähnlichkeit einfach mit pathetisch (erhaben, übertrieben, feierlich) "übersetzt" wird.

Das Ausrollen jedenfalls macht sich als Krückensynonym für das Einführen von Dingen, nicht mehr nur von Software, so breit wie ein bremsgeschädigter Lkw in der Notfallspur. In einem Debattenforum für IT-Menschen fand ich einen Faden, nein, einen Thread, in (an?) dem kurz über das Ausrollen diskutiert wurde. Einer schrieb, ob Rollout oder Ausrollen sei völlig egal, man wisse, was gemeint ist, und außerdem rede man halt so. Das ist zwar pathetic, aber, wie gesagt, diese Kämpfe sind leider verloren.

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