Was es ja eher selten benötigt im Internet, ist noch mehr Weltuntergangsstimmung. Die Sentimente sind pessimistisch genug, das eigentliche Thema ist dabei fast egal. Neu ist in den vergangenen Tagen und Wochen, dass der allgemeine Trübsinn sich nicht etwa aus den zahllosen Krisenherden unserer Welt oder den großen gesellschaftlichen Verwerfungslinien generiert, sondern angesichts des Zustands des Internets selbst entsteht.
"Das Internet könnte so gut sein, echt jetzt", heißt es im Atlantic, der New Yorker erklärt, warum das "Internet keinen Spaß mehr macht" und in der Technology Review wird immerhin schon ein Plan ersonnen, "wie man das Internet repariert".
Wenn in diesen Artikeln vom "Netz" oder "dem Internet" die Rede ist, sind im Übrigen nicht die physikalischen Übertragungswege, die Glasfaserleitungen und Wlan-Hubs gemeint, sondern eher jene sozialen Netzwerke, auf denen der überwiegende Anteil der Nutzer sein digitales Leben hauptsächlich verbringt.
Historiker Volker Weiß zur politischen Botschaft der Hamas:Massaker und Message
Der bildgewaltige Massenmord vom 7. Oktober hatte wesentlich nur ein Ziel: die Empörung über die Gegenschläge Israels anzuheizen. Das Ziel wurde - bis nach Harvard und Yale - sofort erreicht. Eine dystopische Nachricht.
Das Internet fühle sich heute leerer an, wie ein weiter Flur, auch wenn es mit mehr Inhalten gefüllt ist als je zuvor, heißt es dort. Mehr rechtskonservative Echokammer anstatt Wundertüte. Zudem sei der Umgang hierarchischer geworden. Tiktok, Twitch und andere Plattformen funktionieren eher wie Sendestationen anstatt wie ein Marktplatz der Ideen. Waren die sozialen Medien früher eher ein Ort der Konversation, ist eine gleichberechtigte Unterhaltung nicht mehr unbedingt notwendig, sondern nur noch das Beobachten und Zuhören. In diesem Klima werden nur jene Inhalte beworben und geteilt, auf die sich die Masse ohnehin einigen kann, es herrscht die Tyrannei der lautesten Stimme; das traditionelle Verständnis von Ruhm und Erfolg hat sich im Netz fortgesetzt.
Wunschtraum oder belastbare Diagnose? Die Art, wie wir online kommunizieren, könnte sich fundamental verändern
Man hat es sich ganz gut eingerichtet in der Dystopie. Nun gut, das soziale Netz ist zwar heillos kommerzialisiert und an jeder Ecke wird versucht, uns Schrott mit Influencer-Gütesiegel zu verkaufen, Desinformation wird mittlerweile schulterzuckend hingenommen in der Annahme, dass ohnehin der überwältigende Anteil an Inhalten, die uns online begegnen, gefälscht ist. Natürlich ist das nicht alleinig Schuld der Konzerne. Online-Trolle und professionelle Mem-Fabrikanten haben nicht das geringste Interesse an einem zivilen Diskurs.
Kein Wunder, dass so gut wie alle Kommentatoren deshalb zu dem Schluss kommen, dass sich die Ära der großen Plattformen an ihrem Ende befindet. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt liege nun ein Gefühl in der Luft, dass sich die Art und Weise, wie wir online kommunizieren, fundamental verändern könnte.
Ist das eher Wunschtraum oder schon belastbare Diagnose? Neue dezentrale Netzwerke wie Mastodon, Bluesky oder Threads bieten Anlass zur Hoffnung. Würden sich diese interoperablen Angebote durchsetzen, können die Nutzer problemlos die Plattform wechseln, ohne damit ihre gesamten Inhalte und die mühsam angehäuften Follower zu verlieren. Ein großflächig verteiltes Online-Dasein und zunehmender Wettbewerb zwischen neuen Apps und Plattformen bieten dann die Möglichkeit für mehr Selbstermächtigung. Die Nutzer könnten selbst über das nötige Maß an Datenschutz und Moderationsrichtlinien entscheiden.
Heute werden diese roten Linien in den Konzernzentralen formuliert, und das oberste Gebot lautet oft genug, das Nutzerengagement und Anzahl der Klicks nicht zu beeinträchtigen. Und das ist bei allem Pessimismus vielleicht die wichtigste Lektion: All die schlechten Dinge, an denen man sich jeden Tag stört, wohnen nicht der Technik selbst inne. Sie sind absichtlich eingebaut worden.