Soundtrack des Sommers:Das Jahr eins nach "Happy"

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Pharrell Williams "Happy" duldete auch ein halbes Jahr später noch keinen anderen Hit neben sich. (Foto: Getty Images)

Nach den La-Ola-Krachern der WM, den rückgratlosen Musikern von Coldplay und Lana del Rey stellt sich die Frage: Kann es noch einmal einen Hit wie Pharrell Williams "Happy" geben? Eine Anatomie aktueller Sommerhits.

Von Andrian Kreye

Wenn sich um den frühen Juli herum die Luft so weit erwärmt hat, dass sie die Schallwellen schneller durch die Straßen trägt, als im kalten Rest des Jahres, und all die Songfetzen aus Kneipen, Gärten, Autofenstern deutlich an Präsenz gewinnen, machen sich Popkritiker gerne Gedanken darüber, welche Lieder denn diesen Sommer prägen und so zum Soundtrack der Erinnerungen werden. Es stellt sich allerdings erst einmal die Frage, ob es im Jahr eins nach Pharrell Williams überhaupt noch einen Sommerhit geben kann.

Das war "Shock and Awe" im letzten Sommer: Erst lancierte er den Ohrwurm "Blurred Lines" mit Robin Thicke. Dann fusionierte er für Daft Punk die unwiderstehlichen Rhythmus-Signaturen von Nile Rogers und Giorgio Moroder zu "Get Lucky". Und im November veröffentlichte er den Zeichentrickfilmsong "Happy" als Single, der ein halbes Jahr später immer noch keine anderen Hits neben sich duldet.

WM-Kracher und rückgratlose Jammerlappen

Erschwerend hinzu kommen die Fußballweltmeisterschaft mit ihren La-Ola-Kracherln, die "Occupy EDM"-Ambitionen der rückgratlosen Jammerlappen von Coldplay und Lana del Rey, die für erwachsenere Menschen so klingt, als habe jemand einen Stapel Kate-Bush-Singles mit 33 Umdrehungen abgespielt. Doch so ein Sommer wie dieser ist nicht die Zeit, um die Hoffnung aufzugeben. Man kann sich ja auch mal anhören, was Pharrell Williams alles richtig gemacht hat.

Was einem da im Kielwasser von "Get Lucky" als erstes unterkommt, ist eine Londoner Gruppe namens Jungle. Ein Album haben sie noch nicht veröffentlicht (soll irgendwann im Juli kommen) und ihren Song " Busy Earnin'" gibt es nur als Maxisingle, Download oder Soundcloud-File. Das ist zwar modern, aber nicht sehr massenkompatibel.

Doch da ist eben dieser Rhythmusteppich, der die breitflächigen Akkordwirbel, die geschickt dagegen synkopierten Bassfiguren und spitzen Elektrosignale so kunstvoll über nervös nach vorne zischende Hi-Hat-Becken schichtet, bis dieser Effekt eintritt, den Stephen Frears in seiner Nick-Hornby-Verfilmung so brillant inszeniert hat. Da legt John Cusack in seinem Plattenladen einen Song der Beta Band auf, der sämtliche Besucher im Raum wie nebenbei dazu zwingt, irgendeinen Teil ihres Körpers in die seismischen Schwingungen des Grooves zu versetzen.

Ein Groove mit solchem übermächtigem Sog lässt sich nur schwer schreiben, geschweige denn programmieren. Wenn es einer Band dann doch gelingt, zieht einen das sofort in Bann. Was erklärt, warum Daft Punk im letzten Sommer mit einem eigentlich mittelmäßigen Album so durchschlagen konnte. Oder warum Jungle in Amerika jetzt schon auf Festivals und in Late-Night-Shows herumgereicht werden, obwohl es dafür noch keine kommerziell plausible Faktenlage gibt.

Mit dem Groove allein hätte sich Pharrell Williams aber nie so nachhaltig durchgesetzt. Eine Grundstimmung zu erzeugen, die eine globale Mehrheit in eine fundiert gute Laune versetzt, ist noch so eine Kunst des Pop, die man nicht rational erklären kann. "Happy" funktioniert ja gerade deshalb so gut, weil das unwiderstehliche Euphorie-Dur des Songs mit einer Moll-gefärbten Melancholie kontrastiert wird. Das hat Substanz und Größe. Ganz ähnlich funktioniert der Song " The Worst" von Jhené Aiko, der in Amerika gerade als Saisonfavorit gilt. Aiko ist eine postethnische R' n' B-Sängerin aus Los Angeles, die von Kanye West bis Schoolboy Q schon mit so ziemlich allen derzeit wichtigen Hip-Hop-Stars gearbeitet hat.

Virtuose Phrasierungen

Die nähert sich dem bittersüßen Sommergefühl aus der entgegengesetzten Richtung wie "Happy", kommt aber zu ähnlichem Ergebnis. Aiko kapituliert emotional vor der Sehnsucht und der Lust, während sie mit ihren virtuosen Phrasierungen einen einzigartigen Gestus des dominanten Kontrollverlusts inszeniert.

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Ob der Song in Europa zündet, bleibt abzuwarten. Er ist sehr amerikanisch, weil Sommerhits dort sehr unterschiedlich funktionieren müssen. So kann sich der Song alleine über Stimme, Klavierakkorde und Elektroklatschen im schmalen Klangbild eines Handys halten. Für den Subwoofer liegen unter dem minimalistischen Arrangement jene lange nachdröhnenden Basstrommel-Schläge, mit denen Hip-Hopper so gerne alles im weiten Radius rund um ihre Autos zum Beben bringen.

Es ist aber ausgerechnet der verstorbene Michael Jackson, der noch einmal zeigt, wie man einen Sommer erobert. Was sein Erbwalter und Produzent Timbaland aus dem dreißig Jahre alten Song "Love Never Felt so Good" gemacht hat, transportiert die rhythmische Übermacht und melancholische Euphorie der Disco-Jahre aus den Tiefen des Nachlasses furios in die aktuellen Radioplaylists. Damit kann sich nicht einmal Pharrell Williams messen.

© SZ vom 05.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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