Netzkolumne:Meine Fans gehören mir

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Die wichtigste Währung in den Sozialen Medien ist die Anzahl der Follower eines Nutzers. (Foto: Eva Blanco /imago images/Westend61)

Wenn Social-Media-Nutzer die Plattform wechseln, können sie ihre Follower nicht mitnehmen. Eine Lobbygruppe will das nun ändern. Haben sie eine Chance?

Von Michael Moorstedt

Die Superstar-Kultur stehe "in Flammen", diagnostizierte vor einiger Zeit die New York Times. Viel zu stark entkoppelt vom Erleben der Masse sei die in Hollywood gängige Berühmtheit, hieß es dort. Und statt bei den Fans Sehnsüchte auszulösen, sorge das Luxusgefälle heutzutage für Ablehnung. Gerade die Lockdowns in der Corona-Pandemie hätten das so deutlich gemacht wie niemals zuvor, als Filmstars darüber jammerten, ihre riesigen Anwesen nicht verlassen zu können, während die Gefolgschaft in ihren Ein-Zimmer-Buden darbte.

Anschlussfähigere Stars auf Social-Media-Plattformen übernehmen die soziokulturelle Nische, die einst Oscar-Gewinnern vorbehalten war. Doch auch dort ist Popularität eine sehr flüchtige Angelegenheit. Wer auf Twitter ein Star ist, kann ein paar Klicks weiter auf Youtube ein Niemand sein. Oder andersrum. Wem auf Twitch die jungen Leute zu Fuße liegen, der ist auf Instagram nur einer von vielen.

Längst kann man Abonnenten für seine Social-Media-Kanäle zum Großhandelspreis kaufen

In den von den überlieferten Mechanismen der Massenmedien weitgehend entkoppelten Sozialen Medien sind nicht mehr die Persönlichkeit oder die Entscheidungen der Meinungsmacher ausschlaggebend für die Popularität, sondern die Mechanismen der Plattform. Die Fans dazu zu bewegen, von der einen Webpräsenz auf die andere zu wechseln, ist dabei gar nicht so einfach. Und was passiert eigentlich, sollte die digitale Wahlheimat doch einmal pleite gehen? Völlig unvorstellbar ist das nicht. Man erinnere nur an Myspace oder auch die Kurzvideo-App Vine. Als Letztere im Jahr 2017 die Server abschaltete, standen zahlreiche Videomacher, die eine üppige Gefolgschaft aufgebaut hatten, plötzlich vor dem Nichts.

Follower - andernorts auch Freunde genannt - sind in der Gegenwart eine veritable Währung. Dabei geht es natürlich nicht nur um ideellen Einfluss. An ihr bemisst sich der Wert einer Personenmarke, sie legt fest, wie viel man für bezahlte Postings und Sponsoring-Verträge verlangen kann. Nicht umsonst lassen sie sich auf einschlägigen Portalen zum Großhandelspreis kaufen. 5000 Abonnenten zu 39,99 Euro verspricht eine Plattform, "sofortige Lieferung" garantiert. Wenn die Freunde aber die wichtigste Devise sind, wird schnell die Frage laut, wem sie eigentlich "gehören".

"Große Social-Media-Unternehmen halten unsere persönlichen Kontaktdaten absichtlich in Geiselhaft"

Hinein in diese Gemengelage grätscht nun eine Lobbygruppe namens My Friends My Data. Deren Hauptanliegen ist es, die großen Social-Plattformen dazu zu bringen, einen neuen branchenweiten Standard einführen, der es den Nutzern ermöglichen würde, ihre Follower von einer App auf eine andere zu übertragen, um so mehr Wettbewerb zwischen den Plattformen zu schaffen. Genauso, wie man auch seine Telefonnummer von einem zum nächsten Provider mitnehmen kann, solle das also auch in Zukunft mit den sozialen Kontakten passieren.

"Große Social-Media-Unternehmen halten unsere persönlichen Kontaktdaten absichtlich in Geiselhaft", sagt etwa Daniel Liss, Gründer und CEO von Dispo, einer momentan beliebten Foto-App. "Das schränkt die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher ein, behindert den Wettbewerb und hemmt die Meinungsfreiheit. Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Community-Mitglieder die Kontrolle über ihre Freundesdaten erhalten."

Sehr selbstbewusst spricht man davon, die "vielversprechendsten Unternehmen" der Industrie zu repräsentieren. Neben Dispo gehören auch Apps mit Namen wie Spam, Muze oder Itsme zu der Interessenvereinigung. Es ist in Ordnung, wenn man von den Start-Ups, die sich an der Initiative beteiligen noch nie gehört hat. Obwohl sie bereits mit Hunderten Millionen Dollar an Risikokapital ausgestattet sind, zählen sie noch lange nicht zu den großen Plattformen, auf denen sich heutzutage die globalen Diskurse formen. Dass sich diese jedoch die Deutungshoheit freiwillig nehmen lassen, scheint eher zweifelhaft.

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