Alois Prinz Biografie von Simone de Beauvoir:Gewaltmärsche bis an den Rand der Ohnmacht

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Schrieb wie eine Besessene Tagebuch: Simone de Beauvoir. (Foto: Hulton Archive/Getty Images)

Simone de Beauvoir ist ihrem Biografen Alois Prinz leider völlig fremd geblieben. Das Porträt ihres Mannes und Gefährten Jean-Paul Sartre gelingt ihm ungleich lebendiger.

Von Johanna Adorján

Das Problem dieser neuen Simone-de-Beauvoir-Biografie ist, dass sie keine Sartre-Biografie ist. Im Laufe der Lektüre verfestigt sich der Verdacht, dass dies das bessere Buch geworden wäre. Denn während Sartre einem zuletzt als klein gewachsener Mann mit pochendem Herzen, dicken Brillengläsern und schnellem Geist deutlich vor Augen steht, der links und rechts Mädchenherzen in Flammen setzt und im Restaurant mit lässiger Geste immer für alle die Rechnung begleicht, bleibt einem die eigentliche Hauptfigur aus "Das Leben der Simone de Beauvoir" von Alois Prinz seltsam fremd, beziehungsweise, wie man vielleicht genauer sagen müsste, ist Simone de Beauvoir ihrem Biografen offenbar letztlich fremd geblieben. Sartre geistert polternd durch die Seiten und atmet und denkt, Beauvoir nimmt sich dagegen wie eine Anziehpuppe aus, der man aus Papier ausgeschnittene Kostüme vorhängt. Die Schülerin, die Einser-Studentin, die bekannte Feministin. Die Frau an der Seite von Sartre, die Frau an der Seite anderer Männer, die Frau an der Seite jüngerer Frauen. Es steht alles da und bleibt doch Papier.

Dabei erzählt Prinz anschaulich und detailkundig, und es gelingt ihm, das Leben dieser Frau so nachzuzeichnen, dass man anschließend die wichtigen Stationen nacherzählen kann, ohne ins Stocken zu geraten. Geboren 1908 in ein gehobenes Pariser Bürgertum hinein, als ältere von bald zwei Schwestern. Die Mutter ultrakatholisch, der Vater lockerer, doch wegen beruflicher Rückschläge nie unbesorgt. Noch in ihrer Jugend trifft Simone de Beauvoir zwei wichtige Entscheidungen: nicht an Gott zu glauben, und einmal Schriftstellerin zu werden. Beides hält sie ein, studiert auf dem Weg Philosophie, wobei sie, eine Frau, wie man für die damaligen Zeiten noch hervorheben muss, das zweitbeste Examen ihres Jahrgangs in ganz Frankreich schreibt. Auf Platz 1: Jean-Paul Sartre, mit dem sie bald eine Liebesbeziehung eingeht.

70 Jahre sind seit ihrem berühmtesten Buch "Das andere Geschlecht" vergangen, wirklich weitergekommen ist die Menschheit seither nicht

Sie wird Lehrerin, sie schreibt, veröffentlicht 1943 ihren ersten Roman, "Sie kam und blieb", naja, und immer so weiter, Roman für Roman bis hin zu dem Werk, für das sie heute noch weltberühmt ist, auch wenn es in Wahrheit wohl kaum noch jemand liest: "Das andere Geschlecht" erschien 1949 und beschreibt wortreich und autoritär, dass die Frau nur als Abweichung von der Norm Mann gesehen wird. Man werde nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht, so die bekannte Quintessenz. Das Patriarchat wurde hier zwischen zwei Buchdeckeln dekonstruiert, die Machtstrukturen nicht etwa höflich in Frage gestellt, sondern frontal angegangen. Das war damals radikal, und ehrlich gesagt ist die Menschheit in den letzten 70 Jahren auch nicht so viel weitergekommen. Immer noch sterben Frauen, weil die Verträglichkeit von Medikamenten an Männern bemessen wird, um nur ein einziges Beispiel herauszugreifen.

Aber Simone de Beauvoir dachte nicht nur radikal unabhängig, sie lebte auch so. Sie war eine freie Frau oder hatte jedenfalls den Anspruch an sich selbst, eine zu sein. Ihre Verbindung mit Jean-Paul Sartre hielt 51 Jahre lang, bis zu dessen Tod. Nebenher, wie man weiß, hatten beide andere Liebschaften und Lieben, doch sie hatten sich das Versprechen gegeben, dem anderen stets die Nummer 1 zu sein. Und irgendwie schafften sie es, das einigermaßen einzuhalten, auch wenn das wohl für Simone de Beauvoir nicht so leicht war, wie man es ihr gewünscht hätte. Sie hat enorm umfangreich biographische Selbstzeugnisse hinterlassen, wie eine Besessene Tagebuch geschrieben, und so weiß man, und Prinz erwähnt es oft, dass sie immer wieder von der eifersüchtigen Sorge geplagt war, Sartre könnte sie doch für eine andere verlassen, eine andere, womöglich eine Jüngere könnte ihr den Rang als Sartres Partnerin Nummer 1 streitig machen. Ganz so frei war sie also leider doch nicht. Aber wie war denn nun ihr Privatleben?

Alois Prinz: Das Leben der Simone de Beauvoir. Insel Verlag Berlin, 2021. 303 Seiten, 24 Euro. (Foto: N/A)

Nach Lektüre der neuen Biografie fragt man sich das immer noch. Es gab andere Männer, etwa Nelson Algren, der sie später hassen würde, weil sie ihre gemeinsame Liebe literarisch verarbeitete. Auch Claude Lanzmann war unter diesen Männern. Ansonsten ist im Buch oft von jungen Frauen die Rede, auch Schülerinnen von ihr, mit denen Beauvoir eine engere Verbindung eingeht. Aber eine Verbindung welcher Natur? Reisebegleiterin heißt es einmal, auch Lebensgefährtin. Das Buch spart keusch aus, ob Simone de Beauvoir auch mit Frauen Sex hatte. Davon ist auszugehen, aber von ihrem Biografen erfährt man es nicht. Da könnte es genauso gut sein, dass diese Frau, die irgendwann damit begann, sich als optisches Wiedererkennungszeichen eine Art Witwe-Bolte-Tuch um den Kopf zu binden, mit ihren jungen Damenbekanntschaften nur Kreuzworträtsel löste.

Was man aus diesem Buch auch nicht erfährt, ist, wie Simone de Beauvoir war. Guckt man sich Filmaufnahmen von ihr an, bekommt man den Eindruck einer überaus kontrollierten Person, die es gewohnt ist, andere kraft der Brillanz ihrer Argumente auf Distanz zu halten. Sie wirkt sehr ernst und spricht wie ein Schnellfeuergewehr. Oder anders: Besonders sympathisch wirkt sie nicht. Es wäre die Aufgabe eines Autors, der ihr Leben erzählt, beim Leser Sympathien für sie zu wecken. Und Prinz bemüht sich darum auch. Immer wieder erwähnt er, dass sie lebensfroh war. Gerne lachte. Den angenehmen Seiten des Lebens zugetan war. Aber man spürt das nicht. Es klingt behauptet. Man liest über eine Frau, die in ihrer Freizeit Gewaltmärsche unternimmt, die sie bis an den Rand der Ohnmacht bringen. Man liest von hysterischen Weinanfällen. Von Arbeit und Einsamkeit. Disziplin. Dem Griff zum selbstoptimierenden Aufputschmittel Corydran. Von Momenten jäher Todesangst, in denen sie schreit und dann Schluckauf bekommt. Von quälender Eifersucht. Und dann steht wieder unvermittelt da, dass sie so irrsinnig lebensfroh gewesen sei.

Simone de Beauvoir lebte in einer Zeit, in der eine Frau über 30 als alt und über 40 als unsichtbar galt

Um die Bedeutung von Simone de Beauvoir zu verstehen, hätte es insgesamt mehr Einordnung bedurft. Was für eine Zeit war das, was für eine Welt, in die sie mit ihrem Werk, ihren Gedanken und ihrem Lebensentwurf hineinplatzte wie eine Bombe? Aus heutiger Sicht ist ihre Relevanz ja nur noch schwer nachzuvollziehen, nicht zuletzt: dank ihr. Das war eine Zeit, in der Frauen die Erlaubnis ihres Ehemanns einholen mussten, um arbeiten zu dürfen. Eine Zeit, in der Frauen geheiratet werden wollten, auch weil das Sicherheit bedeutete. (Als Sartre Beauvoir einen Heiratsantrag machte, lehnte sie ab.) Eine Zeit, in der eine Frau ohne Kinder als bedauernswerte alte Jungfer betrachtet wurde, und in der Abtreibung verboten war. Eine Zeit, in der eine Frau über 30 alt war und über 40 unsichtbar.

"Das Leben der Simone de Beauvoir" von Alois Prinz löst ein, was der Titel verspricht. Das Buch erzählt die Lebensstationen dieser Frau getreulich nach, von der Kindheit bis zum Tod 1986. Im Epilog bezeichnet der Autor ihr Leben und Schreiben als heute noch provozierend. Ihm sei Simone de Beauvoir eine "lohnende Zumutung", ein "Angebot, das eigene Weltbild und die eigenen moralischen Vorstellungen von ihr infrage stellen zu lassen". Schade, dass er diese Wucht nicht hat vermitteln können.

Dafür ist ihm in wenigen Auftritten ein lebendiges Porträt von Jean-Paul Sartre gelungen. Wann immer der auftaucht, gibt es Anlass zu Freude. Da ist zum Beispiel das Schild, das an seiner Tür hängt, wenn er schreibt: "Es wird gebeten, mir nicht auf die Nerven zu fallen." Oder die zwei englischen Ausdrücke, die er, der kein Englisch sprach, sich vor seiner ersten USA-Reise draufschaffte: "Fine" und "why not?" Damit mogelte er sich durch jede Konversation. Über Jean-Paul Sartre hätte man von Alois Prinz gerne noch viel mehr erfahren.

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