Sieben Ansichten von Heinz Strunk:"Alkohol gerne in Massen"

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Er zelebriert Außenseitertum und die pure Gaga-Lust, aktuell im Kino in der Fake-Doku "Fraktus". Darin erfinden coole Boys in den Achtzigern den Techno und verschwinden danach in der Versenkung. Im wahren Leben lief es umgekehrt für ihn. Woran das wohl liegen könnte? Sieben Ansichten von Heinz Strunk.

Ronen Steinke

Heint Strunk als Torsten Bage (2. von links) mit Devid Striesow als Roger (l.), Rocko Schamoni als Dirk "Dickie" Schubert und Jacques Palminger als Bernd Wand in "Fraktus" von Lars Jessen. (Foto: dapd)

Hamburg-St. Pauli, der Blick von der Dachterrasse reicht bis zu den rot-blauen Kränen im Hafen. Heinz Strunk legt die Füße hoch. Er trägt Cowboystiefel in seiner eigenen Wohnung. Die silberne Haartolle ist leicht zerzaust, der Ton gelöst, die Stimme ruhig. Der 50-Jährige wirkt aufgeräumt, wie jemand, der mit seinen Entscheidungen endlich zufrieden ist. Lange galten die absurden Hörspiele und Telefonscherze, in denen Strunk seinen gleichzeitigen Misserfolg als Musiker verarbeitete ("Studio Braun"), als Geheimtipp, heute zelebriert der Autor in Romanen und Theaterstücken Akne, Außenseitertum - und die pure Gaga-Lust.

Am 8. November kommt die Fake-Doku "Fraktus: Das letzte Kapitel der Musikgeschichte" in die Kinos, gemeinsam mit Rocko Schamoni und Jacques Palminger erzählt Strunk darin von drei Musikern, die als coole Boys in den Achtzigern den Techno erfanden und seither in der Versenkung verschwunden sind. Im wahren Leben lief es umgekehrt: Das fünfte Lebensjahrzehnt war für Strunk das erste angenehme. Jetzt, zu Beginn des sechsten, überlegt er, woran das liegen könnte. Und was man in Zukunft vielleicht anders macht.

Alleinsein

Das Modell Familie lehne ich für mich ab. Ich würde nie auf die unverschämte Idee kommen zu sagen, was für andere Leute richtig ist, aber für mich ist die Entscheidung jetzt endgültig gefallen, auch unumkehrbar, aus Gründen, die ich hier nicht ausbreiten möchte. Wenn ich mir andere Männer in meinem Alter ansehe: In so einem Leben würde ich mich fühlen wie lebendig begraben. Die Typen alle so seltsam domestiziert, die Frauen machen auch keinen glücklichen Eindruck. Und die Kinder werden oft als eine Art gemeinsames Luxusgut betrachtet; täglich drei Kurse und danach noch Sport und Geige.

Das ist ja das Schöne an einer anonymen Großstadt: Ich kann hier oben auf meiner Dachterrasse sitzen, ohne dass die Leute unten tuscheln und fragen: Der Strunk mit seinen 50 Jahren, hm, was macht der da eigentlich immer so alleine? Einsamkeit ist etwas Schreckliches, aber ich empfinde es überhaupt nicht so.

Unterhalten

Wenn man im Nachtleben unterwegs ist, passiert es kaum einmal, dass ein einziger Satz fällt, der wirklich nachdenkenswert wäre. Ich versuche wirklich, mir eine gewisse Menschenfreundlichkeit zu erhalten, aber es tut mir leid: Ich finde die meisten echt bescheuert. Wenn ich dann mal die Ausnahme zur Regel kennenlerne, jemanden, der mir etwas wirklich Interessantes erzählt, jemanden, der ein sportliches Verhältnis zur Sprache pflegt, womöglich sogar ein Gentleman ist, dann bin ich auch gleich ganz begeistert.

Gentleman: Dieses Idealbild werde ich selbst wahrscheinlich nie erreichen. Aber ich habe einen Freund, Alexander Fest, der dem schon nahe kommt.

Entspannen

Botho Strauß hat sehr treffend formuliert, dass das stumpfe Vor-sich-hin-Dämmern, sei es nun Fernsehen oder Saufen, ein unentbehrliches Mittel ist, um zu dem anderen Extrem zu gelangen, das man ja auch hat: dieses gestochen Scharfe, dieses extreme Sich-Konzentrieren. Die Vorstellung, in einer Schreibpause Thomas Mann zu lesen, ist völlig absurd.

Meine jüngste Leidenschaft? "Berlin Tag&Nacht'". Pseudo-Reality auf RTL 2. Alle sind irgendwie tätowiert, niemand hat was zu tun. Herrlich! Und sonntagabends lasse ich statt des bescheuerten, spießigen Tatorts lieber "Das perfekte Promi-Dinner" auf Vox laufen.

Schreiben

Den Erfolg meines ersten Romans, "Fleisch ist mein Gemüse", werde ich nicht mehr toppen können, das ist klar, das war one in a million, im 43. Lebensjahr. Mein drittes Buch, ,"Fleckenteufel", hat sich auch noch mal gut verkauft. Die beiden anderen aber, "Die Zunge Europas" und "Heinz Strunk in Afrika", liefen nicht so gut, und rückblickend habe ich langsam eine Ahnung, woran es lag.

Die beiden Verkaufserfolge waren einfacher geschrieben. Mein fünfter Roman, "Junge rettet Freund aus Teich", der im März erscheinen wird, hat in diesem Sinne wieder die Chance, ein größeres Publikum zu finden. Obwohl ich darin sprachlich das bislang größte Wagnis eingehe: Es geht darum, den Übergang von der Kindheit in die Pubertät als ein einziges Schrecknis zu erzählen, wobei die Besonderheit darin besteht, dass der Protagonist zu Beginn sechs Jahre alt ist und in der Sprache eines Sechsjährigen erzählt. Mit zehn Jahren spricht er anders. Und mit 14, am Ende des Buchs, wieder anders. Die Tonalität entwickelt sich. Ich hoffe, das funktioniert. Okay, wenn die Leute das Buch nur wegen des ersten Kapitels mit der einfachen Sprache kaufen und anschließend die anderen nicht lesen: Soll's mir auch recht sein.

Trinken

Bei meiner letzten Lesereise habe ich mich beim circa vierzigsten Termin dazu verleiten lassen, vor dem Auftritt eine Flasche Champagner zu trinken. Nicht gegen Bühnenangst, eher gegen Bühnenödnis. Eine Lesereise, das bedeutet ja: sechzig Mal der gleiche Vortrag, exakt der gleiche, jede Atempause ist gesetzt, man treibt den Text von Abend zu Abend zur Perfektion, und ich muss den Zuhörern dabei immer irgendwie den Eindruck vermitteln, dass es mir Spaß macht. Aber für mich ist das kein Spaß. Null Komma null. Ich gucke immer auf die Uhr: Bitte, lass es bald vorbei sein! Mit dem Champagner hat es mich dann den letzten Nerv gekostet, mich überhaupt darauf zu konzentrieren, dass ich nicht auf der Bühne anfange zu lallen. Ich kann in aller Ehrlichkeit sagen: Alkohol, gerne in Massen. Ich muss mir auch immer wieder selbst Pausen verordnen, damit das nicht abdriftet. Aber unter Alkoholeinfluss arbeiten: ganz schlechte Idee.

Bereuen

Früher habe ich sehr unter meinen diversen Defiziten gelitten, wollte immer an mir arbeiten, und irgendwann bin ich zu dem Schluss gekommen: Bitte, etwas mehr Milde. Meine Restlebenszeit könnte ich gut und gerne darauf verwenden, meine Defizite zu minimieren. Stattdessen ist es die bessere Strategie, glaube ich, mich auf meine paar Stärken zu konzentrieren.

Begehren

Ich würde einiges dafür geben, wenn man von der Libido eines Tages vollkommen befreit wäre. Luis Buñuel hat mal gesagt, er hätte erst dann ein menschenwürdiges Leben führen können. Wenn man mit 70 immer noch die gleichen Begehren verspürt wie mit 30, aber gar keine Chance mehr hat, das wäre schlimm. Bei vielen Literaten, Philipp Roth ist sicher der bekannteste, endet das in Klageliedern darüber, dass 20-jährige Mädchen keine Lust mehr haben, ihnen die Eier zu lecken. Na Gott, denke ich mir da! Irgendwann ist auch mal gut.

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