Tanztheater:Es ist was faul im Märchenland

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Gonzalo Cunill, Romy Louise Lauwers und Grace Ellen Barkey in "Billy´s Joy". (Foto: Wonge Bergmann)

Alle Shakespeare-Komödien in 95 Minuten: das neue Stück der Needcompany bei Impulstanz in Wien.

Von Wolfgang Kralicek

Die von dem bildenden Künstler Jan Lauwers gemeinsam mit seiner Frau, der Choreografin Grace Ellen Barkey, gegründete Needcompany aus Brüssel gehört zu den ältesten (seit 1986!) und besteingeführten Marken des freien Theaters. Einen Namen machte Lauwers sich zunächst mit coolem Unterstatement; in seiner Inszenierung von Shakespeares "Antonius und Cleopatra" (1992) etwa wurde der Tod einer Figur einfach dadurch angezeigt, dass der betreffende Schauspieler von der Bühne ging.

Den lässig-schnoddrigen Zugang hat Lauwers sich bewahrt, aber spätestens seit dem Welterfolg des bewegenden Needcompany-Musicals "Isabella's Room" (2003) ist offensichtlich, dass der Regisseur kein Problem mehr damit hat, ganz uncool zu entertainen. In der neuen Needcompany-Produktion "Billy's Joy", die jetzt beim Wiener Festival Impulstanz im Akademietheater uraufgeführt wurde, greift Lauwers nun einmal mehr auf seinen Lieblingsautor zurück. "Billy" steht für William Shakespeare, "Joy" für dessen gesammelte Komödien.

Das Stück ist die Fortsetzung von "Billy's Violence" (2021), in dem die Tragödien das Thema waren. Die Texte sind in beiden Fällen nicht von Jan Lauwers (und auch nur am Rande von Shakespeare), sondern von Victor Afung Lauwers. Der 32-jährige Sohn von Lauwers und Barkey hatte 2010 selbst eine Gruppe gegründet (Kuiperskaai Collective) und trat nach deren Auflösung dem Familienunternehmen bei.

Einige der komplexesten Werke der Theatergeschichte in knapp zwei Stunden

Für "Billy's Violence" (auch das Vorgängerstück war bei Impulstanz zu sehen) hatte Victor Lauwers zehn Shakespeare-Tragödien zu zehn Paar-Szenen verdichtet, von "Othello" bis "Macbeth", von "Hamlet" bis "King Lear". Einige der komplexesten, kanonischsten Werke der Theatergeschichte mal eben so in einen knapp zwei Stunden langen Abend packen zu wollen, ist natürlich eine Chuzpe; aber manchmal siegt Frechheit ja auch im Theater. Tatsächlich gibt es Teilerfolge wie eine total versaute, sehr komische "Romeo und Julia"-Szene; insgesamt aber ist "Billy's Violence" nicht mehr als die Needcompany-Version des um 2000 herum vielgespielten Stadttheater-Ulks "Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)".

Im neuen Stück hat sich Victor Lauwers nun also die Komödien vorgenommen, aber diesmal ist er weniger schematisch vorgegangen. Im Verlauf der 95 Minuten werden zwar ein gutes Dutzend Stücktitel genannt - von "Was ihr wollt" bis "Wie es euch gefällt", von "Der Widerspenstigen Zähmung" bis zur "Komödie der Irrungen", von den "Lustigen Weiber von Windsor" bis zum "Kaufmann von Venedig", der formal ja auch zu den Komödien zählt -, aber das ist hauptsächlich Namedropping, die meisten erwähnten Stücke werden nicht einmal angespielt. "Billy's Joy" ist keine Collage aus verschiedenen Komödien-Szenen, sondern eine einzige große Meta-Komödie nach Motiven von Shakespeare; wenn's sein muss, wird zwischendrin auch mal ein Karl-Marx-Zitat eingebaut.

Die beste Pointe steht im Programmheft, wo Victor Lauwers mit folgendem Satz zitiert wird: "Der wesentliche Unterschied zwischen Shakespeares Tragödien und seinen Komödien ist, dass die Komödien nicht lustig sind." Die Atmosphäre der Aufführung ist trotzdem eher heiter, schon deshalb, weil das in Needcompany-Aufführungen immer so ist. Angesiedelt ist "Billy's Joy" in einem Märchenland, einem Amalgam aus all den Phantasiewäldern und Zauberinseln, in und auf denen die Shakespeare-Komödien angesiedelt sind. Zu sehen ist davon freilich nichts, die Bühne ist fast leer, aber immerhin sind die acht Performerinnen und Performer mit spitzen Elfenohren, übergroßen Clownsschuhen, Eselsmasken und Blumenkronen ausgestattet. Eindeutig zuordnen lassen sich die Figuren kaum; nur zwei aus Shakespeare-Komödien bekannte Namen kommen vor, der Elfenkönig Oberon (Gonzalo Cunill) aus dem "Sommernachtstraum" und die Hexe Sycorax (Grace Ellen Barkey) aus dem "Sturm". Dafür treiben sich in Lauwers' Märchenland auch das Schneewittchen (Meron Verbelen) der Brüder Grimm sowie das Tragödienpaar Romeo (Nao Albet) und Julia (Romy Louise Lauwers) herum; letztere nennt sich inzwischen allerdings Eden, weil ihr der Name Julia "zu prüde" war.

Martha Gardner spielt ein bisschen Zettel und ein bisschen Caliban, vor allem aber sich selbst ("Ich bin hier die einzige Britin und kann wirklich jede Rolle spielen!"); Juan Navarro gibt einen Bären namens Pourquoi, der die Szene mit einem Hamlet-Zitat betritt ("Soll ich sie fressen oder nicht fressen - das ist hier die Frage!") und sich für den Rest des Abends an den Herd der Gartenküche verzieht, die am rechten Bühnenrand steht. Maarten Seghers, der bei der Needcompany für die Musik zuständig ist, spielt außerdem eine Art Conférencier namens Fluido. Für die fluiden Geschlechtsidentitäten, die in den Shakespeare-Komödien gang und gäbe sind, interessiert sich das Stück aber erstaunlicherweise gar nicht; stattdessen beklagt Fluido sich einmal, dass den Menschen die Fähigkeit abhanden gekommen sei, eine Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende zu erzählen.

"Es ist was faul im Märchenland!", sagt Victor Lauwers. Deshalb hat auch "Billy's Joy" keine klassische Erzählung mehr zu bieten. Dass manche Szene etwas unfertig wirkt, ist zwar eher keine Absicht, aber dass die Schlussszene abgebrochen wird, erscheint plausibel: Das kannibalische Festessen aus dem Schauerdrama "Titus Andronicus", in dem einer Mutter ihre zu einer Pastete verkochten Söhne vorgesetzt werden, hat auch in einer Meta-Komödie nichts verloren.

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