Setbesuch bei Birgit Minichmayr:Naivität ist keine Ausrede

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Theater-Wunderkind Birgit Minichmayr dreht fürs TV einen Film über Adele Spitzeder - eine Frau, die im 19. Jahrhundert eine Finanzkrise auslöste. Gewisse Parallelen gibt es. Ein Setbesuch.

Lena Schilder

In der Münchner Rauchstraße liegt das Tor zum 19. Jahrhundert. Backenbärtige Männer in Anzügen stehen aufgereiht neben Damen in langen Kleidern. In einem Stall, der verdächtig einer Garage gleicht, sind zwei stämmige Gäule untergebracht. Alles sehr malerisch, der Herbst tut sein Übriges. Und dann steht da Birgit Minichmayr, mit feuerroten kurzen Haaren. Steif wirkt sie nicht einmal in ihrem hochgeschlossenen schwarzen Kleid, sie strahlt Bewegung aus. Und Unruhe. Gedreht wird gerade nicht. Handwerkergeräusche aus einem nebenstehenden Haus verhindern die Aufnahme. Da der Handwerker sehr fleißig, Fernsehproduktionen gegenüber aber unbestechlich zu sein scheint, gibt es erstmal Mittagessen.

Birgit Minichmayr gilt als "Wunderkind" des Theaters. Als Münchner Lokalpatriotin Adele Spitzeder steht sie derzeit für einen Fernsehfilm vor der Kamera. (Foto: Reuters)

Unter der Regie Xaver Schwarzenbergers entsteht derzeit die deutsch-österreichische Koproduktion Adele Spitzeder. Besagte Adele hatte Ende des 19. Jahrhunderts das Schneeballsystem in München eingeführt: Sie lieh Geld, gewährte zehn Prozent Zinsen, bekam immer mehr Zulauf von den kleinen Leuten, gründete die sogenannte "Dachauer Bank" und ist - Börsencrash lässt grüßen - zahlungsunfähig, als zu viele gleichzeitig die Hand aufhalten. Das Resultat: Das Geld von mehr als 30.000 Kleinverdienern ist futsch, manche von ihnen nehmen sich das Leben, und die feine Dame findet sich, zu ihrer größten Empörung, auf der Anklagebank wieder: Alle hätten doch gewusst, dass sie gelernte Schauspielerin sei, oft genug habe sie betont, keine Ahnung von Finanzdingen zu haben.

Birgit Minichmayr, die 33-jährige österreichische Schauspielerin, gilt in Theaterkreisen als "Wunderkind". Immer wenn sie, in Wien oder Berlin, die Bühne betritt, klammern sich die Zuschauer vorsorglich an den Sitzen fest, so energisch ist ihr Spiel. Klaus Maria Brandauer, Lehrer am Max-Reinhard-Seminar in Wien, hat früh das Talent der damals noch Pausbäckigen aber wild Entschlossenen erkannt - und gefördert. Auch Menschen, die ihre Freizeit nicht gern im Theater verbringen - sondern lieber vor dem Fernseher oder im Kino - kennen sie inzwischen.

Ihre Frauenrollen sind stark und sperrig

Unter anderem war sie die lesbische Tochter von Hannelore Elsner und Elmar Wepper in Kirschblüten-Hanami (2007). Den silbernen Bären als beste Schauspielerin bekam sie für die Rolle der Gitti in Alle anderen, die der Liebe wegen zwar verbiegungsbereit ist, sich dann aber partout nicht richtig verrenken kann. Ihre Frauenrollen sind stark und sperrig. Adele Spitzeder ist es auch.

Bevor sie bereit ist, über Adele zu sprechen, braucht sie eine Zigarette. Ihr Laster ist bekannt und wird oft und gerne in Zusammenhang mit ihrer rauchigen Stimme genannt. Von Jahr zu Jahr ist auch zu lesen, dass sie bald mit der Raucherei aufhören möchte. Hat wohl noch nicht geklappt. Einer Eingabe folgend spricht man sie momentan nicht auf die augenscheinlich fortbestehende Sucht an. Ein Raum für die Interviews muss gefunden werden.

Als sie, auf einem gepolsterten Sessel des vorvorigen Jahrhunderts Platz genommen hat, beginnt sie von dieser "unglaublich emanzipierten, starken Frau" zu sprechen, die "sehr fortschrittlich gedacht und sehr eigenwillig gelebt" habe. Birgit Minichmayr sitzt leicht nach vorne gebeugt, sie ist hellwach. Mit Nachdruck und - ja - tiefer, energischer Stimme - spricht sie über die "krrrrrassen Parallelen" zu unserer Zeit: "History repeats itself". Ihr leichter österreichischer Akzent fügt eine warme Note hinzu. Manchmal hält sie kurz inne und sucht nach der richtigen Formulierung, Wörter wie "vielleicht" oder "möglicherweise" verwendet sie selten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Parallelen es zwischen Minichmayr und Spitzeder gibt.

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in Bildern.

Gewisse Parallelen zwischen ihr und der Münchner Lokalpatriotin scheinen durchaus vorhanden. Die konnte ihren Kunden angeblich schon mal ein "Kalbsköpfe, ich sag euch rund heraus, dass ich keine Sicherheit für euer Geld gebe" entgegenschmettern. Und war in ihrem Auftreten offensichtlich ähnlich überzeugend wie die Minichmayr, die das Zimmer ihrer Ausbilder gestürmt und sich selbst für Rollen vorgeschlagen haben soll. Während es eine gängige Floskel mancher heiligscheintragender Schauspieler ist, gerne Rollen zu spielen, die so ganz anders sind als sie selbst, denn privat seien sie ja ziemlich lieb, nett, normal, sagt Minichmayr: "Ich will Rollen spielen, die etwas mit mir zu tun haben." Vielleicht bietet sich da ja die Möglichkeit, über Adele etwas über Birgit zu erfahren.

Dann lieber durchtrieben

War Adele nicht naiv zu glauben, ihr Geschäftsmodell könne aufgehen? Zack, das war kein guter Einstieg. "Naiv? Wieso denn naiv?" Woran man das denn bitteschön festmachen wolle? Adele Spitzeder sei eine "unglaublich durchtriebene und durchdachte Frau" gewesen, mit einem "erstaunlichen Mangel an Unrechtsbewusstsein". Naivität, so lernt man, scheint keine Eigenschaft zu sein, mit der Birgit Minichmayr viel anfangen kann. Und wohl auch keine, die sie als Ausrede für Fehlverhalten durchgehen lassen würde. Dann lieber durchtrieben, das ist weniger kalbsköpfig.

Bei aller Sympathie für diese Frau, die sich als eine der ersten in der Männerdomäne Bankwesen behaupten konnte: Sie sei doch ein "sehr ambivalenter Charakter" gewesen, " eine schmerzfreie, egoistische und sehr eigenwillige Person".

Ein bisschen wirkt es, als sei die Schauspielerin Adele über die Dreharbeiten zu einer guten Bekannten geworden, mit der es aufregend und lustig ist, Zeit zu verbringen, über die man aber auch manchmal kräftig den Kopf schüttelt. Plötzlich bricht Birgit Minichmayr in langes Gelächter aus und ruft "diese Frau!" angesichts der Nachlässigkeit, mit der Adele Spitzeder ihre Kassenbücher geführt hat. Oder kommentiert deren Vorhaben, gleich nach der Entlassung die nächste Bank gründen zu wollen, trocken mit "Haben wir wieder nichts gelernt".

Der Handwerker hat schließlich ein Einsehen, jetzt wird gedreht. Alle auf Position. Birgit Minichmayr sagt über sich, sie "nehme Stimmungen sehr genau auf" und mache "bei schlechter Stimmung zu". Das glaubt man gern. Ihre Laune steigt nach dem Dreh merklich.

Eine Parallele mit Adele Spitzeder ist ihr zum Glück erspart geblieben. Die war nämlich eine so schlechte Schauspielerin, dass sie - naiv war sie ja schließlich nicht - den Kurswechsel zum "Bankfräulein" vorgenommen hat, um ihren Lebensstandard zu sichern. Was wäre, wenn ihr, Birgit Minichmayr, ebenfalls nur das schauspielerische Talent zur Statistin oder Leiche mitgegeben worden wäre? "Ach" beginnt die betont lässig, "dann hätte ich immer noch ganz viele Möglichkeiten gehabt". "Ich hätte wahrscheinlich wirklich studiert oder wäre ins Ausland gegangen. Ich hab meine Aufnahmeprüfung nicht so verbissen gemacht." Das klingt, bei allem Potential zum Lebenskünstler, nicht wirklich nach ausgereiftem Plan B. Passt auch nicht recht dazu, dass sie es, nachdem sie im Mozarteum Salzburg für eine Schauspielausbildung abgelehnt worden war, gleich nochmal beim Max-Reinhardt-Seminar in Wien probiert hat.

"Einen gewissen Ehrgeiz habe ich"

Getraut hat sie ihrer Berufung allerdings am Anfang nicht so recht: "Ich war nicht so selbstbewusst, was mein Talent betrifft, ich dachte, das müssen doch andere feststellen. Ich war nie verbissen, aber ich wollte gut werden, in dem was ich tue. Einen gewissen Ehrgeiz hab ich." Und wie steht es um ihr Talent zum Kohle herauspulvern? Kann sie genau so verschwenderisch sein wie die Spitzeder mit ihren vielen Häusern? "Ja, natürlich, absolut.....mehr als verschwenderisch." Sagt's und lächelt geheimnisvoll in sich hinein. Welche teuer erworbene Errungenschaft gerade vor ihrem geistigen Auge erscheint, mag sie nicht verraten. Nur, dass sie ihr Schlafzimmer gern im Look des 19. Jahrhunderts tapezieren möchte - von der Gage für den Film. Die dunkelbraune Tapete hat es ihr sehr angetan.

Ganz im Gegensatz zu Adele ist Birgit Minichmayrs Karriere, zumindest von außen betrachtet, ziemlich geradlinig steil nach oben verlaufen. Musste sie nie eine Kehrtwende vornehmen? "Der Umzug vom Wien nach Berlin war vielleicht ein Neuanfang. Ich hab alles zurückgelassen, außer Lieblingsbücher, Klamotten, CDs und DVDs. Mit dem Wort Neuanfang kann ich allerdings wenig anfangen. Dein altes Leben hast du ja trotzdem gelebt, das nimmst du trotzdem mit. Innerer Neuanfang - da gibt's noch viel zu tun. Man fällt ja doch immer wieder in alte Muster zurück."

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