Schriftsteller Wolf Haas:Erfolg - Sau - Tor

Schriftsteller Wolf Haas: Wolf Haas ist für die Brenner-Krimis bekannt. Der Wiener hat aber auch Romane veröffentlicht, mit denen er sich von der Reihe emanzipiert.

Wolf Haas ist für die Brenner-Krimis bekannt. Der Wiener hat aber auch Romane veröffentlicht, mit denen er sich von der Reihe emanzipiert.

(Foto: Lukas Beck)

Wolf Haas liebt Wortspiele und ungewöhnliche Erzählformen. Für seine Brenner-Krimis, die sich für ihn mittlerweile anfühlen wie Sex mit der Ex, wird er kultisch verehrt. Eine Begegnung mit dem Wiener Autor.

Von Bernhard Blöchl

Ein Wolf macht noch keinen Haas. Um der Persönlichkeit des Schriftstellers auf die Schliche zu kommen, muss man differenzieren. Man muss sich mit Wolf Haas, dem Bühnenmenschen, beschäftigen, mit Wolf Haas, dem Autor und Sprachschelm, außerdem mit Simon Brenner, der Romanfigur, die ihn berühmt gemacht hat. Und dann gibt es da noch den Erzähler seiner urösterreichischen Kriminalgeschichten. Der ist sowieso der Allergrößte. Quasi ewiges Leben.

Aber der Reihe nach. Mitte Oktober steht Wolf Haas auf der Bühne des Volkstheaters, es ist seine erste München-Lesung zum neuen Roman "Brennerova" (an diesem Wochenende folgen zwei weitere Gastspiele). Haas, so groß wie schlank und fast ein "Knochenmann", wie einer seiner frühen Krimis heißt, blickt auf 600 Zuhörer und schaut ins Nichts. Er konzentriert sich. Bevor er Auszüge aus Brenners achtem Fall vorlesen und das Publikum erheitern wird mit seiner körperlich mitreißenden Art, Pointen ineinanderfließen zu lassen, sozusagen ohne Punkt und ohne Komma, rezitiert der 53-Jährige die schrägen Verse aus dem Kinderbuch, das er vor vier Jahren herausgebracht hat. Auswendig. "Ich kann's! Ich bin die Gans. Ich mach es wieder heil! Ich bin die Gans im Gegenteil!" Haas, der Bühnenmensch, möchte überraschen, er will unterhalten und niemals langweilen, am wenigsten sich selbst. Also stellt er sich hin, der Wolf, und macht einen auf Gans.

Wenige Stunden vorher sitzt der Wiener in einem Hotel-Restaurant am Stachus und gibt ein Interview über sein Leben als Autor. "In der Phase, in der ich jetzt bin, nach Abschluss des Buches und während der Lesungen, habe ich immer das Gefühl, ich werde überhaupt kein Buch mehr schreiben. Das brauche ich für meine Gehirnregenerierung, also Gedanken wie: Ich könnte ja auch ein Kaffeehaus eröffnen." Er lächelt und ergänzt: "Kopfblödsinn halt, der einen aber beruhigt."

Man hat das oft gelesen: Der Brenner (in den Verfilmungen kongenial verkörpert von Josef Hader) verlangt ihm alles ab, ist ein treuer Begleiter, ein Alter ego. Haas hat ihm alles zu verdanken: Geboren 1960 in Maria Alm im Salzburger Land, musste der Student der Germanistik und Linguistik einige Manuskripte verwerfen und etliche Absagen wegstecken, ehe einer seiner Romane 1996 verlegt wurde, in der damaligen Reihe "rororo Thriller": Es war die Brenner-Premiere "Auferstehung der Toten", dessen erster Satz sich zum geflügelten Wort hochjazzte: "Jetzt ist schon wieder was passiert".

Der markige Erzähler, ein Leser-Duzer, Satzzerhacker und Sachverständiger für Umgangssprache, sollte sich über die Jahre selbst zur Kultfigur entwickeln: "Dass der Erzähler wichtiger ist als der Brenner, das war schon insofern klar, als ich den ersten Brenner-Roman, also die Rohversion, ohne Detektiv geschrieben habe. Da hat es überhaupt nur den Erzähler gegeben, da ist nur die Geschichte von zwei Leuten im Sessellift erzählt worden", erinnert sich Haas. "Irgendwann hab ich mir gedacht: Jetzt habe ich zwei Leichen, vielleicht sollte ich auch ermitteln?" Also schuf er Simon Brenner, einen Typ "Lonesome Wolf", wie Haas sagt, "und das habe ich mir immer nur mit einem Mann vorstellen können, der mindestens zehn Jahre älter ist als ich."

Brenner kam, sah dem Tod ins Auge und siegte: Drei Deutsche Krimi-Preise und drei Kinofilme (der vierte, "Das ewige Leben", startet im Frühjahr 2015) belegen die Sympathien, die dem knurrigen Ermittler entgegenschlagen. Erfolgsautor sollte man Wolf Haas aber lieber nicht nennen. Das mag er nicht. Das Wort zerpflückt er - ganz der Schelm - in die Bestandteile Erfolg - Sau - Tor. Und freut sich spitzbübisch über diese Reduktion.

Reibung am Realismus

Der Karrierestart war holprig wie es die Wortungetüme waren. "Die ersten Brenner-Bücher haben sich nicht bemerkenswert gut verkauft. Weil meine Absonderlichkeiten eine gewisse Zeitverzögerung bei den Lesern haben", glaubt Haas. "Das ist wie ein Rhythmus, der einem nicht bekannt ist und den man erst entdeckt." Haas erzählt dann eine Geschichte, die ihn schmunzeln lässt, und Haas schmunzelt oft: "Eine Leserin hat mir mal gesagt, in einer Mischung aus Erschrockenheit und Kompliment: Die ersten zehn Minuten dachte ich, ich krieg Herzrhythmusstörungen. Sehen Sie, hab ich gesagt, genau so soll es sein."

Wer Haas' Werk nicht kennt, hat etwas verpasst. Was den ehemaligen Werbetexter (von ihm stammt der Slogan "Lichtfahrer sind sichtbarer") auszeichnet, ist vor allem ein unstillbarer Durst nach neuen Erzählformen, nach Reibung am Realismus, nach Wortkreationen wie "Frauentränenumfaller". Er selbst sagt: "Ich suche die spezielle Form nicht, um originell zu wirken. Ich brauche eine spezielle Form, damit es mir nicht öde wird, während ich schreibe. Ich brauche einen formalen Vorwand, der mich so beschäftigt, dass ich mich selbst austrickse, damit die Geschichte automatisch entsteht." Er betont aber auch: "Ich habe eine klare Ideologie, wie ein Roman sein soll. Zwei Dinge sollen gleich stark sein: die Geschichte, also das Erzählte, und das Material der Geschichte, die Sprache."

Die Freude am literarischen Grenzensprengen gilt nicht nur für die Brenner-Krimis, sondern auch für Wolf Haas' andere Romane: "Das Wetter vor 15 Jahren" (2006) beispielsweise ist komplett in Interview-Form erzählt, und bei "Verteidigung der Missionarsstellung" (2012) schiebt sich der Autor selbst in die Handlung, von der Eigenheit mal ganz abgesehen, dass die gedruckten Sätze mitunter kreuz und quer über die Seiten laufen.

Bis Haas den Brenner-Sound abstellen und andere Bücher schreiben konnte, verging einige Zeit. 2003, in "Das ewige Leben", griff er zu einer drastischen Maßnahme, die einem sensationellen literarischen Kniff gleichkam: "Ich habe die Serie beendet, indem ich den Erzähler erschossen habe. Der war so dominant, dass ich mich irgendwann gefragt habe: Kann ich jetzt nur noch in dem Stil schreiben, auch wenn es kein Brenner-Buch ist?"

Zweimal ist er seitdem rückfällig geworden, mit "Der Brenner und der liebe Gott" (2009), in dem er den getöteten Erzähler mit der Formulierung reaktivierte: "Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen." Und kürzlich eben mit "Brennerova", einer Geschichte, die im Wiener Rotlichtmilieu spielt und den Ermittler zwischen drei Frauen zeigt. "Brennerova", so hieß ursprünglich ein Computer-Ordner, in dem Haas alte Brenner-Dateien sammelte. "Wie ich dann den Ordner gesehen habe, dachte ich mir, das wäre doch ein super Titel." Auch so arbeitet der Autor. Die neuen Krimis, die übrigens ohne den legendären ersten Satz auskommen, seien im Grunde illegitime Kinder. "Ich habe das nie erlebt, aber ich stelle mir das so vor: Das ist dann in gewisser Weise ein überhöhter Reiz, wie wenn man noch einmal Sex mit der geschiedenen Gattin hat. Es hat etwas Verbotenes."

Die Müdigkeit nach dem Sex. Das erklärt den Bedarf an Gehirnregenerierung. Auch das ist Wolf Haas im Herbst 2014.

Und dann ist da noch eine weitere Facette, womöglich eine private, denn sympathisch ist der Wiener auch. Einer, mit dem man gern ein paar Bier trinken würde. "Dass ich in München jetzt Wiederholungsveranstaltungen mache", sagt der Künstler zum Abschied, "das klingt ja wie bei den richtigen". Er lacht frech auf, drückt einem fest die Hand und fragt dann, in welche Richtung er jetzt gehen müsse. Wolf Haas hat die Orientierung verloren, und fast wirkt es, als würde ihm das gefallen. Der direkte Weg war nie sein Ziel.

Wolf Haas liest aus "Brennerova", 27. und 28. Dezember, 20 Uhr, Volkstheater, Brienner Str. 50

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