Ein Wolf macht noch keinen Haas. Um der Persönlichkeit des Schriftstellers auf die Schliche zu kommen, muss man differenzieren. Man muss sich mit Wolf Haas, dem Bühnenmenschen, beschäftigen, mit Wolf Haas, dem Autor und Sprachschelm, außerdem mit Simon Brenner, der Romanfigur, die ihn berühmt gemacht hat. Und dann gibt es da noch den Erzähler seiner urösterreichischen Kriminalgeschichten. Der ist sowieso der Allergrößte. Quasi ewiges Leben.
Aber der Reihe nach. Mitte Oktober steht Wolf Haas auf der Bühne des Volkstheaters, es ist seine erste München-Lesung zum neuen Roman "Brennerova" (an diesem Wochenende folgen zwei weitere Gastspiele). Haas, so groß wie schlank und fast ein "Knochenmann", wie einer seiner frühen Krimis heißt, blickt auf 600 Zuhörer und schaut ins Nichts. Er konzentriert sich. Bevor er Auszüge aus Brenners achtem Fall vorlesen und das Publikum erheitern wird mit seiner körperlich mitreißenden Art, Pointen ineinanderfließen zu lassen, sozusagen ohne Punkt und ohne Komma, rezitiert der 53-Jährige die schrägen Verse aus dem Kinderbuch, das er vor vier Jahren herausgebracht hat. Auswendig. "Ich kann's! Ich bin die Gans. Ich mach es wieder heil! Ich bin die Gans im Gegenteil!" Haas, der Bühnenmensch, möchte überraschen, er will unterhalten und niemals langweilen, am wenigsten sich selbst. Also stellt er sich hin, der Wolf, und macht einen auf Gans.
Wenige Stunden vorher sitzt der Wiener in einem Hotel-Restaurant am Stachus und gibt ein Interview über sein Leben als Autor. "In der Phase, in der ich jetzt bin, nach Abschluss des Buches und während der Lesungen, habe ich immer das Gefühl, ich werde überhaupt kein Buch mehr schreiben. Das brauche ich für meine Gehirnregenerierung, also Gedanken wie: Ich könnte ja auch ein Kaffeehaus eröffnen." Er lächelt und ergänzt: "Kopfblödsinn halt, der einen aber beruhigt."
Man hat das oft gelesen: Der Brenner (in den Verfilmungen kongenial verkörpert von Josef Hader) verlangt ihm alles ab, ist ein treuer Begleiter, ein Alter ego. Haas hat ihm alles zu verdanken: Geboren 1960 in Maria Alm im Salzburger Land, musste der Student der Germanistik und Linguistik einige Manuskripte verwerfen und etliche Absagen wegstecken, ehe einer seiner Romane 1996 verlegt wurde, in der damaligen Reihe "rororo Thriller": Es war die Brenner-Premiere "Auferstehung der Toten", dessen erster Satz sich zum geflügelten Wort hochjazzte: "Jetzt ist schon wieder was passiert".
Der markige Erzähler, ein Leser-Duzer, Satzzerhacker und Sachverständiger für Umgangssprache, sollte sich über die Jahre selbst zur Kultfigur entwickeln: "Dass der Erzähler wichtiger ist als der Brenner, das war schon insofern klar, als ich den ersten Brenner-Roman, also die Rohversion, ohne Detektiv geschrieben habe. Da hat es überhaupt nur den Erzähler gegeben, da ist nur die Geschichte von zwei Leuten im Sessellift erzählt worden", erinnert sich Haas. "Irgendwann hab ich mir gedacht: Jetzt habe ich zwei Leichen, vielleicht sollte ich auch ermitteln?" Also schuf er Simon Brenner, einen Typ "Lonesome Wolf", wie Haas sagt, "und das habe ich mir immer nur mit einem Mann vorstellen können, der mindestens zehn Jahre älter ist als ich."
Brenner kam, sah dem Tod ins Auge und siegte: Drei Deutsche Krimi-Preise und drei Kinofilme (der vierte, "Das ewige Leben", startet im Frühjahr 2015) belegen die Sympathien, die dem knurrigen Ermittler entgegenschlagen. Erfolgsautor sollte man Wolf Haas aber lieber nicht nennen. Das mag er nicht. Das Wort zerpflückt er - ganz der Schelm - in die Bestandteile Erfolg - Sau - Tor. Und freut sich spitzbübisch über diese Reduktion.