Krimi "Brennerova" von Wolf Haas:Zerhackte Sachen sind meist handlicher

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"Früher hat man gesagt, die Russinnen", fängt der neue Krimi von Wolf Haas an. Mit denen hat es sein verschrobener Held Brenner. In "Brennerova" lässt der Autor Globalisierung und Digitalisierung auf die Sprach-, Traum- und Denkspiele der Wiener Moderne treffen.

Von Nicolas Freund

Die Hände sind besondere Körperteile. Mit den Händen berührt man Menschen, schüttelt andere Hände und verteilt auch mal Ohrfeigen. Mit einem Stift in der Hand schreibt man, mit einer Nadel in der Hand tätowiert man, mit einem Beil in der Hand hackt man Hände ab. Dass ein Paar Hände abgehackt werden, kommt vor, aber dass zwei Paar Hände auf einmal ab sind, muss man erst einmal verarbeiten. Auch das Smartphone, das die Welt in kleine digitale Bites, Bytes und Pixel zerhackt, kann dem Ermittler nicht helfen, zumal, wenn er es zu Haus vergessen hat.

Wolf Haas lässt seine Leser gerne erst einmal im Dunkeln tappen. Wie schon beim ersten Brenner-Krimi "Die Auferstehung der Toten" von 1996, in dem die Ermittlungen nicht, wie zu erwarten, in die Unterwelt, sondern in die Grammatik geführt haben. Am Anfang der fatalen Kausalkette dieses neuen Romans steht wieder ein Fall, und zwar der Fall einer Gartenschere vom Dach auf den Gehweg, den zufällig gerade Brenner und seine Bekannte, die Frührentnerin Herta passieren. Passiert ist den beiden zum Glück nichts, denn die Schere hat hier ausnahmsweise einmal zwei Dinge zusammengebracht und nicht getrennt. Das werden nach knapp 250 Seiten nicht alle Figuren behaupten können, orakelt der berühmte Erzähler der Brenner-Romane hier bereits. "Aber ich sage immer, da ist die Herta natürlich die Allerletzte, der man das zum Vorwurf machen darf."

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Auch die oft abgründigen Doppeldeutigkeiten gehören seit dem ersten Fall zum festen Repertoire. Das Meiste im mittlerweile achten Brenner-Roman ist nicht neu, funktioniert aber noch immer. Eben jenes Kapitel nun über die abhanden gekommenen Hände gehört sogar zum Besten, was der Österreicher Wolf Haas seit seinem Debütroman veröffentlicht hat.

Und das, obwohl Detektiv Brenner, auf den die Erzählung meist fokussiert ist, hier gar nicht vorkommt, sondern nur die Krankenschwester Anna Elisabeth, eine Figur, wie es sie in allen Brenner-Romanen gibt, ein wandelndes Klischee der kleinen Stationsschwester, die alle Fäden in der Hand hält. Die, aus erster oder aus zweiter Hand, ebenso genau weiß, wer wo was tätowiert hat. "Es gibt Operationen, und es gibt Operationen."

Am Anfang der fatalen Kausalkette steht in "Brennerova" der Fall einer Gartenschere. (Foto: Cultura Images/F1online)

Da kapituliert irgendwann auch die Sprache. Die Sätze dieser eigenwilligen, inzwischen sehr routinierten Kunstsprache wirken häufig, als wären sie mit Beil oder Gartenschere bearbeitet worden: "Um zwei Uhr früh alle aus dem Schlaf geholt, weil vom Notarztwagen die abgehackten Hände angekündigt, da muss es schnell gehen. Das ist natürlich schon, da geht der Puls einmal. Da flattert er, frage nicht." Diese Sätze sind selbst wie Armstümpfe, die in nur eine Richtung weisen, auf die immergleichen Phrasen zielen. Da scheint es plötzlich kein Zufall mehr, wenn auch die griechischen und russischen Aphorismen auf den tätowierten Armen mittendurch gehackt sind.

"Früher hat man gesagt, die Russinnen", fängt der Roman an. Mit denen hat es der Brenner. Mittlerweile über 60 und mehr oder weniger fest mit Herta liiert, kommt er einfach nicht an dieser Internetseite vorbei, die Kontakte zu heiratswilligen osteuropäischen Frauen vermittelt. Am Anfang ist da die Neugier, was es so alles gibt im fernen Osten, der seit der Globalisierung gar nicht mehr so fern ist. Lebensgefährtin Herta reist auch nach Marokko und in die Mongolei zum Schamanenseminar. Alleine. Zeit hat sie, weil ihr als Volksschullehrerin mal die Hand ausgerutscht ist - und sie damit in Österreich ja fast in philosophischer Tradition steht.

Der Brenner hat also auch freie Zeit und freie Hand. Deshalb sucht er sich seine "Brennerova". Auch nur aus Neugier, wie das denn so wäre. Weil, keiner ist so blöd, auf diese Internettricks mit angeblich heiratswilligen, wunderschönen Frauen hereinzufallen. Oder? Ein Klick führt zum anderen. War wäre wenn, wird wahr: Denn die digitale Welt ist ja klein, weil zerhackte Sachen meistens handlicher sind. "Eine Freundin in der Wirklichkeit, eine im Computer. Doppelleben Hilfsausdruck."

Weil die Welt so klein geworden ist, reist der Brenner zum ersten Mal nach Russland. Die fesche Nadeshda braucht den Brenner als alten Kripobeamten, weil ihre Schwester, die noch schönere Serafima, so vermutet sie, Menschenhändlern in die Hände gefallen ist. Wahrscheinlich genau jenen Verbrechern, die Hände so gerne abhacken. Auch in Russland winkt noch immer keine Rente für den in die Jahre gekommenen Detektiv.

Dass dann ein auf die Brust tätowierter Stier mal da ist, mal wieder nicht und mit einem Mal sogar die Herta in der Mongolei heimsucht, ist nicht nur auf undurchsichtige Fälle und eine kleine Welt zurückzuführen. In einigen Kapiteln ist es nicht mehr weit bis zum fantastischen Roman, und was verschwiegen wird, ist oft genauso wichtig wie das, was gesagt wird.

Brenner scheint - im Gegensatz zu vielen anderen Figuren - gar nicht zu wissen, durch welches philosophische und literarische Erbe er flaniert, wenn er in Wien den Fall löst. Wie immer, ist dabei eher der Zufall als detektivisches Handwerk entscheidend. Die Wiener Moderne ist in der Brenner-Welt offenkundig ebenso gegenwärtig wie das Internet und die Globalisierung. Anspielungen Motive aus Psychoanalyse oder Gestaltpsychologie oder auf die Gelehrten des Wiener Kreises blitzen auf, meist zu einem banalen, aber witzigen Problem reduziert.

So werden die Brenner-Romane zum, absurden Querschnitt aus Geistes- und Alltagsleben, zu Sprachspielen über das Denken, Leben und Sterben in Österreich. "Hundertprozentig sicher kannst du dir bei so etwas nie sein, bei überhaupt nichts im Leben kannst du das sein. Nur die Leute, die sich immer überall hundertprozentig sicher sind, irren sich hundertprozentig, das ist die einzige Ausnahme." Kurt Gödel oder Ludwig Wittgenstein hätten das nur etwas anders formuliert.

Wolf Haas: Brennerova. Roman. Hoffmann und Campe Verlag. Hamburg 2014. 242 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.

© SZ vom 08.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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