Najem Wali: "Soad und das Militär":Das Militär versteht keinen Spaß

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1980 flüchtete er vor dem irakisch-iranischen Krieg: der Schriftsteller Najem Wali. (Foto: Holger John/imago/VIADATA)

Zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling handeln die Bücher seiner Autoren nicht mehr von der Revolution, sondern von der Restauration. Auf dem Index landen sie trotzdem.

Von Moritz Baumstieger

Dass der Umweg über die Fiktion oft der kürzeste ist, um manchen Realitäten nahezukommen, wissen Autoren weltweit. Für Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus autoritär regierten Gesellschaften ist die Form des Schlüsselromans jedoch häufig der einzige Weg, auf dem sich Inhalte an der Zensur vorbei zu den Lesern schmuggeln lassen. Der Schriftsteller Najem Wali weiß das natürlich, er wurde 1956 im Irak geboren und lebte dort, bis er 1980 zu Beginn des irakisch-iranischen Krieges flüchtete.

Wie schnell die Realität die Fiktion einholen kann, weiß Wali spätestens, seit er seinen jüngsten Roman veröffentlichen wollte - vielleicht wusste er es auch schon vorher und hat die Konfrontation einkalkuliert. Im Zentrum seiner Geschichte steht eine ägyptische Sängerin und Schauspielerin namens Soad, die vom Volk verehrt und vom herrschenden System missbraucht wird. Als Gerüchte aufkommen, dass sie ihre Memoiren schreiben wolle - Erinnerungen, die für gewisse Herren recht unangenehm ausfallen könnten -, kommt Soad im britischen Exil zu Tode. Vielleicht war es Selbstmord, vielleicht ein Unfall. Vielleicht auch keines von beiden.

Eine Schauspielerin und Sängerin namens Soad Hosny hat es tatsächlich gegeben. Zu Zeiten von König Faruk erlangte sie als singender Kinderstar Berühmtheit, in den Jahren der Nasser-Diktatur stieg sie zur Diva des ägyptischen Films auf. 2001 fiel Hosny dann - und zwar vom Balkon im sechsten Stock eines Londoner Apartmentturms, in dem zuvor schon andere Auslandsägypter rätselhaft zu Tode gekommen waren. Beweise, dass die echte Soad Geheimnisse enthüllen wollte und deshalb sterben musste, gibt es nicht, in Najem Walis Roman bekommt der Ich-erzählende Schriftsteller hingegen bei einem Kairo-Besuch Notizhefte mit dem Entwurf von Soads Memoiren zugesteckt. Durchaus gefährliche Zeilen, denn "das Militär verstand, sobald es selbst betroffen war, keinen Spaß", bemerkt der Erzähler an einer Stelle. "Hätten die Hefte nur den Titel Soad getragen, hätte es gar kein Problem gegeben, ganz egal, was ihr Inhalt besagte, ganz egal, was für Geheimnisse enthüllt wurden. All dies wäre kein Vergehen oder Verbrechen gewesen. Doch ihr Titel lautete Soad und das Militär, und das, das war ein Verbrechen!"

"Es gab nicht einen arabischen König oder Präsidenten, der nicht mit einem Star wie ihr ins Bett gewollt hätte."

Als Wali für seinen Roman nun eine Veröffentlichungsmöglichkeit suchte - und hier kreuzen sich dann Fiktion und Realität -, tat er sich schwer, mehrere Verlage im Irak und in Libanon sagten ab. Das Buch nämlich sollte denselben Namen tragen, der die Notizhefte im Roman so gefährlich macht. Und als sein Buch dann 2020 endlich im Bagdader Dastoor-Verlag erschien, hatte zwar kein staatlicher Zensor, dafür aber vorauseilende Selbstzensur zugeschlagen. Das Wort Militär war auf dem Cover mit einem schwarzen Balken verdeckt, wohl aus Furcht vor Konsequenzen für den Verlag im bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt, Ägypten, wo das Militär seit 1952 mehr oder weniger ununterbrochen herrscht.

Doch ganz so gleichgültig, wie es der Erzähler vermutet, war der Inhalt des nun ohne das Wort "Militär" betitelten Buches den Machthabern in Ägypten nicht. Bei der Kairoer Buchmesse im 2021 durfte es nicht präsentiert werden, landete auf dem Index. Denn was Wali in seinem Roman beschreibt - und was man dank der Übersetzung durch Christine Battermann nun auch auf Deutsch nachlesen kann - ist eine Parabel auf den Würgegriff, in dem die Herren in Uniform Gesellschaft und Staat, Kunst und Wirtschaft in Ägypten und anderen Ländern halten.

Die nationale Ikone Soad, so erfährt es der Leser teils aus ihren Aufzeichnungen, teils aus Gesprächen des Erzählers mit ihrem langjährigen Partner, einem Amerikaner, wurde Zeit ihres Lebens vom Geheimdienst benutzt. Als Kind musste sie vor ergriffenen Massen die Revolution der freien Offiziere besingen oder die Nationalisierung des Suez-Kanals. Als Erwachsene drängte ihr Manager in Uniform, Offizier Scharif, sie zu anderen Dingen: Er lässt Soad unter Drogen setzen und von einem Lockvogel verführen, um sie anschließend mit dem heimlich aufgenommenen Film ihrer Entjungferung zu erpressen.

Najem Wali: Soad und das Militär. Roman. Aus dem Arabischen übersetzt von Christine Battermann. Secession Verlag, Zürich 2021. 400 Seiten, 28,00 Euro. (Foto: N/A)

Neben den unzähligen Kinoproduktionen, durch die sie zur "Cinderella" Ägyptens aufsteigt, muss Soad nun ähnliche klandestin aufgenommenen Filme für den Geheimdienst drehen - mit Ministern und Firmenlenkern, Politikern und Despoten, denen sie auf der Bettkante Geheimnisse entlocken sollte. Das funktioniert, denn "es gab nicht einen arabischen König oder Präsidenten, der nicht mit einem Star wie ihr ins Bett gewollt hätte". Selbst in den Fragmenten der Memoiren der Schauspielerin, die Wali immer wieder einstreut, erzählt diese über sich nüchtern und in der dritten Person - was zwar die Gefahr einer allzu menschelnden Erotik-Prosa umgeht, dafür aber seltsam unpersönlich bleibt.

Wenn Wali beschreibt, wie das irrste von Soads Zielobjekten, der "Führer der Stunde" Saddam Hussein, bei den Treffen nie eine Erektion bekommt und seine Impotenz durch sadistische Praktiken zu kompensieren versucht, ist das wohl jene Mischung aus Fakt und Fiktion, die Wali in einem Interview "Faktion" nannte. Nicht belegbar, aber angesichts dessen, was über den Schlächter von Bagdad bekannt ist, absolut denkbar. Über Anekdotisches hinaus gehen Walis Beschreibungen der ägyptischen Militärs und Geheimdienstler, die Soad nie wirklich abschütteln kann. Hier bekommt ihre Geschichte einen systemischen Charakter: "Wenn Scharif ein bestimmtes Ziel erreichen wollte, konnte er Jahre ausharren. Wichtig war nicht, wie lange etwas dauerte, wichtig war der Erfolg."

Das erinnert nicht zufällig an die Zeit nach der ägyptischen Revolution, in der die Männer in Uniform vorübergehend den Jugendlichen vom Tahrir-Platz und anschließend den Muslimbrüdern das Feld überließen. So lange nur, bis sie ihr Comeback an die Macht eiskalt organisiert hatten. Zehn Jahre nach dem Sturz Mubaraks handeln Bücher, in denen arabische Autoren gegenwärtige Fakten mit Fiktion mischen, nicht mehr von der Revolution, sondern von der Restauration - die Form des Schlüsselromans hat in der Region noch einige Zukunft.

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