"33 Variationen auf Haydns Schädel" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg:Zoten nach Noten

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Halbgare Einfälle und fliegende Mozartkugeln: "33 Variationen auf Haydns Schädel" am Schauspielhaus Hamburg. (Foto: Thomas Aurin/Thomas Aurin)

Viktor Bodo betreibt in Hamburg die konsequente Trivialisierung von Hochkultur: mit der musikalischen Albernheit "33 Variationen auf Haydns Schädel" von Péter Esterházy.

Von Till Briegleb

Sieht so das Omikron-Theater dieses Winters aus? Hybride Veranstaltungen, bei denen die Beteiligten mit dem Virus im Körper von zu Hause aus auf die Bühne geschaltet werden, und ihre Rolle spielen wie eine Nachrichtensprecherin? Oder, in diesem Fall, wie eine himmlische Influencerin. Lina Beckmann, die am Tag der Generalprobe von "33 Variationen auf Haydns Schädel" im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg trotz Impfung positiv getestet wurde, spielt in diesem Klamauk einen Engel im Vorzimmer des Herrn - und beweist per Zuschalte auf zwei Monitore am Bühnenrand körperlos, dass auch bei Gott Ironie Trumpf ist. Jedenfalls bis es wie Kritik am Herrgott klingt, dann donnert er wie Zeus aus dem Obergeschoss.

Beckmanns transzendente Ulknummer lässt sich sogar treffend aus der digital vermittelten Ferne spielen, werden Influencerinnen doch in produktgläubigen Schichten wie Heilige verehrt. Aber diese Form von Schauspiel als Zoom-Konferenz funktioniert natürlich nur so lange als Ersatz-Modell, wie die Darstellerin lediglich in Quarantäne ist und nicht wirklich am "Schweren Akuten Respiratorischen Syndrom" erkrankt. Da immer mehr Bühnen Covid-Fälle im Ensemble haben, von denen nicht alle so gut gelaunt mit der Aquavit-Flasche in der Hand eine Premiere spielen können wie hier, vermittelt die Hamburger Notlösung vielleicht ein falsches Bild der Lage in der Kultur.

Eine Mischung aus spätpubertären Scherzen, schlüpfrigen Geräuschen und halbkomischem Slapstick

Bei dieser vom Regisseur Viktor Bodo an einem Tag uminszenierten "Revue" über Joseph Haydns Schädel ist die Grimassen schneidende heilige Arroganz Lina Beckmanns jedenfalls die lockerste Gaudi. Was zwischen ihren beiden Monitor-Gesichtern auf der Bühne passiert, ist eher eine Mischung aus spätpubertären Scherzen, schlüpfrigen Geräuschen und halbkomischem Slapstick. Der 2016 verstorbenen Péter Esterházy hatte in seinem Stück die kuriose Geschichte behandelt, dass der Kopf der Leiche Haydns 1809 von einem Anhänger des Gehirnvermessers Franz Joseph Gall vom Rumpf gesägt und später mehrfach weitergereicht wurde. Rund um diese schauerliche Anekdote zur Pseudowissenschaft "Phrenologie" schrieb Esterházy 33 Szenen, die sich assoziativ gemischt vornehmlich um den lebenden Musiker drehen.

Sein ungarischer Landsmann Bodo versetzt diese Skizzen nun in eine Ruine mit Flügel und Kammerorchester (Bühne: Zita Schnábel) und betreibt die konsequente Trivialisierung von Hochkultur durch Albernheit. Haydns Freund Mozart (Christoph Jöde) furzt seine Musik durch eine Trompete am Hinterteil, Haydns langjähriger Auftraggeber in Eisenstadt, der Fürst Nikolaus Esterházy (ein Vorfahre des Autors, hier gespielt von Samuel Weiss), beschreibt eine Frau mit sabbernden Geräuschen und lüsternen Grimassen, die wie eine Einführung ins Catcalling wirken. Das Ensemble, das zur Hälfte aus Musikerinnen und Musikern besteht, die synchron zum Playback von Haydns Werken oder Adaptionen von Guns'n'Roses, Gershwin oder John Lennon spielen, muss ständig unpräzises Gruppenslapstick vollführen. Und dazu inszeniert Bodo Zotiges für Hoho-Gelächter, etwa einen Blow-Job mit dem Schädel unterm Rock.

Nur der Komponist selbst ist ein Ruhepol der grüblerischen Ernsthaftigkeit. Jan-Peter Kampwirth im langen Satinrock und mit Perücke (Kostüme: Fruzsina Nagy) ist der einzige Mensch auf der Bühne, der etwas nachdenklich und bescheiden sein darf. Dieser Haydn wirkt fast, als sei ihm die Demontage seines Ruhms durch halbgare Einfälle und fliegende Mozartkugeln vor allem peinlich. Und damit liegt er nicht so daneben.

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