Schauspieler Tom Schilling:Ganz ruhig, Mann

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Früher war Tom Schilling der Star junger Mädchen, heute dreht er in Schwarz-Weiß: Ab kommenden Donnerstag ist er im Kino in "Oh Boy" zu sehen, der bei Filmfestivals bereits begeistert hat. Ein Treffen mit dem Berliner Schauspieler.

Christian Mayer

Tom Schilling als Niko in "Oh Boy!" - der Film kommt am 1. November in die deutschen Kinos.  (Foto: dpa)

Isser das? Der schmale Typ im gut geschnittenen Anzug hat die Mütze tief im Gesicht. Er sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Holzbank in der Empfangshalle einer Berliner Filmproduktionsfirma und plaudert mit einer Agentin. Er scheint es überhaupt nicht eilig zu haben, was schon erstaunlich wäre, sollte es Tom Schilling sein. Der Tom Schilling, der gerade so viele Interviews geben muss und in immer neue Designeranzüge schlüpft, die in Männermagazinen gerne als Ausdruck individueller Eleganz gefeiert werden. Was man halt so tut, wenn man als Schauspieler dabei ist, die Früchte seiner Arbeit zu ernten.

Am kommenden Donnerstag kommt ein Film in die deutschen Kinos, der schon jetzt viele Leute begeistert hat, bei Festivals in München, in Zürich und zuletzt in Oldenburg, wo er gleich drei Preise abgeräumt hat. "Oh Boy" ist das ungewöhnliche Debüt des Regisseurs Jan Ole Gerster: Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der durch merkwürdige Zufälle in das Leben anderer Leute stolpert und dabei irgendwie verloren geht. Das Jurastudium hat er geschmissen, aber die Überweisungen seines Vaters landen zuverlässig auf dem Konto. Berliner Subventionswirtschaft, man hält hier ganz gerne an kostspieligen Illusionen fest. Bis eines Tages der Automat die Karte schluckt.

Tom Schilling ist der eine Hauptdarsteller, der andere ist die Großstadt. Der Film ist das teils komische, teils beklemmende Porträt einer Berliner Gesellschaft, in der ein unglaublich ruppiger Ton herrscht, eine allgemeine Distanz- und Respektlosigkeit, die jederzeit ins Extreme umschlagen kann, manchmal auch in Gewalt. Andererseits lauern an jeder Ecke auch Menschen, die dem Nächstbesten am liebsten ihr ganzes Elend aufdrängen wollen. Oh Boy. Tom Schilling spielt den verkrachten Jurastudenten Niko Fischer, der immer wieder in die offene Flanke läuft, aber dabei keineswegs schwermütig wird.

Er bittet formvollendet, das Siezen doch zu unterlassen

Wer den Film gesehen hat, kriegt die Schwarz-Weiß-Bilder nicht mehr aus dem Kopf: Dieser junge Mann, der mit einem Ausdruck größter Verwunderung durch die Autofensterscheibe auf seine Stadt blickt, von der er dachte, dass er sie begreift. Und der dann, wieder so ein bizarrer Zufall, in der Wohnung eines jugendlichen Drogendealers landet, wo ihm die Großmutter ihren vollautomatischen Fernsehsessel vorführt. Berlin ist ein schrecklich-schöner Traum, manchmal aber auch sehr lustig. Man kriegt hier schnell mal den Blues, aber keinen normalen Wachmacher-Kaffee, denn die Prenzlauer Schwaben-Mafia verkauft nur noch parfümierte Ethno-Bohnen-Soße, deshalb schläft Niko auf Omas Turbo-Sessel auch sofort ein.

Tom Schilling sitzt jetzt im Café Einstein in der Kurfürstenstraße, und weil er auf Berliner Art sehr höflich ist, bittet er formvollendet, das Siezen doch zu unterlassen. Dann bestellt er das Wiener Schnitzel, gegen das er im Lauf des Gesprächs einen harten, aber letztlich aussichtsreichen Kampf führt: Es ist einfach zu groß, die Bedienung will das halb aufgegessene Gericht drei Mal abräumen, nur mit Mühe gelingt es Schilling, den Schnitzelteller festzuhalten. Der Auftritt erinnert an alte Sketche aus der Hallervorden-Ära des deutschen Fernsehens, aber der Schauspieler trägt es mit Fassung.

Die Rolle des Niko wollte er unbedingt haben. Als sein Freund Jan-Ole Gerster nach fünf Jahren endlich das Geld für den Film aufgetrieben hatte, schickte er ihm einen fünfseitigen, handgeschriebenen Brief, da ist er sehr altmodisch. "Es ging mir gar nicht so unbedingt um die Rolle, es war das Buch, das mir so gefallen hat", erzählt er, während er mit kalten Bratkartoffeln ringt. Gute Schauspieler haben ja oft eine feine Witterung, und wenn sie sich so viele Gedanken über ihren Job machen wie Tom Schilling, dann betteln sie auch mal. Tom Schilling hat mit 30 schon eine Menge Rollen gespielt, oft junge, zerbrechliche Männer auf der Suche.

Viele Zuschauer haben ihn noch aus der Romanverfilmung "Crazy" in Erinnerung. Eine fast schon klassische Internatsgeschichte über Jungs, die Freunde werden: Robert Stadlober und Tom Schilling waren die Entdeckungen des deutschen Films im Jahr 2000, zwei sehr gegensätzliche Typen, der eine extrem schrill und auffällig, der andere leise und zurückhaltend. Und wie das so ist, wenn man als Darsteller in Deutschland seinen Part gefunden hat: Man bleibt erst mal stecken. Vier Jahre später musste Schilling deshalb ins nationalsozialistische Erziehungscamp einrücken, in "Napola" gab er sehr eindrucksvoll den Außenseiter, einen vermeintlichen Schwächling, der von seinem Vater, dem Gauleiter, noch mehr gequält wird als von den perversen Drillmeistern der Eliteschule.

Nichts, für was man sich schämen müsste. Schilling steht zu seiner Vergangenheit als Berufsjugendlicher, auch wenn er inzwischen einen Sohn hat, der schon sechs ist. ",Crazy' ist doch ein phantastischer Film, der bei mir wirkt wie alte Jugendfotos, ich schau da immer noch gerne hin."

Ein Kuss von Kollegin Sophie Rois für Tom Schilling beim Deutschen Filmpreis 2009. (Foto: Getty Images)

Junge Mädchen haben ihn damals geliebt. Tom Schilling wurde auf einmal auf der Straße angesprochen, was Schauspielern in Berlin sonst eher selten passiert, ist ja uncool. "Das war das einzige Mal, dass ich mich wie ein Star gefühlt habe." Isser das? Aber ja doch, und ein bisschen Teenager-Gekreische kann man aushalten, wenn man ganz am Anfang steht, inzwischen aber findet er "Star" ein ganz schlimmes Wort. "Star klingt nach Gänsehaut-Feeling, nach DSDS - in Frankreich gibt es echte Stars, bei uns ist das schwierig."

Heute kann Tom Schilling durch Berlin spazieren, ohne belästigt zu werden. In seinem alten Viertel, in Berlin-Mitte, wo er als Sohn zweier Kartografen aufwuchs, sind ja sowieso nur noch Touristen unterwegs, für die immer neue Groß-Hostels errichtet werden. Der gebürtige Ostberliner hat sich deshalb ganz weit in seinen Kiez zurückgezogen, wo eine neue Form der Bürgerlichkeit gepflegt wird. "Das breite Publikum kennt mich sowieso nicht", sagt er. Macht nichts, er dreht lieber Filme, die durch das Mainstream-Raster fallen und nicht mal eine richtige Auflösung haben, keine "Katharsis", wie Tom Schilling es formuliert. Das muss man sich leisten können. Der Episodenfilm "Oh Boy" hat definitiv keine Katharsis, im Grunde nicht einmal einen Plot, deshalb hat es auch so lange gedauert mit der Finanzierung. Tom Schilling singt übrigens auch im Film, "Fischer's Song" hat er selbst geschrieben, und wenn man ihm dabei zuhört, ist man schon wieder versöhnt mit dieser Stadt.

Für Kunstgespräche reicht die Zeit nicht mehr

Berlin, das ist ja auch Glamour, der ganze Hauptstadt-Hype, der Gesellschaftstanz. Gerade laufen die Dreharbeiten für seinen neuen Film, "Posthumous" von Lulu Wang. Tom Schilling spielt darin einen Berliner Galeristen. Es geht um den Kunstmarktwahnsinn und die vielen mittellosen Zulieferer, und man glaubt sofort, dass er auch da den richtigen Ton treffen wird. Schilling wollte früher auch gerne Künstler werden. Ausgerechnet Adolph von Menzel, der sehr pedantische, sehr preußische Malerfürst des 19. Jahrhunderts war eines seiner Vorbilder, auch Max Liebermann schätzt er bis heute - zwei Maler, die Berlin so zeigen wollten, wie es ist. Grandios, turbulent, manchmal ein wenig aufgeblasen.

Aber für Kunstgespräche reicht die Zeit nicht mehr. Tom Schilling schaut auf die Uhr, und zwar nicht verstohlen, sondern mit einem Lächeln. Er ist wirklich ein höflicher Mensch. Oder verdammt raffiniert.

© SZ vom 26.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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