Theater:Überlebensimpuls

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Es lebe der Kommunismus! Zwar greift Stalins Terror um sich, aber an etwas zu glauben, lohnt sich in Eugen Ruges Moskauer Tatsachengeschichte. (Foto: Thomas Aurin)

Armin Petras inszeniert am Schauspiel Köln "Metropol" nach dem Geschichtsroman von Eugen Ruge. Unbedingt sehenswert.

Von Martin Krumbholz

Der 2019 erschienene Roman "Metropol" von Eugen Ruge ist ein Bestseller (wie zuvor auch schon "In Zeiten des abnehmenden Lichts"). Der Autor schöpft mithilfe einer Kaderakte aus der eigenen Familiengeschichte. Und Josef Stalin in der Rolle des Schurken - das zieht sowieso. Auch der Regisseur Armin Petras hat einen persönlichen Bezug zu dieser Ost-West-Geschichte: Seine Eltern siedelten 1968 mit ihm als Kind vom beschaulichen Meschede in die DDR über. Gleichwohl hätte dieser Abend im Depot des Kölner Schauspiels munter offene Türen einrennen können. Dass Stalins Kommunismus spätestens mit den Schauprozessen Ende der Dreißigerjahre hoffnungslos korrumpiert, wenn auch noch längst nicht erledigt war, ist hinlänglich bekannt, und es gibt dazu auch keine "zweite Meinung". Doch wie Armin Petras mit einem wunderbaren Ensemble die Ängste und Hoffnungen einer Handvoll Deutscher, gefangen in der Falle einer peu à peu zerrinnenden großen Illusion, anschaulich werden lässt, das ist unbedingt sehenswert.

Ruge erzählt in seinem Roman von seiner Großmutter Charlotte, einer glühenden Kommunistin, und deren zweitem Mann Wilhelm, die im Jahr 1936, aus Nazideutschland in die UdSSR geflohen, ins einstige Luxushotel Metropol beordert werden. Sie sollen einen "Volksfeind" gekannt haben, einen "Agenten Trotzkis". So steht es in der Zeitung. In Wahrheit haben sie dem Mann lediglich "ein gebrauchtes Grammophon" verkauft. Ruge hat die Geschichte präzise recherchiert, erfunden ist hier relativ wenig. Um es vorwegzunehmen: Den beiden gelingt 1938 die Emigration nach Mexiko, nach dem Krieg gehen sie in die DDR und sind mit dem dortigen System wohl auch im Einvernehmen. Ruges Vater macht Karriere. Es geht nicht um eine "Teufelsaustreibung", nicht um eine prinzipielle Konversion, eigentlich um überhaupt nichts Ideologisches, sondern um einen konkreten historischen Moment, eben die Jahre 1936 ff., und einen ebenso konkreten Ort, das berühmt-berüchtigte Metropol.

Das Ensemble spielt auf und zwischen allen Stühlen und tanzt auf den Tischen

Der Minimalist Olaf Altmann hat wieder ein treffliches (Bühnen-)Bild gefunden, um diesen Ort zu vergegenwärtigen. Vierzig blanke Tische und Stühle, so eng gestellt, dass sie zugleich den Speisesaal und ein Gefängnis bezeichnen. Auf einem der Tische steht wie eine Ikone eine Fotografie Stalins. Die Schauspieler, allen voran Yvon Jansen als Charlotte und Ronald Kukulies als Wilhelm, müssen sich hier mühsam Wege bahnen oder buchstäblich auf den Tischen tanzen. Die von Sven Kaiser auf dem Synthesizer erzeugte Livemusik gibt dafür einiges her, von dröhnender Filmmusik bis zu einschlägiger Polit-Folklore. In einer der schönsten Szenen imaginiert das ganze Ensemble mit Inbrunst eine im Bolschoi-Theater gegebene Oper, den "Stillen Don".

Denn so banal es klingt: Das Leben geht weiter. Die Szenen wechseln schnell, die Schauplätze werden durch projizierte Zwischentitel angezeigt, die meisten spielen mehrere Rollen. Petras wählt hier die einfachsten Mittel, es sind die richtigen. Wenn es schneit, holen die Spieler Konfetti aus den Manteltaschen, eine Kinderrolle wird durch eine Lokomotive auf dem Kopf annonciert. Mal sinnieren Charlotte und Wilhelm in ihrem Zimmer 479 (gleich nebenan residiert der unsympathische Großschriftsteller Lion Feuchtwanger) über ihr Schicksal, oder sie streiten oder wagen sich in die Außenwelt vor.

Unter Verdacht: Charlotte (Yvon Jansen, links) und Hilde Tal (Sabine Waibel), mit deren Ex-Mann sie zusammen ist. (Foto: Thomas Aurin)

Es gibt noch eine zweite Familie, großartig gespielt von Sabine Waibel, Benjamin Höppner und Lola Klamroth. Hilde Tal hat Charlotte ursprünglich denunziert, sie ist Wilhelms Ex-Frau. Inzwischen ist sie selbst in den Fokus des Terrors geraten. Die häufigen Perspektivwechsel geben der zweieinhalbstündigen Inszenierung einen schnellen Atem. Es wird kaum mal langweilig. Wenn die Regie die Charaktere zu Typen stilisiert, dann aber richtig. Der von Nikolaus Benda verkörperte oberste Richter Wassilij Ulrich, der 30 000 Todesurteile unterschrieben haben soll, erscheint in grotesk großem Zeug, eine Kartoffel in Uniform. Sie nennen es "die faulen Zähne ziehen", wenn sie ihre vermeintlichen Feinde morden. Der Hauptfeind, Trotzki, Verfechter der permanenten Revolution, ist weit weg, in Mexiko, und dennoch wird es auch ihn erwischen.

Es geht an diesem Abend gar nicht so sehr um politische Naivität oder darum, "was Menschen zu glauben bereit sind", wie Eugen Ruge es formuliert hat. Auch Christen, beispielsweise, glauben an etwas eher Unwahrscheinliches. Dagegen ist zunächst einmal nichts zu sagen. Eher geht es um den Impuls zu leben, trotz allem. Charlotte ist zum Zeitpunkt des Geschehens Anfang vierzig. Ihre Energie (auch die der Familie Tal) bildet den Motor der Aufführung. Das hat Armin Petras in einer seiner besten Inszenierungen der letzten Zeit klug ermöglicht.

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