Salzburger Osterfestspiele:Weiche Schale, harter Kern

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Im Clinch der Gefühle: Jacquelyn Wagner als Elsa und Eric Cutler als Lohengrin. (Foto: Ruth Walz)

Jossi Wieler und sein famoses Team deuten in Salzburg Wagners "Lohengrin" neu. Mit subtilen Verweisen auf die Gegenwart.

Von Helmut Mauró

Es ist die vorerst letzte Produktion der Dresdner Staatskapelle und ihres Chefdirigenten Christian Thielemann bei den Salzburger Osterfestspielen. Deren künstlerische Leitung hatte er 2013 übernommen, künftig wird der neue Intendant Nikolaus Bachler mit jährlich wechselnden Orchestern arbeiten. Die Neuinszenierung von Richard Wagners Oper "Lohengrin" durch Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito ist der offizielle, gegenseitige Abschiedsgruß, der große Zapfenstreich. Wie bei diesem geht es auch in Wagners Oper um Nationalpathos und Heldentum, aber anders als beim Fackelaufmarsch wird in der Oper über diese Themen laut nachgedacht. Sie sind gleichermaßen Geschichte und musiktheatralische Erzählkunst.

Wenn dies, wie jetzt in Salzburg, gelingt, dann erlebt man tatsächlich nahezu fünf Stunden lang Hochspannung. Nicht so sehr, weil man auf ein überraschendes Ende wartet, sondern weil das Spannende genau das ist, was vor dem auflösenden Ende liegt. Wie sich Menschen gegenseitig in ausweglose Situationen bringen, getrieben von starken Gefühlen und irrationalen, aber umso stärkeren Überzeugungen - das kann man in Salzburg im Großen Festspielhaus hautnah verfolgen und wird dabei auch als Zuschauer nicht nur rational herausgefordert, sondern auch emotional gepackt durch die eindringliche Kraft der Wagnerschen Komposition, deren kongeniale Umsetzung durch Christian Thielemann mit der Staatskapelle Dresden, den fast durchweg großartigen Gesang und die Schauspielkunst der Singenden.

Alle liegen dem rettenden Ritter zu Füßen, der nicht verrät, wer er ist und woher er kommt

Nur deshalb gelingt es, die Hauptfigur der Elsa (Jacquelyn Wagner) nicht wie gewohnt nur als die reine Unschuld zu deuten, sondern viel mehr als laszives Luder, das mit seinen Reizen, zu denen vor allem die Unschuldsanmutung gehört, machtpolitisch agiert. Im ersten Bild ist sie noch selbstbewusste Frau in Hosen und Blouson, im nächsten schon schlüpft sie eilends in ein bodenlanges züchtiges Kleid. Denn sie hat ihre Widersacherin erspäht, die in der bisherigen Rezeptionsgeschichte durchweg böse Ortrud (Elena Pankratova). Die hat ihren Mann Telramund (Martin Gantner) überredet, Elsa wegen Brudermordes anzuklagen. König Heinrich kommt als Richter zu keinem Richtspruch und ordnet ein Gottesurteil an: Telramund und ein von Elsa beauftragter Ritter sollen im Schwertkampf den Fall entscheiden, Gott wird den Guten gewinnen lassen.

Der amerikanische Tenor Eric Cutler bedient in der Rolle des Lohengrin nicht das Klischee vom strahlenden Heldentenor. (Foto: Ruth Walz)

Und genauso kommt's. Elsa ruft übers Meer, und herbei eilt ein blonder Ritter mit dem roten Kreuz des Ritterordens vom Heiligen Grab auf gelbem Wams. Noch bevor er richtig zuschlägt, fällt der mächtige Telramund schon tot um. So schnell kann es gehen, so werden Helden geboren. Nicht nur Elsa, sondern auch König Heinrich, die Soldaten und das gesamte Volk liegen dem unbekannten Ritter zu Füßen, der nicht verraten will, woher er kommt und wer er ist. Darin besteht ein Gutteil seiner Wirkung. Der Glaube muss die Menschen retten, er wirkt stärker als Einsicht und Erfahrung. Das heißt, letztere wird nun anders gesehen, gedeutet, auch nachträglich umgedeutet.

Und so könnte diese Oper in jene märchenhafte Euphorie zurückfallen, aus der heraus Wagner sie schrieb, wie viele ein deutsches Reich herbeisehnend, das es erst zwanzig Jahre später geben wird. Zwei Weltkriege später will man von dieser Begeisterung nichts mehr wissen, vom ganzen Nationalstaatswesen nicht. Deshalb kann man diese Oper nicht mehr so aufführen, als sei historisch nichts gewesen. Das genialische Regieteam um Wieler, Viebrock und Morabito verfolgt dabei mehrere neue Ansätze. Das beginnt schon mit dem Casting. Der Retter Lohengrin, dargestellt vom amerikanischen Tenor Eric Cutler, ist kein strahlender Heldentenor, agiert mit dunklerem Timbre und selten im Fortissimo. Er ist auch kein strammer Soldat, sondern ein langhaarig-lässig herumschlendernder Hippie, der über seiner blechernen Rüstung ausgebeulte, zerrissene Khaki-Hosen trägt und oben Schlabbershirt mit Wams. Weiche Schale, harter Kern. Elsa ist hingerissen: "Als eine Blume auf der Wiese wollt ich mich beugen deinem Tritt." So weit kommt es nicht. Als eigentliche Heldin hat die Regie aber Ortrud vorgesehen. Sie verkörpert nicht mehr nur die rachsüchtige, machthungrige Ehefrau, sie ist nun vor allem ein stabiler Gegenpol zur immer irrationaler agierenden Politik. Volk und Soldateska sind ohnehin längst in schiere Glaubensreiche abgedriftet.

Für Christian Thielemann gab es Ovationen, für das Regieteam ein paar Buhs

Aber auch König Heinrich, eben noch kluger Strippenzieher in der Eroberung unschuldiger Nachbarvölker, lässt seinen Getreuen Telramund fallen und schlägt sich auf die Seite des Traumpaares Elsa/Lohengrin. Er erscheint hier generell sehr wankelmütig. Die Regie verzichtet dennoch darauf, allzu konkrete aktuelle Bezüge herzustellen oder gar ein Gender-Drama aus dem Stoff zu basteln. Stattdessen geht sie an den Kern, den Widerstreit von rational und irrational begründetem Handeln und den Folgen daraus, und einem Rest an Unerklärlichem. Darauf legt Jossi Wieler besonderen Wert. Die Geschichte endet nicht etwa märchenhaft mit der Rückverwandlung des Schwans in Elsas Bruder Gottfried. Vielmehr taucht dieser am Ende wie aus dem Nichts auf, mit zerrissenen Klamotten und zitternd auf das Schwert des rettenden Ritters Lohengrin gestützt, er hat ja auch nichts zum Besseren bewegt.

Ein paar kräftige Buhs zeigten, dass diese nachdenkliche Regie gewirkt hat. Die vehementen Ovationen für Thielemann bestätigen auch diesen, der Musik Wagners zu vertrauen, wenn es um Dramatik geht, auch um die Vermittlung solch schwieriger Bereiche wie irrationales Denken und Handeln nach Gefühl. Viel aktueller geht's dann doch nicht.

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