Salzburger Festspiele: Faust:Dieser riesige Haufen Sprache

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Von der Lust, den ollen Faust aus seiner verstaubten Studierhöhle herauszuzerren ans Licht unserer Zeit: Wenn am Mittwoch die Salzburger Festspiele eröffnet werden, bringt Nicolas Stemann den Text der Texte auf die Bühne - mit nur einem Hauptdarsteller: dem Text selbst. Ein Probenbesuch.

Alex Rühle

Es regnet, es ist saukalt, und die öffentliche Probe fängt und fängt nicht an. Als das verfrorene Pressehäuflein auf der Pernerinsel in Hallein doch noch was zu sehen bekommt, ist alles nach zehn oder allerhöchstens fünfzehn Minuten schon wieder vorbei, und in diesen Minuten war vom Text kaum etwas zu verstehen. Selbst wenn man zufälligerweise die beiden Szenen, die kurz angespielt werden, noch aus Schultheaterzeiten kennt, gleicht das Zuschauen einem verzweifelten Hinterherhören, Herumrätseln, akustischen Dechiffrieren dessen, was Sebastian Rudolph, Philipp Hochmair und Patrycia Ziolkowska da an Textgenuschel durch ihre Headsets schicken.

Szene aus der Tragödie ersten Teil: Dass Patrycia Ziolkowska Gretchen ist, lässt sich nicht ohne weiteres behaupten - hier wechseln alle die Rollen. (Foto: Krafft Angerer)

Nun kann man aus solch einem winzigen Probenausschnitt natürlich nicht auf die Qualität einer Inszenierung schließen. Aber wenn es im anschließenden Probengespräch mit dem Regisseur Nicolas Stemann und seinen drei Hauptdarstellern ein Leitmotiv gibt, dann lässt sich das in Stemanns Satz bündeln, man wolle "dem Text ein großes Recht in dieser Inszenierung einräumen".

Der Text - das ist der Text der Texte. "Faust". Beide Teile. 12 110 Verse. Da denkt man sofort an Peter Steins 22-Stunden-Marathon bei der Expo 2000: die Textfeier als sakrales Ereignis, Exerzitien der Höchstkultur, ermüdend, steif, hohepriesterlich, als sei es die letztgültige Inszenierung dieses Monuments.

Auch beim Salzburger Probengespräch geht es auffällig oft um die schiere Masse, die es zu bewältigen gilt. Sebastian Rudolph spricht von der "Fülle des Materials" und "diesem ganzen riesigen Haufen Sprache, der da in einem drin ist", Patrycia Ziolkowska von "geradezu tripartigen Erschöpfungszuständen", Nicolas Stemann selbst vom "total Ausufernden" und der "Überforderung durch diesen Text". Dass der Text sich dadurch immer wieder wie ein Riegel in das Sprechen über das Stück schiebt, ja dass die Figuren hinter diesem Riegel zu verschwinden scheinen, ist bestimmt kein Zufall, schließlich lösen Stemann und seine Akteure die herkömmliche Rollenverteilung auf.

In der ersten Stunde dieser Doppelinszenierung wird Sebastian Rudolph ganz allein auf der Bühne stehen und als Gott, Faust, Wagner, Mephisto in diesem sprachlichen Riesengebirge herumsteigen, dann kommen Hochmair und Ziolkowska dazu, ohne aber in feste Rollen zu schlüpfen - Ziolkowska hat ihren ersten Auftritt mit ein paar Mephisto-Zeilen, Rudolph und Hochmair wechseln die Rollen schneller als ein Hütchenspieler die Becher, wodurch gerade bei der Szene in Marthens Garten der unheimliche Effekt entsteht, dass Faust und Mephisto wie in einem bösen Vexierspiel zu einer schillernden Figur zu verschwimmen scheinen.

Dieser komische Ich-Mensch

Nun war genau das anscheinend die Grundidee bei den Proben: Was, wenn Mephisto tatsächlich "nur" die zweite Seele in Faustens Brust ist? Wenn Faust, dieser "komische Ich-Mensch", wie ihn Sebastian Rudolph lachend nennt, so mit sich und seinem allmachtsfantastischen Weltenformel-Gemäre beschäftigt ist, dass er gar nicht dazu in der Lage wäre, die anderen wirklich wahrzunehmen und sie alle nur imaginiert? Dann wäre der ganze Text nur eine Art Weltinnenschau eines egozentrischen Monomanen, man könnte mit ihm spielen wie Faust im Studierzimmer mit der Welt und dann schauen, ob alles sich zum Ganzen webt, eins in dem andern wirkt und lebt.

Die Folge daraus, wenn man das nach einer Viertelstunde Probeneinblick richtig deutet, ist, dass hier Gefühle immer nur angespielt werden, was ja nur konsequent ist, wenn Gretchen nicht mal weiß, wer nun eigentlich wer ist von den beiden Männern, sie schmiegt sich mal an Hochmair, mal an Rudolph an, und die Zeilen "Wie ich mich sehne, dich zu schauen / hab ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen" bekommen durch die Rollenrochaden der beiden etwas Unheimliches.

Nun ist Nicolas Stemann dafür bekannt, mit seinem Publikum weite Textebenen zu durchqueren, man denke nur an seine großartigen Jelinek-Abende. Und man kann ihn gut verstehen, diesen Impetus, Goethes Textklumpatsch derart zu schütteln, dass Bildungsschutt und grauer Verehrungsfirniss davon abfallen.

Die Neugier, zu sehen, was passiert, wenn man den Text von aller herkömmlichen Figurenpsychologie befreit; die Hoffnung, ihn dadurch erst richtig zum Strahlen zu bringen; die Lust, den ollen Faust aus seiner verstaubten Studierhöhle herauszuzerren ans Licht unserer Zeit und als manisch-depressiven Allmachtsphantasten zu zeigen - all das klingt aufregend und festspielkompatibel, wenn auch sehr anstrengend.

Man sei "bei einer reinen Spielzeit von acht bis zehn Stunden", sagt Stemann. Aber Goethe hat sich schließlich beim "Faust II" auch nicht darum geschert, ob das noch konsumierbar proportioniert ist. Im Gegenteil, er machte sich einen Spaß daraus, mit seinem eklektischen Konvolut einen Totalangriff auf alle Theaterkonventionen zu fahren.

Insofern: Viel Glück, ahoi, aber bitte, sprecht deutlicher. Wenn schon die Frage, wie es Faust denn nun mit der Religion halte, nicht richtig zu verstehen ist, dann sieht man wirklich nicht, welches "große Recht" dem Text hier eingeräumt wird.

© SZ vom 26.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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