Musiktheater bei der Ruhrtriennale:Beziehungsterror in der Heide

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Albtraumszenario fundamentaler Verunsicherungen: Szene aus Olga Neuwirths "Bählamms Fest". (Foto: Volker Beushausen)

In Olga Neuwirths Oper "Bählamms Fest" bei der Ruhrtriennale wimmert und knirscht es gespenstisch.

Von Julia Spinola

Eine Heidelandschaft ohne festen Boden, voller Tümpel und Sümpfe, im Zwielicht unheimlicher Nebelschwaden. Darin: ein Haus, das keinen Schutz bietet, weil seine Außenwände regelmäßig umkippen wie Spielkarten. Der sandige Boden mit seinen struppigen Heidepflänzchen läuft konturlos im Zuschauerraum aus, als würde sich die Natur zurückerobern, was der Mensch an Zivilisation übriggelassen hat. Am linken Rand der Bühne spielen im Schummerlicht die fabelhaften Musiker des Ensemble Modern unter der Leitung von Sylvain Cambreling. Der Klang dringt dank Live-Elektronik und Zuspielungen aber auch unvorhersehbar aus allen Richtungen des Raumes, wo es schon vor Vorstellungsbeginn gespenstisch wimmert und knirscht, schmatzt, gluckst und surrt. Es ist ein Albtraumszenario fundamentaler Verunsicherungen, das die Bühnen- und Kostümbildnerin Nina Wetzel und das irische Regieduo Dead Centre für die erste Musiktheaterpremiere der Ruhrtriennale in die Industriearchitektur der Bochumer Jahrhunderthalle hineingepflanzt haben. Und als solches bietet es das perfekte Ambiente für die so unbändige wie abgründige musiktheatrale Fantasie der 1968 in Graz geborenen Komponistin Olga Neuwirth, deren Musik sich vehement gegen alle eindeutigen Fixierungen und Zuschreibungen wehrt.

Jelineks Operntext lässt nach surrealistischer Manier die Wünsche der Protagonistin hervortreten

Das Musiktheater "Bählamms Fest" in 13 Bildern, 1999 uraufgeführt bei den Wiener Festwochen, war Neuwirths erste abendfüllende Oper. Das Libretto schrieb ihr, wie so oft, die Schriftstellerin Elfriede Jelinek. Die literarische Vorlage bot das surrealistische Drama "The Baa-Lamb's Holiday" von Leonora Carrington, jener 1917 geborenen britischen Künstlerin, die man vor allem als zeitweilige Muse und "Windsbraut" des Surrealismus-Vordenkers Max Ernst kennt. Bis zur Besatzung Frankreichs und zur Verhaftung Ernsts lebten die beiden Künstler in einem abgelegten Landhaus in Südfrankreich zusammen. Carringtons Drama von 1940 verarbeitet die traumatisierenden Erfahrungen dieser Jahre zu einem abgründig-grotesken Vexierbild aus Familienhorror, Beziehungsterror und faschistischer Gewalt. Jelinek hat einen genialisch-dichten Operntext geschaffen, der nach gut surrealistischer Manier eine logisch-realistische Handlung verweigert, in der traumgleichen Montage skurril-grotesker Motive die zentralen Wünsche der Protagonistin Theodora (Katrien Baerts) jedoch umso prägnanter hervortreten lässt. Es geht um familiäre Gewalt, um eine selbstsüchtige Schwiegermutter (Hilary Summers), die mit ihrem Schoßhund (Graham F. Valentine) einen Wolfsmenschen gezeugt hat, um einen trunksüchtigen Ehemann (Dietrich Henschel) und dessen Koloraturen keifende erste Frau. Theodora flüchtet ins Kinderzimmer, wo ihr jedoch die Geister der von ihr gequälten und getöteten Haustiere wieder begegnen. Sie verliebt sich in Jeremy, den dionysosartigen Wolfsmenschen, in dem jedoch auch eine Bestie steckt, die ein unschuldiges Lamm nach dem anderen reißt. Nachdem Jeremy einer Hetzjagd der Polizei zum Opfer gefallen ist, begegnet er Theodora jedoch noch einmal als Geist und ermahnt sie, für immer jung und schön zu bleiben, weil er sie sonst nicht lieben könne. In einem letzten Bild mutiert die junge Theodora zur alten Frau.

Neuwirth hat daraus einen pandämonischen Klangraum voller Zitate, Geräusche und musikalischer Fundstücke geschaffen, in dem das Fremde und das Vertraute, Erfüllung und Katastrophe, unmittelbar beieinanderliegen. In die meist solistisch eingesetzten instrumentalen Gesten mischen sich die Spieldosenklänge von Celesta und Klavier, die androgyne Countertenorstimme des Jeremy (Andrew Watts) wird von einer Viola d'amore begleitet und mutiert in den sirenenhaft schwebenden Gesang des elektromagnetischen Theremin-Vox, einem Instrument aus der Urzeit der elektronischen Musik. Die scheinbar anarchische Mixtur aus Kinderliedern und brutalen Klangentladungen, Operngesten und Melodram, verzerrtem Ländler und glasig klirrenden Klangbändern fügt sich wundersam zur höheren Einheit: Nie wirkt diese Musik eklektisch. Dead Centre treibt das surreale Spiel mit Identitäten und Vervielfältigungen auf der Bühne optisch suggestiv weiter und widersteht dabei glücklich der Versuchung, dem Stück eine Deutung aufzudrücken, die es nur reduzieren könnte.

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