Eröffnung Ruhrtriennale:In der tiefen Gruft erwacht

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Michael Maertens als Roderick in Barbara Freys Eröffnungsstück der Ruhrtriennale. (Foto: Matthias Horn/Ruhrtriennale)

Barbara Frey inszeniert Edgar Allan Poes "Der Untergang des Hauses Usher" als düsteres Slow-Motion-Theater.

Von Till Briegleb

Wenn es eine Herausforderung bei der Inszenierung von Edgar Allan Poes "Der Untergang des Hauses Usher" gibt, dann ist es das gleichbleibende Schreckensniveau. Schon wenn der namenlose Erzähler in Poes vielleicht berühmtester Kurzgeschichte mit dem Pferd zum Schloss seines Schulfreundes reitet, ist alles grau, traurig, erdrückend, der Himmel, die Landschaft, die Schatten. Und bereits in Zeile acht, beim Anblick des Gebäudes, befällt den Protagonisten ein "unerträglich trübes Gefühl". Das Haus, eingerahmt von abgestorbenen Bäumen und einem morastigen Teich, mit seinen toten Fensteraugen, dem Pilzbewuchs und dem feinen Zickzack-Riss in der Wand, animiert den armen zu Hilfe Eilenden zu einer Epidemie schauerlicher Adjektive und Superlative, dass schon nach dem ersten Absatz nur noch eine kleine Steigerung vom Unheilvollsten ins Grauenhafteste möglich scheint.

Für eine Theatralisierung stellt sich die Frage, wie ein Spannungsbogen herzustellen ist. Barbara Frey, die Schweizer Regisseurin, die die nächsten drei Jahre die Ruhrtriennale leiten wird, beschloss für die Eröffnungsinszenierung ihrer ersten Ausgabe, ganz auf Klimax zu verzichten. In der schönen Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck, vor der stillgelegten Fördermaschine mit ihren elf unterschiedlich großen Antriebsrädern, begann der Abend mit harmonischer Monotonie. Zwei Pianisten (Tommy Hojsa und Josh Sneesby) hämmerten synchron die immer gleiche Akkordfolge in ihre Flügel und transponierten sie in kleinen Schritten von der höchsten in die tiefste Lage.

Ein Chor der hängenden Köpfe staunte ahnungsvoll - den ganzen Abend lang

Mit diesem Hang zum gleichbleibenden Takt setzte Frey dann die Geschichte in Szene. Ein Chor der hängenden Köpfe, einheitlich schwarz gekleidet mit Trauerbinder, bewegte sich langsam aus dem Hintergrund der dunklen Industriehalle zu ein paar verstreuten Instrumenten und Büchern, die das Bühnenbild von Martin Zehetgruber ausmachten, und übte sich im gemeinsamen Ausdruck des ahnungsvollen Staunens. Den sollten die drei Frauen und drei Herren den ganzen Abend nicht mehr ablegen. Wobei die dunkle Geschichte von den mysteriös kranken Zwillingen Roderick und Madeline und der Wiederkehr der bereits begrabenen Schwester Barbara Frey als Textgrundlage nicht ausreichte. Sie oder ihr Dramaturg Andreas Karlaganis suchten das Gesamtwerk Poes nach vergleichbaren Motiven ab und fanden in vier weiteren Stücken nutzbare Parallelen.

Debbie Korley trägt die kurze Erzählung einer Fee auf einem Teich vor, die beim Rudern um eine Insel mit heller und düsterer Seite in zunehmenden Kummer verfällt und stirbt. Annamária Láng und Markus Scheumann illustrieren das Gefühl Madelines, wenn sie aus dem Scheintod in der tiefen Gruft des Schlosses erwacht, mit Poes Kerkergeschichte aus den Zeiten der spanischen Inquisition, "Die Grube und das Pendel". Michael Maertens zitiert verkleidet als Affe etwas unvermittelt aus Poes Kriminalgeschichte "Der Doppelmord in der Rue Morgue" eine Passage, in der C. Auguste Dupin über den Unterschied von analytischem Denken und Scharfsinn räsoniert. Und Katharina Lorenz und Jan Bülow verweisen in musikalischem Sprechen auf die Geschichte Poes, in der ein kranker Cousin seine Cousine lebend begräbt, "Berenice".

Vermutlich ist die Inszenierung dieser Fragmentensammlung als pathetisch stilisiertes Slow-Motion-Theater mit melancholischer Musik wirklich Geschmackssache. Die gleichbleibende Übertreibung erregter Gefühle, die Frey fast in Stummfilmmanier von ihrem Ensemble verlangt, ist in einem Maße künstlich und aufgesetzt, dass es umstandslos als Kitsch wahrgenommen werden kann. Andererseits ist in dem geschehensarmen Gruppieren von Menschen, die in unterschiedlichen Konstellationen Prosatexte über lähmende Angst vortragen, natürlich eine Atmosphäre von Edgar Allan Poe adäquat eingefangen, die seinem Stil des beobachtenden Schreibens über unglaubliche Dingen entspricht. Das ausbalancierte Komponieren von wahngeschwängerter Stimmung durch suggestive Musik, starres Sprechen und expressionistische Lichtstimmungen erfüllt dann seinen Zweck, eine Situation ständiger Ergriffenheit darzustellen.

Diese Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater läutet nun ein sechswöchiges Festspielprogramm ein, in dem es viel um die Bedrohung von Frauen und Alternativen zum verschleißenden Lebensstil der Gegenwart geht. In den Denkmalen der Industriekultur zwischen Bochum und Duisburg wird dem Grauen des Menschen nachgespürt. Aber dessen Untergang kann ja eventuell trotz wachsender Risse im Bau und giftiger Teiche vor der Haustür noch abgewendet werden. Die Ruhrtriennale jedenfalls kümmert sich - auch um etwas Hoffnung, Lebensfreude und künstlerische Trotzstimmung.

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