Wir sind fünf" lautet der unverfänglich anmutende Titel des fünften Romans des norwegischen Autors und bildenden Künstlers Matias Faldbakken, von Maximilian Stadler aus einem rasanten Norwegisch in ein ebenso hochtouriges Deutsch übersetzt. Wir sind fünf - das könnte in einer Geburtsanzeige stehen, mit der die glücklichen Eltern Nachwuchs ankündigen. Vater, Mutter, Sohn und Tochter, und nun endlich die Erweiterung der Kernfamilie. Gesegnete Umstände. Von solchen allerdings ist Faldbakkens Familie Blystad weit entfernt. Denn hier ist die Nummer fünf kein Mensch, sondern ein selbständig agierender Tonklumpen. Eine Art Golem der Spätmoderne.
Im 139. Psalm der Thora lesen wir, dass der Golem ein Klumpen Dreck ist, der einmal Mensch werden soll. "Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war", übersetzt Luther christlich korrekt. Später schaffen sich die Menschen ihren eigenen Golem. In einer der Varianten der Legende heißt es, dass der kabbalistisch bewanderte Rabbi Löw einen Golem schafft, um die Prager Juden vor Verfolgung zu schützen. Das ist gut gedacht. Blöd nur, dass die Frau des Rabbis den Golem zur Hausarbeit einsetzen will und ihn beauftragt, Wasser ins Haus zu bringen. Das tut er, bis das Haus unter Wasser steht. Goethes Zauberlehrling weiß, wovon die Rede ist.
Klüger dünken sich die Zauberlehrlinge späterer Zeit, die ihren Golem nicht mit Hilfe beschwörender Buchstabenreihen beleben, sondern mittels künstlicher Intelligenz. Der Begründer der Kybernetik, Norbert Wiener, interpretierte in seinem Essay "God & Golem, Inc." (1964) den Golem als Vorläufer der sich selbst verbessernden Maschine. In Stanisław Lems Science-Fiction-Essay "Golem XIV" (1981) oder Marge Piercys Cyberpunk-Roman "He, She, It" (1991) wird das weitergedichtet.
Faldbakken erzählt seinen Golem-Roman mit so viel Speed, dass es nicht nur seinen Figuren, sondern manchmal auch dem Leser den Magen umdreht. Am Anfang der Geschichte haben wir es aber erst mal nur mit dem gut aussehenden, kernigen Norweger Tormod Blystad zu tun, der mit seiner Frau und zwei Kindern ein ruhiges Dasein in der Provinz nahe Oslo führt. Unter dem schlechten Einfluss eines Freundes und diverser Drogen hat er zwar in jungen Jahren zu oft "die Sau rausgelassen". Aber dann hat ihn seine spätere Frau eines Besseren belehrt, und er hat ihr zum Dank ein Holzhaus gebaut, das zugleich an die Blockhütte aus Knut Hamsuns "Segen der Erde" denken lässt und an die Neue Sachlichkeit, ein Funkishaus.
Ein Zusammenleben mit diesem Wesen aus Ton führt sicher in die Katastrophe
Funktional mutet ziemlich bald auch die Ehe zwischen Tormod und Siv an, die die Abende gerne bei Chips und Wein vor dem Fernseher verbringt, während es Tormod in die Werkstatt zieht. Als lethargisch erweist sich auch der Erstgeborene Alf, der nur beim Computerspielen so schnell reagiert, dass seinem analog aufgewachsenen Vater schwindelig wird. Allein die Tochter Helene ist "blond und hübsch" und hat einen "messerscharfen Verstand und flinke Finger". Dass sie den Drive ihres Vaters geerbt hat, macht sie allerdings nicht unbedingt familienkompatibler.
Erst als die Familie einen Hund bekommt, finden die vier so unterschiedlichen Menschen einen gemeinsamen Mittelpunkt. Der norwegische Elchhund Snusken bringt die Geschwister im Spiel näher, motiviert die Mutter zu fettverbrennenden Spaziergängen und macht den Familienvater glücklich. Snusken ist süß, keine Frage, auch wenn man mit seinem Namen eher Schmutz und Schnüffeln assoziiert. Wahrscheinlich ist er einfach ein lieber kleiner Dreckschnüffler, der seine Schnauze in alles steckt. Als ihm das zum Verhängnis wird und er eines Tages spurlos verschwindet, droht die Familie auseinanderzubrechen. Da ist es gut, dass der findige Tormod einen Teig aus dynamischem Ton ansetzt und ihn so lange mit diversen Zutaten anreichert, bis eine Knetmasse entsteht, die den Kindern große Freude bereitet und den Fähigkeiten eines Golems in nichts nachsteht.
Doch Tormods Klumpen trägt nicht nur Züge eines dienstfertigen Golems. Er erinnert auch an das Märchen vom Pfannkuchen, der immer dicker und fetter wird, dann aber, als die Kinder ihn endlich essen wollen, aus der Pfanne hinaus in die Welt springt. Auch Tormod pflegt seinen stetig an Volumen zunehmenden Klumpen. Er gräbt hinter seinem Haus eine tiefe Grube und legt den Klumpen jeden Abend in die nährstoffreiche norwegische Erde, damit er dort in sich aufnimmt, was er braucht. Am nächsten Tag gibt er den Kindern dann jeweils ein halbes Kilo Ton zum Spielen. Es entstehen "ruhige und ganz besondere Momente. Tormod spürte ein Gefühl der Erfüllung, und er forschte stundenlang, wie er seinen Ton weiter verfeinern und verbessern konnte, damit seine Zeit mit den Kindern noch intensiver würde, noch reifer."
Das erdige Geschöpf, auch wenn man Hunger hat, bitte nicht essen!
Mit großem erzählerischen Geschick baut Faldbakken eine Spannung auf, von der man weiß, dass sie in die Katastrophe führt. Wir folgen Alf, der den hart gewordenen Klumpen auf den warmen Wlan-Router legt, um ihn wieder geschmeidig zu machen. Wir schütteln den Kopf über Siv, die aus dem Klumpen einen skurrilen Gnom knetet und mit ihm wie mit Snusken an der Leine zu ihren Kolleginnen in den Friseursalon marschiert. Und wir würden Helene gerne den klugen Ratschlag geben, ihre sorgsam gesammelten Milchzähne lieber anders zu verwenden, als sie dem Klumpen in den erdigen Leib zu drücken. Und nein, auch wenn man Hunger hat, nicht essen!
Doch nicht auf uns hören die Figuren, sondern allein auf ihren Erzähler. Und der meint es nicht gut mit ihnen. Er überlässt Tormod das Kommando, und der lässt seine Familie sehenden Auges ins Unglück laufen. Warum? Vermutlich, weil er den liebevollen Familienvater von Anfang an nur gespielt hat und im Grunde immer gerne der geniale Großkotz wäre, zu dem er wird, wenn er auf Speed ist. Die kluge Helene scheint in ihren Albtraumfantasien dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Sie argwöhnt, dass ihre Eltern Zombies sind, die sich die leibliche Hülle der Eltern angeeignet haben und nun bloß Eltern spielen. Shapeshifter. Bodysnatcher.
Oder ist es doch einfach nur der Autor, der hier mit seinen Figuren wie mit Puppen spielt und sie das Drama toxischer Männlichkeit aufführen lässt? An dessen Ende das bekannte Iphigenienopfer steht, und die Tochter geopfert wird, damit die Eltern ihr Zombiedasein weiterführen können. Schon in seinen ersten Büchern, der Trilogie der "Skandinavischen Misanthropie", hat es Faldbakken seinen Leserinnen und Lesern nicht leicht gemacht, gegenüber seinen dezidiert amoralischen Erzählungen Stellung zu beziehen. Was da zutage trat, war widerlich, aber auch faszinierend. Legte man das Buch nicht irgendwann zur Seite und weigerte sich weiterzulesen, wurde man unwiederbringlich zum Komplizen.
Während das Unbehagen an den frühen Texten sich aber an Positionen entzündete, die mit rassistischen und sexistischen Versatzstücken jonglierten, driftet "Wir sind fünf" in ein Genre ab, das zwischen Horror, Klamauk, Science-Fiction und Groteske changiert. Dabei verliert die Geschichte leider an Kraft. Die Räder drehen im Sand der norwegischen Provinz durch, und die aufgebaute Spannung verfliegt, wenn von dem kuriosen Klumpen als wildgewordener Materie erzählt wird, welche die Menschen skalpiert und ihnen die Fingernägel rausreißt, aber das Entsetzen der so Malträtierten nicht wirklich abgebildet wird.
Aus einer wilden Story mit technikkritischen Implikationen wird so wieder das Märchen vom dicken, fetten Pfannkuchen, der sich nicht fangen und essen lassen will. Das ist schade. Denn ganz sicher hat Faldbakkens Roman das Potenzial zu mehr. Er ist wie der dynamische Tonklumpen selbst, der sich groovend seinen eigenen Weg bahnt, dabei aber nicht weiß, wohin. Vielleicht stimmte hier einfach etwas mit dem Nährboden nicht.
Matias Faldbakken: Wir sind fünf. Roman. Aus dem Norwegischen von Maximilian Stadler. Heyne, München 2020. 256 Seiten, 22 Euro.