Keine politische Entscheidung der letzten Jahre, nicht einmal Hartz IV, ist bei den Deutschen so unbeliebt wie der Einsatz in Afghanistan. Doch der überwältigenden Ablehnung in den Umfragen - regelmäßig um die zwei Drittel der Befragten - entspricht bisher kein Straßenbild: Anders als bei früheren Kriegen, Vietnam, Irak, anders als bei der Nachrüstung von 1983, fehlen die protestierenden Massen. Und der Verteidigungsminister, der sich zu diesem "Krieg" offensiv bekannt hat wie keiner seiner Vorgänger, wurde zum beliebtesten Politiker dieser Jahre.
Kurbjuweits Die Kriegsbraut ist voller Informationen und voller Einsichten in reale Umstände und Probleme der deutschen Soldaten in Afghanistan. Der Autor riskiert viel, denn sein Roman spannt nicht nur den Bogen von Deutschland zum afghanischen Schauplatz - sondern er hat auch eine weibliche Heldin.
(Foto: REUTERS)Solche Beobachtungen sammelte im letzten Sommer ein bis in die Antike ausgreifender Essay des Spiegel-Redakteurs Dirk Kurbjuweit über Krieg und Demokratie, der den deutschen Einsatz am Hindukusch verteidigte. Kurbjuweit machte es sich nicht leicht. Er entwickelte zunächst das unumgängliche Gewalttabu, auf das gerade die kämpferische Staatsform Demokratie angewiesen ist, die den Streit braucht, ihn aber zivilisatorisch einhegen muss; dabei wecke jeder Krieg, auch dieser, die immer nur schlummernde Gewaltbestie im Menschen.
Trotzdem kam Kurbjuweit zu dem Schluss, dass es in Afghanistan vorerst ohne westliche Soldaten nicht geht: Zu groß wären die Gefahren eines erneuten Umkippens in die Talibanherrschaft, ein "Sieg" über den Westen, der dann leicht auf die Atommacht Pakistan ausstrahlen könnte - ein Albtraum. Zugleich fand sein Essay es falsch, dass der Afghanistan-Krieg nie Wahlkampf-Thema wurde, dass also die Bürger bisher nicht abstimmen konnten und auch die Oppositonsparteien, außer der Linkspartei, nicht mehr richtig Farbe bekennen mussten.
Nun hat Kurbjuweit einen Roman zum Afghanistan-Krieg vorgelegt, und das erste, was man über ihn feststellen muss, ist, dass er keine politischen Thesen oder strategischen Erwägungen bebildert. Dabei wäre das natürlich möglich: Der Kriegs-Thriller mit grauenhafter Atomdrohung durch Talibankämpfer, verheerenden Zivilopfern durch falsche Kriegsentscheidungen der Amerikaner, versetzt mit erschütternden Frauenschicksalen und grausamen Entscheidungen in letzter Sekunde, schreibt sich für einen routinierten Autor fast von selber.
Wer Kurbjuweits frühere Bücher kennt, vor allem seine spannende und feinfühlige Liebesgeschichte aus dem Berliner Politikbetrieb Nicht die ganze Wahrheit (2008, jetzt bei dtv), musste sich sogar fragen, ob der empfindsame Beobachter zeitgenössischer Wirklichkeit, der Kurbjuweit als Journalist wie als Erzähler ist, sich an dem Kriegsthema nicht verheben würde.
Nein, hat er am Ende nicht. Das ist bemerkenswert, weil die Begabung dieses Autors im Aufschließen der eher undramatischen Wirklichkeit vor unseren Augen liegt. Nun aber hat er viel mehr riskiert, denn sein Roman Die Kriegsbraut spannt nicht nur den Bogen von Deutschland zum afghanischen Schauplatz, sondern er hat auch eine weibliche Heldin. Kurbjuweit hat den ersten Kriegsroman vorgelegt, seit Frauen in der Bundeswehr zugelassen wurden.
Da kann jede Menge schiefgehen, und das Buch hat auch Schwächen. Sie liegen übrigens eher am Beginn, der die Entscheidung der ostdeutschen Informatikerin Esther (nein, keine Jüdin) für den Soldatenberuf entwickelt; die enttäuschende, weil unverbindliche Liebesgeschichte mit einem mäßig erfolgreichen Filmemacher, die dem großen Schritt nach Afghanistan vorausgeht, wirkt schematisch, fast 20.15-ZDF-tauglich.
Aber der Roman braucht sie, als Vorbereitung für die erst ganz andere, am Ende gar nicht so andere Erfahrung, die Esther mit einem afghanischen Mann macht, dem Schullehrer Mehsud, den sie bei Kontrollfahrten vom Stützpunkt Kundus aus kennenlernt. Die deutschen Soldaten sollen nämlich das sichern, was ein vorrangiger offizieller Kriegsgrund ist: den Schulbesuch von Mädchen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Kurbjuweit die Vorstellungskraft für das schwierigste Problem der gegenwärtigen deutschen Politik weckt.